Ng: "Deshalb werden die größeren Orte wohl gehalten und Leute anlocken, während man die kleinen Orte halt aussterben lässt."
Ähem... meine Stadt gehört zu den 20 größten in Deutschland. Von "kleinem Ort" kann da nicht die Rede sein. Tatsächlich sinkt die Bevölkerungszahl in vielen großen Städten, wenn die nicht besonders attraktiv sind.
Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt a. M., Stuttgart, Düsseldorf, Leipzig, Nürnberg, Dresden, Bonn haben steigende Einwohnerzahlen
Essen, Dortmund, Bremen, Duisburg, Bochum, Wuppertal, Bielefeld haben sinkende Einwohnerzahlen.
Hannover, Mannheim haben stagnierende Einwohnerzahlen.
Ok, der Trend ist nicht so deutlich, wie ich gedacht habe. Wobei das "besonders attraktiv"-Argument mindestens für Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart und Düsseldorf gilt.
Zitat Ähem... meine Stadt gehört zu den 20 größten in Deutschland. Von "kleinem Ort" kann da nicht die Rede sein.
Das bezog sich ja auf deine Bedenken bezüglich der Infrastrukturen. Die wird man in den größeren Orten leichter und lieber erhalten können, was die Orte dann wieder anziehender macht / machen könnte.
Zitat Tatsächlich sinkt die Bevölkerungszahl in vielen großen Städten, wenn die nicht besonders attraktiv sind.
Ng: ►"Die wird man in den größeren Orten leichter und lieber erhalten können, was die Orte dann wieder anziehender macht / machen könnte."◄
Die "überschüssige" Infrastruktur belastet die Finanzhaushalte dieser Städte. Die Verlagerung der Wohnbebauung in die Außenbezirke erhöht den Individualverkehr und damit die Instandhaltungskosten für die Straßen. Gleichzeitig mit der Einwohnerzahl auch die Einnahmen der Stadt zurück. Das versucht sie, durch Verkauf teuren Baugrunds in den Außenbezirken zu kompensieren, was dann wieder die laufenden Kosten für Infrastruktur erhöht.
►"Wobei "attraktiv" natürlich Ansichtssache ist ;)"◄
Attraktivität misst sich in erster Linie in Arbeitsmöglichkeiten und Lebensqualität. Dabei sind oft selbstverstärkende Effekte am Werk. Berlin wächst, weil es wächst. Das Prestige der Stadt als Hauptstadt sorgt für die Ansiedlung hochwertiger Wirtschaftsbetriebe (Nobelhotels, Luxus-Geschäfte, u. ä.) weil die in Berlin sein "müssen", was wiederum die High-Society anlockt und Geld in die Stadt bringt. Auf der anderen Seite hat Berlin eine große kulturelle Vielfalt, von den Villenvierteln über Aussteiger-Quartiere bis hin zu Ghettos.
München hat zwei Universitäten von Weltrang und touristisch bedingt viel Gewerbe (Gastronomie, Geschäfte), Köln ist ein Zentrum für Medienunternehmen (WDR, RTL, Sat1, u.a.) und bietet ebenfalls viel Kultur (Karneval, "Kölsche Lebensart"), Frankfurt hat sein Finanzzentrum und den Flughafen, "Stuttgart zählt zu den einkommensstärksten und wirtschaftlich bedeutendsten Städten Deutschlands und Europas", Düsseldorf ist schuldenfrei und Einkaufszentrum.
Durch die Zuwanderung steigen Mieten und Grundstückspreise und das verschiebt die soziale Gewichtung zu den höheren Einkommen.
Essen, Dortmund, Duisburg, Bochum und Wuppertal haben dagegen den Strukturwandel und dadurch bedingt viel Brachfläche. Die Grundstückspreise und Mieten sinken durch die Abwanderung zusätzlich, wodurch die hohen Einkommen wegziehen (nach Düsseldorf und Köln z. B.) und die niedrigen Einkommen bleiben, weil die Lebenshaltung günstiger ist. Damit gehen die Umsätze im Einzelhandel zurück und die Innenstadt verliert an Bedeutung. Billig- und Ramschläden machen sich breit, wo in anderen Städten Luxus- und Modeartikel verkauft werden und die hohen Einkommen fahren zum Einkaufen woanders hin.
