Das Gewäsch aus Paris kann man getrost in die Tonne treten. Es erhebt ja den Anspruch, hinter der Politik Paris' stünde eine Art Strategie. Dem ist mitnichten so.
Erinnern wir uns, wann Paris die Rebellenregierung anerkannt hat. Es war als Gaddafi sich in Tripolis gegen die Aufständischen wehren musste und alle anderen Städte in deren Hand waren. Niemand gab auch nur noch einen Pfifferling auf Gaddafi. Zu dem Zeitpunkt sprangen auch hochrangige Paladine Gaddafis ab, die heute das Sagen in der Rebellenführung haben. Darunter auch der Geheimdienstchef, einer der Hauptverantwortlichen nach Gaddafi für den Polizeistaat, die Verfolgung und Vernichtung von Oppositionellen. Den Schwenk, der sich da vollzogen hat nenne ich nicht Strategie, sondern die Ratten verlassen das sinkende Schiff.
Wenn die auch nur im entfernsteten geahnt hätten, dass Gaddafi das Blatt noch mal so wenden kann, wären sie an Bord geblieben und Paris hätte die Opposition nicht anerkannt, nicht die UN-Resolution vorangetrieben und auch nicht die ausländische Intervention angezettelt.
Dass Deutschland in EU und NATO vor allem von osteuropäischen Staaten unterstützt wird (soweit zum Thema Isolation) liegt vor allem an dem seinerzeitigen Prozess gegen die bulgarischen Krankenschwestern. Es war Deutschland, das mit zäher Diplomatie die Frauen freiverhandelt und -gekauft hat. Nicht etwa Frankreich. Sarko hat nur im Handstreich seine Alte hingeschickt um den Applaus für etwas einzuheimsen, woran er nicht beteiligt war. Die Osteuropäer wissen das und vergessen das nicht. Desweiteren ist es so, dass die Drahtzieher des Schauprozesses, dessen Beschuldigungen zu 100% erstunken und erlogen waren, heute alle in der Rebellenführung sitzen. Alles Kumpels von Sarkozy aus Tagen als er noch Gaddafi herzte und dieser in Paris Campingurlaub machte.
DP: Ich bin mir sicher, zumindest Berlusconi hat sich durchaus Gedanken über die Flüchtlingssituation gemacht - wobei die kommen, ob nun eingegriffen wird oder nicht. Ansonsten können der Koalition die Folgen des Einsatzes zunächst mal egal sein. In die USA schwimmt sowieso keiner und den Aufbau des Landes wird schon die EU übernehmen. Sarkozy ist dann vermutlich eh abgewählt.
Wie sich der Konflikt entwickelt kann keiner von uns voraussehen. Vor Beginn der Einsätze ist die Front ostwärts gewandert und schließlich stand Bengasi kurz vor dem Fall. Inzwischen sind die Aufständischen dank Gleichheit der Mittel (keine schweren Waffen auf beiden Seiten, schlechte Kommunikation auf beiden Seiten) kurz vor der Einnahme Gaddafis Heimatorts Sirte und die Front wandert in Richtung Misrata.
Aus dem Umfeld Gaddafis hört man bereits, dass es Anfragen nach einem möglichen Exil-Ort geben soll. Das ist auch eine Strategie der Koalition: Den Aufständischen Helfen und wenn sie Gaddafi nicht sowieso erlegen, schafft man ihm mit einem 'Angebot, das er nicht ablehnen kann' ins Exil. Einen langen Bürgerkrieg will da niemand, weder aus wirtschaftlichen noch aus politischen Gründen. Das ist vermutlich auch der Grund, warum die Koalition nach dem Wegfall des türkischen Widerstands jetzt doch in der grauen Randzone der UN-Resolution agiert.
Ich bin auf die Rolle der Türkei gespannt, und wie sie sich ihre Kooperation vergüten lässt. Erdogan wird den Vorteil seiner Position zu nutzen wissen und könnte der lachende Dritte werden. Immerhin war Ostlibyen ja mal Teil des osmanischen Reiches. Wenn jemand Sarkozy in den Sack stecken kann, dann Erdogan.
Es sieht nun so aus, dass der Bürgerkrieg auf ein Patt hinauslaufen könnte, trotz der NATO-Unterstützung für die Rebellen.
Die Absicht vor allem Sarkozys, Gaddafi entgegen der UN-Resolution physisch zu vernichten (als Kollateralschaden getarnt) lässt sich wohl nicht verwirklichen. Wohl auch, weil die Amis sich mehrfach sehr deutlich gegen diese Vorgehensweise gewandt haben. Es wäre auch kurzsichtig, weil es in der arabischen Stimmungsmache gegen den Westen verwandt werden könnte. Ausserdem änderte es nichts an der Tatsache, dass der Gaddafi-Anhang im Westen des Landes gross ist und der Gaddafi-Clan darin eine entscheidende Rolle spielt.
Deshalb bleibt Gaddafi das grösste Hindernis für eine Verhandlungslösung in dem Krieg. Offensichtlich wird hinter den Kulissen heftig daran gearbeitet, ihm einen gesichtswahrenden Abgang zu verschaffen. Nicht leicht, weil er sich in der Vergangenheit mit praktisch jedem arabischen Potentaten überworfen hat und keiner ihn aufnehmen will.
