Was die finanzielle Sinnhaftigkeit angeht, sollte man den Bahnhof und die Strecke nach Ulm trennen.
Der Bahnhof ist ambitioniert, visionär und groß - ein typisches Prestigeprojekt. Selbstverständlich könnte man einen Bahnhof auch für weit weniger Geld unter die Erde verlegen. Er wäre dafür hinterher nicht so ein Vorzeigebauwerk, wie er es jetzt wird. Größenwahn ist natürlich für den Steuerzahler schlecht. Aber auf der anderen Seite hat uns Größenwahn Bauwerke verschafft, die wir heute schätzen und die zum Weltkulturerbe gehören.
Bei der Strecke nach Ulm kann man dagegen ganz rational eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachen. Und die sieht zur Zeit immer schlechter aus, hat doch jüngst eine Studie der Grünen festgestellt, dass die Strecke nach Ulm aufgrund des Albaufstiegs statt 2,9 doch 5,3 Mrd. € kosten soll.
Das steht im Einklag mit einer früheren Studie (die hier wimre auch diskutiert wurde), die hohe finanzielle Risiken und wahrscheinliche Mehrkosten in ähnlicher Höhe für das Projekt gesehen hat.
"Für die Stuttgarter selbst bietet sich bei eh beengten Platzverhältnissen gestaltbarer Landgewinn, für den der Preis, den die Stuttgarter bezahlen, angemessen ist."
Das sehen die Stuttgarter anscheinend zunehmend anders.
Ich habe gerade eine ähnliche Situation, hier wird eine Autobahn dreispurig ausgebaut. Dafür habe ich jetzt jeden Tag hin und zurück jeweils eine halbe Stunde Stau, bzw. muss mich über Nebenstrassen schleichen, und das noch bis 2014.
Dafür bekomme ich dann hoffentlich ab 2014 eine frei Strecke auf ganzen 4 km, gesparte Zeit ca. 4 Minuten, wobei die Erfahrung zeigt, dass es dann nur ein neues Nadelöhr gibt.
Ehrlich gesagt ist mir das den Stress bis dahin nicht wert.
Und ich denke viele Stuttgarter werden das ähnlich sehen. Chaos, Staus und Stress auf Jahre hinaus mit der Option irgendwann mal ein paar Minuten auf der Strecke nach Ulm zu sparen ist anscheinend keine attraktive Option.
Für das Geld ein paar zusätzliche neue Züge (vielleicht sogar mit Klimaanlage) im Nahverkehr würde vielen wohl viel mehr bringen, weniger Kosten und wäre viel schneller zu realisieren.
Man mag sich natürlich über die vielen neuen Geschäfte freuen, die da hoffentlich kommen werden. Nur, ist es nicht gerade Aufgabe des Staates, Geschäften eine Bleibe zu schaffen.
die Motive mancher Menschen sind nicht immer nachvollziehbar, vielleicht ist vielen Stuttgartern jetzt nur unangenehm zugute, weil ihre Stadt in den überregionalen Nachrichten auftaucht. S21, die Randbedingungen und die Folgen werden nicht erst seit vier Wochen diskutiert, und eine Bevölkerung kann sich nicht mal so einfach aus der Verantwortung schleichen. Projekte, die 20 Jahre Vorbereitung kosten mit allen rechtlichen und planerischen Randbedingungen können nicht dem temporären Zeitgeist geopfert werden, der durch Agitatoren mal so geschürt wird. Die Bevölkerung kann nicht Politiker und Planer die Drecksarbeit machen lassen um diese dann im Regen stehen zu lassen. Am feigsten präsentiert sich ja zur Zeit die SPD. Offensichtlich ist da einigen Stuttgartern der Bezug zur Realität verloren gegangen, oder sie müssen erst mal zur Besinnung kommen.
Die Regierung hat keine andere Wahl, als das Projekt durchzuziehen, selbst um den Preis des Verlusts der Regierungsmehrheit. Wenn es dann tatsächlich um die Landtagswahl geht, dann wird sich der einzelne Bürger an mehr als S21 orientieren. Ich frage mich, warum sich in Ravensburg, Aalen, Karlsruhe ein Wähler wegen Bauaktivitäten in Stuttgart für die Grünen entscheiden soll.
Martin: Das wäre eine Suggestivfrage und daher für eine repräsentative Umfrage ungeeignet.