Diese Darstellung ist sicherlich nicht vollständig und vermutlich auch nicht 100%ig korrekt, aber sie illustriert den Mechanismus, der da am Werk ist.
@Lexx: *nick* Alles nicht unwahr. Aber Wandel ist halt immer irgendwo. Bevölkerungswachstum macht auch Probleme. Anpassung oder ein innovativer eigener Weg ist da gefragt. Wie das Karnickel vor der schlange zu erstarren, bringt nichts.
Ist vergleichbar mit dem Klima- und Meeresspiegelerhöhungskram. Anstatt krampfhaft zu verteidigen, was man Meer und Fluss geraubt hat oder gar an das Märchen vom anthropogenen Klimawandel zu glauben und Glühbirnen zu verbieten, sollte man da auch eher in Anpassung an die Realität investieren.
Ng: "Anpassung oder ein innovativer eigener Weg ist da gefragt. Wie das Karnickel vor der schlange zu erstarren, bringt nichts."
Das ist doch genau mein Reden. Die Bundespolitik steht wie das Kaninchen vor der Schlange, ist hin- und hergerissen zwischen den schon eingetretenen Folgen und anderen aktuellen Problemen und am Ende kommt nichts oder viel zu wenig raus.
Und DANN wird der Bevölkerungsrückgang zu einem Problem.
das Problem tritt ja nicht schlagartig von heute auf morgen ein, sondern allmählich. Insofern haben alle Akteure die Chance, sich darauf einzustellen. Wer heute aktionistische Programme fordert, hat unter Umständen ganz andere Interessen, als einem an die Wand gemalten Problem abzuhelfen.
Zitat Der demographische Wandel ist schon seit Jahrzehnten etwas, dessen sich die Politik nur unzureichend annimmt. Seit Jahrzehnten wird am Rentensystem nur oberflächlich herumgedoktort, obwohl längst klar ist, dass das Modell Generationenvertrag letztlich in den Zusammenbruch des Rentensystems führt. Die Einführung von Riester- und Rürup-Rente war vielleicht nicht handwerklich, aber prinzipiell die erste in die richtige Richtung gehende Änderung am System.
Der Rentenbeitrag, den ich demnächst monatlich zahlen muss, wird für mich verlorenes Geld sein, weil ich niemals so viel Rente bekommen werde, wie ich an Beiträgen vorher gezahlt habe. Ich verlasse mich daher nur auf die private Vorsorge.
Es ist ja nicht so, dass die Politik hier gar nichts machen will. So zaghafte Versuche wie Rente mit 67 gibt es ja schon, wobei die linken Demagogen damit die SPD an die Wand spielen wollen. Münte war es ja meines Wissens, der dieses Projekt auch gegen starke Widerstände in seiner Partei durchgeboxt hatte.
Wenn du sagst, du betreibst private Vorsorge, ist das sicher der richtige Weg. Du wirst u.U. nur frustriert sein, was dir als Angestelltem unser System unterm Strich dafür übrig lässt. Du musst dann zwangsläufig 'Riestern' um deine Vorsorge steuerlich absetzen zu können, dabei sind diese Produkte zum großen Teil eher schlecht.
OT: Übrigens betrachte ich speziell universitäre Forschung nicht per se als zum Wasserkopf der Gesellschaft zugehörig. So einfach ist das nicht, sicher finanziert deine Uni ihre Vorhaben zu gutem Teil durch Drittmittel aus der Wirtschaft, die von den Ergebnissen profitieren will.
Spock: Den öffentlichen Dienst generell als Wasserkopf zu bezeichnen halte ich für reichlich übertrieben. Zum ÖD gehören Polizei, Feuerwehr, ÖPNV, Schulen und Hochschulen. Das sind m.E. alles keine überflüssigen Dinge. Ich bin der Meinung, dass Grundlagenforschung etwas ist, das sich jede Gesellschaft leisten muss, wenn sie sich weiter entwickeln will. Daher halte ich auch universitäre Forschung generell für nicht wasserköpfig. Aber das wird für diesen Thread jetzt vielleicht zu philosophisch.