Anscheinend will Frankreich die Rebellen massiv mit Waffen beliefern, um das Patt aufzulösen. Was die Zukunft Gaddafis angeht, sind sich die beratenden auf dem Treffen in London nicht einig gewesen. Die einen (z. B. Italien) sind für die Exillösung, während andere (z. B. die USA) ein Verfahren vor dem ISG in Den Haag wollen.
Immerhin gibt es jetzt Anstrengungen für eine Verhandlungslösung - wohl nicht zufällig in Katar.
Wer immer "Gadaffi aufnehmen" will muss wissen, dass er neben einem entsprechenden Hofstaat eine hundertköpfige Familie unterhält, die in Teilen exaltiert, gewalttätig und ihrerseits wieder eigene Truppen, politisch wie militärisch unterhält.
Die US wollen jetzt auch Waffen an die Rebellen liefern. Das altbewährte Rezept also und dabei noch etwas verdienen. Gadaffis Libyen wird bis dahin weiter geplündert und Gadaffi soll ja noch gigantische Goldreserven haben, da wird er sich noch ein gehöriges Waffenarsenal erkaufen können. China oder Iran wird sicher gern liefern und über die unkontrollierte Grenze nach Ägypten wird alles zu besorgen sein. Wenn es gut läuft züchten wir uns ein eigenes Afghanistan direkt an der Haustür heran.
Vielleicht erleben wir ja gerade die Wiederauferstehung des Kalten Krieges mit ihrer Länder-Einflusssphären-Gebietsaufteilung; Iran/China/Russland unterstützt die bisherige Regierung, der Westen das "freie Libyen". Wird höchstens schwierig, in der Wüste eine Mauer zu bauen.
ich halte den Artikel für oberflächlich. Ein Land hält im Prinzip eine ganze Menge Unterschied zwischen arm und reich aus, und die lybische Regierung hat die Öleinnahmen anscheinend recht großzügig verteilt: Freie Wohnungen, freie medizinische Versorgung, großzügige Aussteuer bei Hochzeiten, Stipendien für Auslandstudien, usw. Die UN war ja wohl anscheinend kurz vor einem großen öffentlichen Lob für das Regime.
Ich weiß nicht, inwieweit die großzügigen Gaben mit Gängelei und Korruption verwässert waren, aber die Flucht der Gastarbeiter hat gezeigt, dass es äußerst viel wirtschaftliche Aktivität und damit Arbeit und Chancen in Lybien gab. Das ist ein großer Unterschied zu den Vergleichsstaaten.
Mir ist die Entwicklungsgeschichte dieses sogenannten Bürgerkriegs nach wie vor schleierhaft, und ich bin davon überzeugt, dass dieser nicht ohne massive externen Einfluss passiert wäre. Trotzdem hat der Artikel mit seiner Vorhersage wohl recht: Die NATO-Beteiligten können gar nicht mehr zulassen, dass Ghadaffi wieder im Osten die Oberhand gewinnt. Nicht aus humanitären Gründen, sondern wegen der für ihre Investitionen daraus resultierenden fatalen Folgen.
Die Argumente in Bezug auf die hmanitäre 'Katastrophe' ist Heuchelei. Ghadaffi hat taktisch plasibel gleich nach dem Erlass der UN-Resolution einen Waffenstillstand und die Kontrolle durch UN-Beobachter gewollt. Die NATO hat das erfolgreich verhindert, das Konzept des wohl etwas naiven Medjedew (Bedingung für die Enthaltung Russlands im UN-Sicherheitsrat) ist nicht aufgegangen. Putin schäumt. Schleierhaft ist mir noch die Rolle der Türkei: Die USA haben sich kurzzeitig zurückgezogen, die Türkei sollte teilweise in die Bresche springen. Die Türkei wollte anfangs Mäßigung, jetzt höre ich nichts mehr von dort, die USA sind dagegen wieder aktiver.
Sonstige Bezüge auf Detailberichte würde ich völlig ignorieren. Wenn man das Ziel der NATO kennt, dann muss man sich ihre Propaganda nicht auch noch inhalieren.
Martin: Das sehe ich nicht so! Wirtschaftlich prosperierend ist Tripolis. Und wo gibt es keine Proteste gegen das Regmie? Tripolis! Aber was ist mit den anderen Städten?
Unterdrückung und Korruption allein reichen nicht für einen Aufstand, sonst müsste ja Saudi-Arabien auch vor dem Kollaps stehen. Die Triebfeder ist wie bei fast allen großen Revolutionen (z. B. der französischen) wirtschaftliches Elend - mit der Unterdrückung als Katalysator. Und der Auslöser war die Umsturzwelle im Mahgreb.
"Ghadaffi hat taktisch plasibel gleich nach dem Erlass der UN-Resolution einen Waffenstillstand und die Kontrolle durch UN-Beobachter gewollt."
