Also ich sehe fast niemanden, der irgendwelche übertriebenen Sympathien für Russland hegt (mit Ausnahme von Schröder).
Sympathien wäre sicher übetrieben. Ich habe aber den Eindruck, dass inzwischen weite Teile der deutschen Bevölkerung den Amis mit Skepsis und Abneigung gegenüberstehen, während Russland zumindest toleriert wird. Man muss beobachten, ob und wie sich dieser Trend in der nach-Bush-Ära fortsetzt.
Strömungen in der Bevölkerung werden jedenfalls früher oder später Niederschlag in der Politik finden.
Insbesondere empfehle ich die Kommentare zum Beitrag.
Es scheint, dass die treibende Kraf in den Kommentaren nicht Pro-Russlandismus ist, sondern Anti-Amerikanismus.
Ich halte eine negative treibende Kraft immer fuer einen Fehler. Man vergisst, wo man hintreibt, wenn man nur beachtet, wovon man wegtreiben will.
FW:
Wenn es Schlag auf Schlag kommt steht Russland natürlich schlechter da als wir, keine Frage. Aber dagegen steht die Schadenstoleranz.
Sicher hat Russland im Zweifel mehr zu verlieren, aber wenn die russische Führung einen höheren Schaden einzugehen bereit ist als deutsche, dann hat sie trotzdem die bessere Verhandlungsposition und kann Druck ausüben.
Das krasse anschauliche Beispiel dazu sind Aufständische, die gegen NATO-Truppen kämpfen und Verluste von 50:1 in Kauf nehmen, während für die NATO-Truppen jeder einzelne Verlust schmerzhaft ist. Obwohl die Gegenseite also deutlich mehr zu verlieren hat wird das Bündnis es sich sehr genau überlegen, ob es in diese Krisenregion geht oder nicht.
Hmm, ich wundere mich ja bei solchen Beiträgen im Zeit Forum schon manchmal, was da für Leute schreiben.
Ich kenne jedenfalls niemanden, der die Russen (bzw den russischen Staat) in irgendeiner Form besonders sympatisch findet. Und auch die Abneigung gegen die Amerikaner sehe ich in erster Linie auf die Bush Administration gemünzt, Clinten wurde ja geradezu von den Deutschen vergöttert. Wobei es natürlich durchaus Unverständniss über so manches andere wie z. B. Nipplegate gibt.
Letztlich kommen aus beiden Ländern in erster Linie Nachrichten, die tendentiell eher zur Besorgnis Anlass geben.
Es mag Leute geben, die wegen des Gases durchaus lieber die Klappe halten würden, aber selbst die sehe ich nicht unbedingt in der Mehrzahl. Im Gegenteil war eine gewisse Besorgnis, als Russland seinen Nachbarn die Gaszufuhr gesperrt hat, durchaus vorhanden. Das hat Russland auch nicht eben Sympathien eingebracht. Und in Wilhelmshafen wird gerade eine riesige Umschlaganlage für Flüssiggas geplant (oder sogar schon gebaut) um die Abhängigkeit zu reduzieren.
Und den "Lieber Rot als Tot" Slogan habe ich bestimmt 20 Jahre nicht mehr gesehen.
Richtig sind die Anmerkungen des Autors zur Einseitigkeit des Gasimports. Auf die Vernachlässigung des LPG u habe ich vor ein paar Monaten schon hingewiesen.
Das ist das Ergebnis einer unheiligen Allianz zwischen Ruhrgas (heute bei E.on) und Gazprom. Und man kann sich wirklich fragen, ob Schröder nicht im Hinblick auf seinen späteren Job kräftig politisch vorgearbeitet hat.
Mit einem leistungsfähigem Gasterminal in Wilhelmshafen hätte man die langsam rückläufigen Lieferungen aus NL und Norwegen auffangen können und so den russischen Marktanteil konstant halten können.
Ansonsten ist der Artikel oberflächlich. Das vielleicht besondere aber immer besonders ambivalente Verhältnis zwischen beiden Ländern als "mythisches Sonderverhältnis" abzuqualifizieren ist Quatsch. Und es allein an den Energielieferbeziehungen festzumachen ebenso. Deutschland ist seit Katharina der Grossen der wichtigste ausländische Partner Russlands gewesen, auch ohne Energielieferungen - und ist es bis heute geblieben, auch wenn Russland politisch in einer anderen Liga gespielt hat. Daran haben auch die diversen Kriege nichts geändert, nicht mal der letzte.