Ich hatte den Umgang mit dem demographischen Wandel als Analogie angeführt, warum ich nicht glaube, dass die Politik angemessen mit den Folgen des Bevölkerungsrückgangs umgehen wird. Ja, 'zaghafte' Versuche hat es gegeben. Aber Meistens zerreiben sich die Parteien in Parteitaktik und/oder Wahlkampf dermaßen, dass am Ende keine weitsichtigen, sondern meist kurzsichtige und opportunistische Kompromisse rauskommen. Ein Musterbeispiel dafür ist die Außerkraftsetzung der Rentenkopplung an die Löhne. Die fällige Senkung der Rente wurde verhindert und soll ausbleibende Rentenerhöhungen ausgeglichen werden. Man hat also jetzt Geld ausgegeben, um in der Zukunft zu sparen. Wenn in ein paar Jahren die Rentner über die ausbleibenden Erhöhungen schimpfen, wird vermutlich das nächste Geschenk fällig.
Ein schlüssiges Konzept, wie man den überholten Generationenvertrag ersetzen kann, bleibt dagegen aus.
Ähnliches prognostiziere ich den Folgen des Bevölkerungsrückgangs. Der "Erhalt von Arbeitsplätzen" ist in der Politik ein Totschlagsargument. Dabei fokussiert sich alles auf aktuell gefährdete Arbeitsplätze und es wird teilweise eine Menge Geld dafür ausgegeben, sie zu erhalten (Holzmann, Nokia, Zeitarbeit, Abwrackprämie, usw.). Darüber, dass in Zukunft Arbeitskräfte fehlen könnten, wird dagegen m.E. viel zu wenig nachgedacht. Dabei hat man hier eine lange Vorlaufzeit. Die Alliierten im zweiten Weltkrieg haben sich gefragt, warum die Wehrmacht auch die Panzerbesatzungen tötet und nicht nur die Panzer zerstört. Dahinter steckte Kalkül: Einen Panzer kann man in einigen Monaten neu bauen; Ein neuer Panzerfahrer benötigt dagegen 18 Jahre. Die heute Politik konzentriert sich im Moment voll und ganz darauf, genug Panzer bereitzustellen, und vergisst dabei die Ausbildung der Fahrer.
Die Folgen: Bei 50% aller Lehrstellen werden die Azubis nachgeschult. 1/3 der Ausbildungsplätze bleibt unbesetzt, weil sich keine geeigneten Bewerber finden. Das ist schon HEUTE so.
Zitat Ich bin der Meinung, dass Grundlagenforschung etwas ist, das sich jede Gesellschaft leisten muss, wenn sie sich weiter entwickeln will. Daher halte ich auch universitäre Forschung generell für nicht wasserköpfig. Aber das wird für diesen Thread jetzt vielleicht zu philosophisch.
Finde ich nicht. Grundlagenforschung ist sehr wichtig - auch in den Bereichen, in denen man vielleicht nicht gleich sehen kann, ob und welchen Profit es mal geben wird.
Zitat Ein schlüssiges Konzept, wie man den überholten Generationenvertrag ersetzen kann, bleibt dagegen aus.
Willst du 100%ig privatisieren? Grundrente auf Hartzniveau und der Rest ist Privatsache?
Zitat Die Folgen: Bei 50% aller Lehrstellen werden die Azubis nachgeschult. 1/3 der Ausbildungsplätze bleibt unbesetzt, weil sich keine geeigneten Bewerber finden.
Was aber auch oft am schlechten Angebot liegt. In den letzten Jahr(zehnt)en haben sich bei vielen Ausbildungsberufen die Aufstiegschancen oder gar die Chancen, überhaupt einen Job in dem Beruf zu finden, sehr verschlechtert. Dass junge Menschen sowas scheuen, wie der Teufel das Weihwasser, sollte einleuchten.