►"Die Regierung hat keine andere Wahl, als das Projekt durchzuziehen, selbst um den Preis des Verlusts der Regierungsmehrheit."◄
...oder die SPD bringt ihre Vorbereitungen für einen Volksentscheid zuende, der dann natürlich negativ ausfällt. Dann MUSS das Projekt eingestampft werden und weitere Millarden tauchen im Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler auf.
Kater ►"Für das Geld ein paar zusätzliche neue Züge (vielleicht sogar mit Klimaanlage) im Nahverkehr würde vielen wohl viel mehr bringen, weniger Kosten und wäre viel schneller zu realisieren."◄
Der Nahverkehr hat aber mit der Bahn nur mittelbar etwas zu tun. In NRW werden gerade die "alten" x-Wagen durch Triebzüge ersetzt. Wo die privaten übernommen haben sind das FLIRT, LINT und TALENT. Bei der Bahn ist es die Baureihe 423. Die Kosten teilen sich Bahn und Nahverkehrsverbünde.
Ich sehe überhaupt keinen Grund, warum man Projekte mit 20 Jahren Vorlauf nicht stoppen soll, wenn sich die Rahmenbedingungen, in dem Fall eben die fehlende Zustimmung der Bevölkerung oder die drohende Kostenexplosion oder oder oder, ändern.
Gerade bei Projekten mit so einer langen Laufzeit muss es die Möglichkeit geben, die Reissleine zu ziehen.
Von daher ist der Zeitpunkt kurz vor Baubeginn, wenn man alle Zahlen, Daten und Fakten auf dem Tisch hat, genau der richtige, um noch mal in sich zu gehen und zu überlegen, ob man das alles überhaupt so möchte.
Zitat von Kater Ich sehe überhaupt keinen Grund, warum man Projekte mit 20 Jahren Vorlauf nicht stoppen soll, wenn sich die Rahmenbedingungen, in dem Fall eben die fehlende Zustimmung der Bevölkerung oder die drohende Kostenexplosion oder oder oder, ändern. Gerade bei Projekten mit so einer langen Laufzeit muss es die Möglichkeit geben, die Reissleine zu ziehen. Von daher ist der Zeitpunkt kurz vor Baubeginn, wenn man alle Zahlen, Daten und Fakten auf dem Tisch hat, genau der richtige, um noch mal in sich zu gehen und zu überlegen, ob man das alles überhaupt so möchte.
Wenn man jedes Projekt beenden will nur weil ein paar spiessige Hinterwäldler Bedenken haben kann man die Investitionstätigkeit in Deutschland gleich beenden. Dann gibts keine Autobahnen mehr und keine Flughäfen und ICE Strecken schon gar nicht. Denn das sind alles teure Grossprojekte mit für verschiedene Einzelpersonen möglicherweise geringem Nutzen. Also ich finde nicht, dass man jedem dahergelaufenen Bedenkenträger gehorchen muss und schon gar nicht repräsentiert der irgendwelchen Volkswillen. Gerade Projekte mit 20 Jahren Vorlauf kann man nicht einfach nach einer Meinungsumfrage beenden, das ist völlig absurd.
Zitat von Kater"Vielleicht sind es aber auch Leute, die zum Steueraufkommen und zur Wirtschaft ansonsten nicht allzuviel beitragen" Wenn von meinen Steuern solche Summen ausgegeben werden sollen, reicht eine Verbesserung der Fahrzweiten zwischen Paris und Prag (als ob da irgendwer mit dem Zug fährt) um 20 Minuten nicht aus. Dafür muss schon etwas mehr kommen, als dass Vor- und Nachteile sich irgendwie die Waage halten.
Die Vorzüge von S21 auf einen kleinen Zeitgewinn bei einer ganz bestimmten Fahrt zu reduzieren (wo, nebenbei gefragt, kommen eigentlich die 20min her?), wird der Sache nun wirklich nicht gerecht.
Besonders der Tunnel Richtung Fildern wird erhebliche Verbesserungen bei den verschiedensten Bahnfahrten bringen, teilweise 40-50 Minuten Zeitersparnis. Dazu kommt die immense Verbesserung der Innenstadtqualität - schonmal einen Blick auf das heutige Bahnhofsvorfeld geworfen? Und der Güterverkehr, der zu einem Gutteil die Feinstaubproblematik verursacht, wird auch aus der Innenstadt verbannt.