Die Verengung auf die Energie erweist sich schnell als falsch, wenn man sich die Handelsbilanz anschaut. Trotz der enormen Mengen an Öl und Gas und deren Preissteigerungen ist der Aussenhandel zwischen beiden Ländern nahezu ausgeglichen. Daran sieht man, dass die Abhängigkeit eine beiderseitige und im Ergebnis ausgewogene ist.
Zugleich ist D der grösste Exporteur nach RUS, nur China erreicht die gleiche Grössenordnung, Japan erreicht die Hälfte, alle anderen nicht mal 1/3 des deutschen Volumens. Das heisst bei aller Konkurrenz, dass D als Hauptlieferant vor allem industrieller Technologie nicht einmal ersetzbar ist. Mit einem Lieferboykott würden sich die Russen ins eigene Fleisch schneiden.
Die Mahnungen der Industrie vor der Menschenrechtsdebatte sind reine Volksverdummung (gleiches gilt für China). Das deutsch-russische Verhältnis hat ganz andere Konfrontationen erlebt, zuletzt 45 Jahre Besatzung der DDR und Ost-West Konflikt und die Handelsbeziehungen sind stetig gewachsen. Und die Franzosen machen trotz aller Schleimerei Sakos und seiner Vorgänger keinen grossen Stich. Weder in Russland noch in China.
F-W schrieb am 06.06.2008 10:34
Richtig sind die Anmerkungen des Autors zur Einseitigkeit des Gasimports. Auf die Vernachlässigung des LPG u habe ich vor ein paar Monaten schon hingewiesen.
Das ist das Ergebnis einer unheiligen Allianz zwischen Ruhrgas (heute bei E.on) und Gazprom. Und man kann sich wirklich fragen, ob Schröder nicht im Hinblick auf seinen späteren Job kräftig politisch vorgearbeitet hat.
Mit einem leistungsfähigem Gasterminal in Wilhelmshafen hätte man die langsam rückläufigen Lieferungen aus NL und Norwegen auffangen können und so den russischen Marktanteil konstant halten können.
Ansonsten ist der Artikel oberflächlich. Das vielleicht besondere aber immer besonders ambivalente Verhältnis zwischen beiden Ländern als "mythisches Sonderverhältnis" abzuqualifizieren ist Quatsch. Und es allein an den Energielieferbeziehungen festzumachen ebenso. Deutschland ist seit Katharina der Grossen der wichtigste ausländische Partner Russlands gewesen, auch ohne Energielieferungen - und ist es bis heute geblieben, auch wenn Russland politisch in einer anderen Liga gespielt hat. Daran haben auch die diversen Kriege nichts geändert, nicht mal der letzte.
Die Verengung auf die Energie erweist sich schnell als falsch, wenn man sich die Handelsbilanz anschaut. Trotz der enormen Mengen an Öl und Gas und deren Preissteigerungen ist der Aussenhandel zwischen beiden Ländern nahezu ausgeglichen. Daran sieht man, dass die Abhängigkeit eine beiderseitige und im Ergebnis ausgewogene ist.
Zugleich ist D der grösste Exporteur nach RUS, nur China erreicht die gleiche Grössenordnung, Japan erreicht die Hälfte, alle anderen nicht mal 1/3 des deutschen Volumens. Das heisst bei aller Konkurrenz, dass D als Hauptlieferant vor allem industrieller Technologie nicht einmal ersetzbar ist. Mit einem Lieferboykott würden sich die Russen ins eigene Fleisch schneiden.
Die Mahnungen der Industrie vor der Menschenrechtsdebatte sind reine Volksverdummung (gleiches gilt für China). Das deutsch-russische Verhältnis hat ganz andere Konfrontationen erlebt, zuletzt 45 Jahre Besatzung der DDR und Ost-West Konflikt und die Handelsbeziehungen sind stetig gewachsen. Und die Franzosen machen trotz aller Schleimerei Sakos und seiner Vorgänger keinen grossen Stich. Weder in Russland noch in China.