Zitat von Lexx Ein Musterbeispiel dafür ist die Außerkraftsetzung der Rentenkopplung an die Löhne. Die fällige Senkung der Rente wurde verhindert und soll ausbleibende Rentenerhöhungen ausgeglichen werden. Man hat also jetzt Geld ausgegeben, um in der Zukunft zu sparen. Wenn in ein paar Jahren die Rentner über die ausbleibenden Erhöhungen schimpfen, wird vermutlich das nächste Geschenk fällig.
Ein schlüssiges Konzept, wie man den überholten Generationenvertrag ersetzen kann, bleibt dagegen aus.
Wobei "schlüssig" in deinem Duktus nur bedeuten kann, die lästigen Rentner an den Rand zu schieben, damit sie mit grosszügigen Rentenkürzungen Platz machen für die jungen Leistungsträger.
Ich habs glaube ich weiter oben schon mal gesagt, deine weitschweifige Kritik gegenüber der Politik ist am Ende nichts weiter als eine Forderung nach Lobbyismus. Meine Eltern (70) fordern übrigens dasselbe. Ein schlüssiges Konzept müsste aber beiden gerecht werden, nicht nur dir und deiner Generation.
"Wobei "schlüssig" in deinem Duktus nur bedeuten kann, die lästigen Rentner an den Rand zu schieben, damit sie mit grosszügigen Rentenkürzungen Platz machen für die jungen Leistungsträger."
Erstmal würde es ja reichen, nicht permanent Sondergeschenke an die Rentner zu machen. Wie soll man in irgendeiner Generation Verständniss für Massnahmen bekommen, wenn das doch immer wieder ausgehebelt wird ? Und wenn man sich ansieht, dass Verschärfungen für die jüngere Generation eher selten rückgängig gemacht werden, gibt es da schon ein eklatantes Missverhältniss, was die Beiträge zur Lösung des Problems angeht.
Wobei Reformen sowieso schon meistens zu Lasten der jüngeren Generationen gehen.
DP: Ein schlüssiges Konzept muss den Ausstieg aus dem Generationenvertrag beinhalten. Denn der führt zwangsläufig zum Zusammenbruch des Systems, das weißt du genauso gut wie ich. Dummerweise wird dieser Ausstieg teuer, weil nie Rücklagen für die (vorhersehbar) steigenden Kosten gebildet wurden. Diese Kosten muss irgendwer tragen. Entweder die Rentner, deren Kaufkraft dann sinkt und die sich vom Staat betrogen fühlen. Oder die Erwerbstätigen, die mit höheren Steuern und Abgaben belastet werden, ohne dafür eine entsprechende Gegenleistung zu bekommen. Das ist ein Dilemma, denn beide Seiten können gute Argumente anbringen.
Du behauptest, mit weiter an die Löhne gekoppelten Rentensätzen würden Rentner an den Rand gedrängt. Das kann ich nicht nachvollziehen. Die heutigen Rentner sind bekanntermaßen die Generation mit der geringsten Armut. Warum soll es richtig sein, deren Kaufkraft gegenüber dem Rest der Bevölkerung noch zu erhöhen? Genau das hat man mit der Aussetzung der Rentenkürzung nämlich getan.
Spätestens mit der Schuldenbremse und deren verfassungsrechtlicher Durchsetzung ist für solche Geschenke vom "Staat" (wer ist denn der Staat?) kein Spielraum mehr da. Dann kann nur noch umverteilt werden. Und dann müssen die Rentenkosten fair zwischen allen Seiten verteilt werden. Wie das genau aussieht, können wir hier gerne diskutieren.
Eine radikale Möglichkeit (von der ich weder behaupte, dass sie gut ist, noch, dass sie schlecht ist) wäre, ab einem Stichtag die Beschäftigten aus dem System rauszunehmen. Wer ab dem x.x.20xx anfängt zu arbeiten hat keine Rentenbeiträge mehr, muss aber auch selbst vorsorgen. ODER jeder zahlt dann an den Staat in eine persönliche "Kasse". Das Geld wird vom Staat angelegt und zu Beginn der Rente wird dann anhand dieser Kasse, ggf. modifiziert mit Faktoren (für den solidarischen Charakter), die Rentenhöhe berechnet. Die Renten des alten Systems werden aus Steuermitteln bezahlt, bis keine Rentner mehr übrig sind.