Dazu kommt, dass der neue Tiefbahnhof bedeutend unempfindlicher gegen Störungen bei Weichen und Gleisen wird. Wer regelmäßig von/nach Stuttgart HbF reist, wird ein Lied von den Verspätungen singen können, die täglich dort aufgrund der Überkompliziertheit des Gleissystems auftreten. Besonders lustig, wenn man dann am vorgelagerten Bahnsteig aussteigen darf und etwa 2km Fußmarsch zum Umsteigebahnsteig vor sich hat.
Und eines darf man auch nicht vergessen: kommt S21 nicht, muss der alte Bahnhof dringend renoviert werden, genauso wie die Gleisanlagen, hier wird seit Jahren auf Verschleiß gefahren in Erwartung von S21. Es ist also mitnichten so, dass die Kosten komplett eingespart werden. Kommt S21 nicht, wird mindestens die Hälfte der Kosten trotzdem anfallen, allerdings ohne den dazugehörigen Gewinn.
Zitat Und die Stuttgarter sind ja an den Kosten indirekt immer beteiligt. Diese schöne Kalkulation, dass ja die Bahn und der Bund den grössten Teil zahlt, ist ja reichlich bescheuert, das sind letztlich auch allles Steuern. Und wenn ich mir gerade im Schwabenländle die Verkehrssituation sonst so ansehe, gibt es da durchaus eine Menge Potential für Verbesserungen.
Das Ländle wartet schon seit Jahrzehnten auf Verbesserungen in der Verkehrsinfrastruktur, die der wirtschaftlichen Bedeutung des Landes angemessen wären. Kommt S21 nicht, ändert sich an den anderen Projekten aber auch nichts. Für die Stuttgarter ist es also endlich mal die Chance, sich ein paar Dinge zurückzahlen zu lassen von den Schnorrern des restlichen Bundesgebietes (und Europas, nebenbei bemerkt).
Allerdings gibt es regelmäßig gehörigen Widerstand gegen Infrastrukturprojekte aller Art. Erweiterung Flughafen, Neue Messe auf den Fildern, Pragsatteltunnel, Rosensteintunnel und B14-Deckelung waren die letzten Projekte, gegen die sich auch reger Protest entwickelte. Hat leider den Rosensteintunnel gekillt, genauso wie die komplette B14-Deckelung - jetzt stehen wir halt weiter im Stau, oder sogar noch verschärft, weil doch tatsächlich mitten auf der B14 Fußgängerampeln aufgestellt wurden.
"Also ich finde nicht, dass man jedem dahergelaufenen Bedenkenträger gehorchen muss und schon gar nicht repräsentiert der irgendwelchen Volkswillen. Gerade Projekte mit 20 Jahren Vorlauf kann man nicht einfach nach einer Meinungsumfrage beenden, das ist völlig absurd."
Also gerade in Deiner geliebten Schweiz :) wäre das doch wohl gar kein Problem. Da würde man eine Volksabstimmung starten und dann wäre das Thema durch, so oder so. Bei den endlagern (um ein anderes schwieriges Thema aufzugreifen) wurde das ja anscheinend genau so gemacht.
Letztlich würde man mit so einer Lösung Klarheit schaffen. Vor Baubeginn solcher Mammutprojekte kann/soll noch eine Volksabstimmung stattfinden. Wenn die dann in die eine oder andere Richtung ausgeht, muss sich der Verlierer eben damit arrangieren und was anderes vorschlagen.
Das würde bei so manchem Projekt die wirklichen Wünsche der Bevölkerung sichtbar machen, im Falle des Stuttgarter Hauptbahnhofs kann es ja z. B. durchaus sein, dass die eine Mehrheit für den Bau bekommen, dann hätten die Demonstranten kaum noch eine Rechtfertigung.
Steffen: Ich war ewig nicht in Stuttgart und habe eigentlich gar keine Meinung zum Sinn oder Unsinn dieser Massnahme. Was ich darüber weiss, weiss ich aus den Medien oder eben hier aus dem Forum. Aber was mir schon auffällt, ist, dass wir in Deutschland anscheinend keine wirkliche Lösung haben, wie man die Bevölkerung bei Grossprojekten einbindet. Die derzeitige Lösung, dass sich Gegner und Befürworter solcher Projekte gegenseitig durch die Gerichte klagen, bis dann einer von beiden ein Urteil gemäss irgendwelcher formalen Regeln hat und sich dann im Recht fühlt, kann es ja nicht sein. Vor allem, weil nach einem 20jährigen Gerichtsmarathon beide Seiten sich so eingebunkert haben, dass sinnvolle Kompromisse unmöglich sind.