FW
Danke fuer den Kommentar.
Was mir so im Kopf stecken gebelieben ist: Putin, als er noch Praesident war, hat in irgendeinem Interview mit der "Welt" daruber geredet, dass er den Aubau der russischen Infrastruktur als essentiell und sehr dringend sieht, um Russland in die moderne Welt zu bringen.
Wenn man mal ausserhalb St Petersburg und Moskau gereist ist (was ich mehrere male bin in den Anfang Neunzigern), dann begreift man, was er meint.
So ein Projekt waere so immens, dass das Energiegeld, das Russland verdient, nur eine kleine Anzahlung waere, das aber auf dem freien Markt voellig unbezahlbar waere.
Wie will Putin das Projekt voranbringen, wobei ich annehme, dass Putin's Worte nie heisser Wind sind?
Da fallen mir einige recht unappetittliche Moeglichkeiten ein. Als Steimeier in Vladivostock vom Pazifik bis Atlantik Markt geredet hat, habe ich mir uberlegt, ob Putin nicht das gleiche meint, aber unter Bedingungen, die dem Steinmeier garantiert nicht eingefallen sind.
Danke fuer den Kommentar.
Was mir so im Kopf stecken gebelieben ist: Putin, als er noch Praesident war, hat in irgendeinem Interview mit der "Welt" daruber geredet, dass er den Aubau der russischen Infrastruktur als essentiell und sehr dringend sieht, um Russland in die moderne Welt zu bringen.
Wenn man mal ausserhalb St Petersburg und Moskau gereist ist (was ich mehrere male bin in den Anfang Neunzigern), dann begreift man, was er meint.
So ein Projekt waere so immens, dass das Energiegeld, das Russland verdient, nur eine kleine Anzahlung waere, das aber auf dem freien Markt voellig unbezahlbar waere.
Das Projekt heisst Russland auf westliches Niveau zu bringen und ist ja nicht neu. Das ist eine Dauerbaustelle, die von Zar Peter dem Grossen aufgemacht wurde (der, der inkognito auf holländischen Schiffswerften war) und die bis heute nicht beendet ist. Schon bald waren Deutsche die bevorzugten Partner. Viel später, in der Zwischenkriegszeit, wurde die deutsche Industrie endgültig der wichtigste Lieferant für Lenins Industrialisierung ("Kommunismus ist gleich Sowjetmacht plus Elektrifizierung") und blieb das bis zum Ausbruch des WK2. Und an diese Beziehungen wurde schon sehr bald nach dem Krieg wieder angeknüpft, weil schnell klar wurde, dass die SU auch mit den einverleibten Industrieländern Tschechei und Ostdeutschland es nicht schaffen würde. Mir hat ein früherer Chef erzählt, dass er schon in den letzten Vierziger Jahren die ersten Aussenhandelsfinanzierungen für Industrieausrüstungen in die SU gemacht hat. In der Zeit bauten gerade die Tommys und Franzosen die letzten Maschinen bei uns aus.
Für alles, was innerhalb des Comecons nicht zu realisieren war, avancierte (West-)Deutschland schnell zum wichtigsten Lieferanten. Legendär darunter die grossen Lieferungen von Nahtlosgrossröhren ("Mannesmann-Röhren") für die ersten Piplineprojekte, für die Adenauer sogar einen deftigen Krach mit den Amis riskierte.
Putin hat das Projekt wieder aufgenommen, aber es wird noch einige Zaren nach ihm beschäftigen. Die deutsche Industrie wird sich also auch künftig noch über viele Aufträge aus RUS freuen können.
Zitat:
Rocky schrieb am 06.06.2008 20:40
Wie will Putin das Projekt voranbringen, wobei ich annehme, dass Putin's Worte nie heisser Wind sind?
Da fallen mir einige recht unappetittliche Moeglichkeiten ein. Als Steimeier in Vladivostock vom Pazifik bis Atlantik Markt geredet hat, habe ich mir uberlegt, ob Putin nicht das gleiche meint, aber unter Bedingungen, die dem Steinmeier garantiert nicht eingefallen sind.