Das ist doch ein schlechter Scherz! Gadaffi war kurz davor, die Rebellenhochburg Bengasi anzugreifen und den Aufstand niederzuschlagen. Wer dem Oberst der libyschen Armee auch nur ein einziges Wort glaubt, ist selber Schuld. Wieviele Waffenruhen gab es angeblich? Am Anfang wurde ja noch um ein letztes bisschen Glaubwürdigkeit gerungen, indem behauptet wurde, die Gegenseite hätte geschossen. Hinterher hat sich das Gadaffi-Regime nichtmal mehr darum gekümmert. Es gibt zwei Sachen, die Gadaffi gut kann: große Gesten und Reden.
Aber das Wort ist der Schatten der Tat und wenn man sich ansieht, was Gadaffi die ganze Zeit über gemacht hat, dann sieht man von Anfang bis Ende nur eins: Gnaden- und rücksichtslosen Kampf gegen die Aufständischen. Es hätte ein Massaker in Bengasi gegeben und auch eins in Misrata, daran habe ich keinen Zweifel. Was passiert, wenn man dem Regime freie Hand lässt, können wir derzeit sehr eindrucksvoll in Syrien sehen.
Sicher ist die Absetzung des Regimes Gadaffi oder seine gezielte Tötung nicht durch die UN-Resolution gedeckt. Aber wen interessiert das? Ähnlich wie Bin Laden hat Gadaffi in der Zivilisierten Welt jeglichen Kredit verspielt, nicht zuletzt durch das versuchte Verminen des Hafens von Misrata, das einzig und allein Hilfstransporten gelten kann. Deswegen wird es gegen den NATO-Militäreinsatz ähnlich wenig Protest geben wie gegen die kürzliche Tötung Bin Ladens durch Navy Seals.
Eine Arbeitslosenstatistik aus einer französischen Zeitung (habe ich nicht als Referenz), die ich im März gesehen habe, hat für Lybien ca. 9% Arbeitslosigkeit ausgewiesen, im Vergleich von über 15% in den anderen nordafrikanischen Staaten. Da kann die Arbeitslosigkeit außerhalb Tripoli's kaum viel höher gewesen sein, sollte man ein massives Ungleichgewicht annehmen.
Zitat Das ist doch ein schlechter Scherz! Gadaffi war kurz davor, die Rebellenhochburg Bengasi anzugreifen und den Aufstand niederzuschlagen.
Nein, dass Ghadaffi den Waffenstillstand wollte, war in Anlehnung an die russische Bedingung, die so aufgenommen worden war. Mit ein bisschen Denken muss das auch klar werden: Ghadaffi wollte auf jeden Fall lieber die Stellung halten, als die Zerstörung von militärischen Einrichtungen durch die NATO. Er wusste ja, welche Unterstützung die Rebellen mit der Resolution hatten. Ohne UN-Beobachter konnte die Gegenseite natürlich alles behaupten.
Es ist ja schon schön, wenn wir (der Westen) uns Lybien unter den Nagel reissen können, und meine BP-Aktien werden davon sicher profitieren, nur die Märchen drumherum sind für die Kinderchen.
Jedes Wort Gaddaffis für bare Münze und Ausdruck ehrlichen Verhandelns zu sehen finde ich fast naiver als einer Meldung der Tagesschau Glauben zu schenken. Natürlich spielt Gaddaffi auf der ganzen diplomatischen Klaviatur und spielt alles aus was er hat und wenn ihm da taktisch ein Waffenstillstand zu passe kommt wird er auch das machen. Vielleicht wird ja so ein Schuh draus; Gaddaffi wollte mit dem Waffenstillstand erreichen, dass die Nato nicht mehr bombt. Das militärische Übergewicht am Boden ausnutzend hätte er gleichzeitig gegenüber den Rebellen Fakten schaffen können (wie Lexx richtig vermerkte waren die gerade mit der Aufgabe beschäftigt). Nach der Beendigung der Auseinandersetzung weil sich die Rebellen ergaben wäre auch das UN Mandat obsolet. Die Arabische Liga hätte einer weiteren Mission dann auch kaum zugestimmt.
Ach und das Land, das sich die UNO unter den Nagel reissen möchte heisst übrigens Libyen.
was Ghadaffi sagt ist mir relativ gleichgültig. Ich hatte die Situation hier am 21.3. schon kurz kommentiert und die Abläufe zu der Zeit auch einigermaßen aufmerksam verfolgt. Ich hatte mich nämlich gewundert, warum Moskau und Peking nicht gegen die UN-Resolution gestimmt hatten - ich hatte das für außergewöhnlich gehalten. Deren (zumindest Moskaus) neutrale Haltung ist nur erklärbar, wenn man annimmt, dass sie damit rechneten, dass der Waffenstillstand funktioniert. Ghadaffi hatte von einer Weiterführung der Kämpfe keinen Vorteil zu erwarten. Das war so klar, dass es sogar die 'Rebellen' erkannten. Moskau ist über den Tisch gezogen worden. Ghadaffi ist hier nur noch Statist. Die gelegentlich auftauchenden Ängste vor einer lybischen Chemiewaffe sehe ich auch nur taktischer Natur: Sollte sie eingesetzt werden, wird Tripoli platt gemacht. Auch das weiß Ghaddafi genau.