"Besonders der Tunnel Richtung Fildern wird erhebliche Verbesserungen bei den verschiedensten Bahnfahrten bringen, teilweise 40-50 Minuten Zeitersparnis. Dazu kommt die immense Verbesserung der Innenstadtqualität - schonmal einen Blick auf das heutige Bahnhofsvorfeld geworfen?"
Wieso baut man den ICE oder Güterbahnhof dann nicht ausserhalb ? Muss man denn wirklich die ganzen Züge durch den Stuttgarter Kessel leiten ?
Dann könnte man sich den ganzen Schlamassel sparen.
Zitat von Kater Also gerade in Deiner geliebten Schweiz :) wäre das doch wohl gar kein Problem. Da würde man eine Volksabstimmung starten und dann wäre das Thema durch, so oder so. Bei den endlagern (um ein anderes schwieriges Thema aufzugreifen) wurde das ja anscheinend genau so gemacht. Letztlich würde man mit so einer Lösung Klarheit schaffen. Vor Baubeginn solcher Mammutprojekte kann/soll noch eine Volksabstimmung stattfinden. Wenn die dann in die eine oder andere Richtung ausgeht, muss sich der Verlierer eben damit arrangieren und was anderes vorschlagen. Das würde bei so manchem Projekt die wirklichen Wünsche der Bevölkerung sichtbar machen, im Falle des Stuttgarter Hauptbahnhofs kann es ja z. B. durchaus sein, dass die eine Mehrheit für den Bau bekommen, dann hätten die Demonstranten kaum noch eine Rechtfertigung.
Kater, du verstehst mich miss, ich habe nichts gegen eine Abstimmung zum Thema und tatsächlich ist das hier Gang und Gäbe, aber eben bevor der Abrissbagger die Arbeit beginnt und nicht nachher. Ein Beispiel; in unserem Dorf will man eine Scheune zu einer Art Partyraum ausbauen. Kosten für die Offerte: CHF 45,000.- Abstimmung im Gemeindesaal: dafür. Offerte wird erstellt. Kostenvoranschlag: CHF 1,5m. Abstimmung im Gemeindesaal: dafür (nach hitziger Debatte). So fertig und nun wird gebaut. Und da nützt es auch nichts, wenn sich ein Bartträger mit Nickelbrille vor die Scheune ankettet, der wird dann untergepfügt (wurde auch vorher beschlossen).
Aber was mir schon auffällt, ist, dass wir in Deutschland anscheinend keine wirkliche Lösung haben, wie man die Bevölkerung bei Grossprojekten einbindet. Die derzeitige Lösung, dass sich Gegner und Befürworter solcher Projekte gegenseitig durch die Gerichte klagen, bis dann einer von beiden ein Urteil gemäss irgendwelcher formalen Regeln hat und sich dann im Recht fühlt, kann es ja nicht sein. Vor allem, weil nach einem 20jährigen Gerichtsmarathon beide Seiten sich so eingebunkert haben, dass sinnvolle Kompromisse unmöglich sind. Gruss Kater
In Stuttgart scheint das ja noch absurder zu sein. Wenn ich das richtig verstanden habe sind alle juristischen Möglichkeiten bereits abgearbeitet und die Bauherren haben eine saubere, nicht mehr anfechtbare Baugenehmigung. Zudem war wohl der Widerstand der Bürger die ganzen zig Jahre Planungsvorlauf überschaubar und es gab kaum Klagen vor den Gerichten.
Ich vermute mal, dass der Anlass des Bürgerzorns eher zufällig das Bahnhofsprojekt ist. Es war halt an der Zeit, dass die Stuttgarter auch mal gegen was protestieren. Die spinnen, die Stuttgarter.
Zitat von F-WIch vermute mal, dass der Anlass des Bürgerzorns eher zufällig das Bahnhofsprojekt ist. Es war halt an der Zeit, dass die Stuttgarter auch mal gegen was protestieren. Die spinnen, die Stuttgarter. FW
Genau, das ist mein Eindruck. Da geht es nicht um vordergründig rationale Argumente. Das ist ein zufällig passendes Projekt, an dem sich einige nichtsnutzige Wohlstandszöglinge selbstverwirklichen können. Ich bin mal gespannt, ob sich auch mal einige Stuttgarter äußern, die S21 wollen.