Bin ich paranoid?
Neben der wirtschaftlichen gibt es natürlich noch eine politische und mentale Dimension des "mythischen" deutsch-russischen Verhältnisses.
Putins Worte sind zwar nicht heisse Luft, aber man sollte schon differenzieren wer der wahre Adressat ist. Mit seiner Grossmachtplusterei bedient er vor allem die gekränkte russische Seele, die den Abschied vom Weltmachtstatus der alten SU bis heute nicht verwunden hat. Dafür wird er aber niemals sein "Projekt" und damit seine wirtschaftlichen Interessen und Beziehungen zum Westen und besonders zu D aufs Spiel setzen. Die Russen waren immer besonders vertragstreu und haben immer sehr genau zwischen politischer Rhetorik und wirtschaftlichem Handeln unterschieden. Das gestehen sie anderen auch zu. Deshalb wird die Menschenrechtsdebatte niemals die deutschen Handelsbeziehungen gefährden. Im Gegenteil, die Russen verhandeln nur auf Augenhöhe, wenn sie ihr Gegenüber respektieren. Und den Respekt hat sich Merkel verschafft. Sie wird den Russen länger und positiver in Erinnerung bleiben als Schröder. Schleimerei und mangelndes Selbstbewusstsein werten den Partner ab. Andererseits erwarten sie diesen Respekt auch von der anderen Seite.
Heikel für andere wurde das deutsch-russische Verhältnis immer dann, wenn sich Minderwertigkeitskomplexe ggü. dem Westen verbunden haben. Man darf nicht vergessen, dass Deutschland erst seit dem WK2 zum "Westen" gehört. Zuvor tat der Westen alles, um die Deutschen wie die Russen vom Tisch der grossen fernzuhalten. Und nach dem WK1 und der russ. Revolution waren beide sowieso die Parias.
Aus dieser Tradition rühren letztlich die antiwestlichen Ressentiments, die heute als Antiamerikanismus auch und besonders von der Linken (nicht nur der SED/PDS/Linkspartei) im Verein mit der extremen Rechten und gern immer mal mit Antisemitismus verwoben kultiviert werden. Lafontaine und Gysi stehen da in einer Traditionslinie mit Wilhelm II und Hitler und es ist keine Überraschung, dass Lafontaine die Einbindung Deutschlands in westliche Strukturen gerne wieder lösen würde und deshalb konsequenterweise den europäischen Verfassungsvertrag durch die PDS-Fraktion ablehnen liess.
Ja der Beitrag war ein Highlight.
Nur die Schlussbemerkung ist etwas überinterpretiert. Vermutlich hat Lafo nur die Europamüden hier mitnehmen wollen. In einer rot-rot-grünen Koalition mit einer Kanzlerin Nahles würde er schnell umschwenken.
F-W schrieb am 07.06.2008 00:54
Im Gegenteil, die Russen verhandeln nur auf Augenhöhe, wenn sie ihr Gegenüber respektieren. Und den Respekt hat sich Merkel verschafft. Sie wird den Russen länger und positiver in Erinnerung bleiben als Schröder. Schleimerei und mangelndes Selbstbewusstsein werten den Partner ab. Andererseits erwarten sie diesen Respekt auch von der anderen Seite.
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Aus dieser Tradition rühren letztlich die antiwestlichen Ressentiments, die heute als Antiamerikanismus auch und besonders von der Linken (nicht nur der SED/PDS/Linkspartei) im Verein mit der extremen Rechten und gern immer mal mit Antisemitismus verwoben kultiviert werden. Lafontaine und Gysi stehen da in einer Traditionslinie mit Wilhelm II und Hitler und es ist keine Überraschung, dass Lafontaine die Einbindung Deutschlands in westliche Strukturen gerne wieder lösen würde und deshalb konsequenterweise den europäischen Verfassungsvertrag durch die PDS-Fraktion ablehnen liess.
FW
Ich bin ja kein Freund Schröders.
Aber wie hat sich Merkel Respekt verschafft?
Mit was?
Worauf gründen sich die Behauptungen, die Russen würden Merkel länger als Schröder im Gedächtnis behalten?