kater_5 schrieb am 16.10.2008 17:18
"Btw, nachvollziehbar, aber eben Ansichtssache, weil jeder alles Moegliche (sei es materiell oder ideell wie zb Freiheiten) zum Wohle weniger, einiger, vieler oder aller anderen Buerger enteignen wollen koennte. Grenzen setzen ist da schwierig.."
Yep. Lange Zeit war das wenigstens auf staatliche Aufgaben begrenzt, wie Autobahnbau aber eben auch für die Trassen von damals staatlichen EVU oder ähnliches.
Heute, wo vieles privatisiert ist, wird diese Möglichkeit aber auch gerne für private Firmen eingesetzt (z. B. für ein Messegelände, aber eben auch die privaten EVU) wo ich das reichlich fragwürdig finde. Da werden dann Leute enteignet, damit andere Profit machen können. Richtig pervers wird es dann, wenn die Gemeinden zu Spottpreisen enteignen, um das dann als Bauland teuer zu verkaufen.
*nick* Wobei aber auch deine beiden Beispiele streiten lassen koennen, denn ggf. ist es auch von Interesse der Buerger, dass ein privates EVU Leitungen legen kann bzw. die "Umandlung" zu teurem Bauland kann bezueglich der Stadtentwicklung von allgemeinen Interesse sein.
(Btw, Privatisierung ist ja im Prinzip auch nur eine Art von Enteignung, wenn da kommunale Betriebe oder Grundstuecke (die ja eigentlich dem Buerger gehoeren) in die privaten Haende transportiert werden.)
Diesem Dilemma könnte man leicht begegnen, indem ein Eigentümer erst einen regulären Verkauf in Höhe des Marktwertes (plus X) abgelehnt haben muss, ehe man ihn - gegen entsprechende Entschädigung - enteignet.
Dass in Deutschland Gemeinden in Größenordnungen enteignen, ist mir neu und es überrascht mich doch sehr auf negative Weise.
"Diesem Dilemma könnte man leicht begegnen, indem ein Eigentümer erst einen regulären Verkauf in Höhe des Marktwertes (plus X) abgelehnt haben muss, ehe man ihn - gegen entsprechende Entschädigung - enteignet. "
Das Problem ist, dass die Gemeinde enteignet, und dann auch den Marktpreis zahlen muss. DANN wird das in Bauland umgewidmet und dann verkauft.
"Dass in Deutschland Gemeinden in Größenordnungen enteignen, ist mir neu und es überrascht mich doch sehr auf negative Weise."
Ich habe auf ein paar Dinge im Umfeld der Stuttgarter Messe angespielt. Aber auch die Enteignungen im Rahmen der CO Pipeline von Bayer im Rheingebiet ging wohl recht schnell durch (wurde jetzt allerdings wohl erstmal gestoppt).
Das Problem ist, dass die Gemeinde enteignet, und dann auch den Marktpreis zahlen muss. DANN wird das in Bauland umgewidmet und dann verkauft.
Hm, sowas habe ich mir gedacht. Aber es muss ja einen vorab genannten Grund für die geplante Enteignung geben, der einzupreisen ist?
Nachdem ich gelesen habe, dass deutsche Städte wie Bochum bei hochriskanten internationalen Investments mitgezockt und Millionen verloren haben, wundert mich aber eh nix mehr.
"Aber es muss ja einen vorab genannten Grund für die geplante Enteignung geben, der einzupreisen ist? "
Eben nicht.
Na aber so eine grundlose und somit völlig willkürliche Enteignung ohne benanntes öffentliches Interesse muss doch gegen irgendwas verstoßen, wenn nicht gar gegen das GG???
"Diesem Dilemma könnte man leicht begegnen, indem ein Eigentümer erst einen regulären Verkauf in Höhe des Marktwertes (plus X) abgelehnt haben muss, ehe man ihn - gegen entsprechende Entschädigung - enteignet."
Das ist auch in der Regel so - ein Enteignungsverfahren, bei der Berechnung der Entschädigung spielt der Marktpreis eine sehr große Rolle - wurde in den beiden Gemeinden, in denen ich wohne bzw. meine Fa. habe die letzten Jahre überhaupt nicht eingeleitet.
Bei öffentlichen oder nicht-öffentlichen Großprojekten ist es doch i.d.R. so, dass zwischen 75 und 95 % der Betroffenen ihre Grundstücke gegen ein ordentliches Entgelt abgeben und der kleine Rest dann versucht den Preis noch hoch zu treiben mit dem Hinweis, dass eine Enteignung sehr lange dauern kann und dem Bauherrn die Preise davonlaufen..
Bezüglich Baulandausweisung: Es ist also gerecht, Kater, wenn die Gemeinde teure Planungsverfahren einleitet, danach Bauland ausweist und die Grundstückseigentümer reiben sich dann die Hände? Wären die Gemeinden schön blöd, wenn sie so verfahren. Ich kann da nur von meinem Umfeld sprechen - da werden Gebiete überplant, die Eigentümer schließen mit der Gemeinde einen Erschließungsvertrag, in dem auch die öffentlichen Flächen wie Straßen, Grünflächen etc. festgelegt werden, dabei werden der Gemeinde auch noch ein paar Grundstücke übertragen, die sie dann später nach eigenem Gutdünken verhökern kann (z.B. für Einheimischenmodelle). Dann gibt es bei uns in der Gegend 2 Modelle, entweder wird alles in einen Topf geworfen und einem Bauträger verkauft, der dann seinerseits die Grundstücke verwertet, oder es wird gleich von der Gemeinde parzelliert und an die künftigen Eigner direkt verkauft und diese können dann innerhalb einer bestimmten Frist bauen. Die Gemeinde hat durchaus ein hohes Interesse daran, dass die Bauvorhaben wie geplant durchgeführt werden, denn sie muss aus dem Gewinn aus den "zum perversen Spottpreis enteigneten Grundstücken" Schulen und Kindergärten bauen, die Feuerwehr aufstocken und was es sonst noch an Infrastrukturnotwendigkeiten gibt.
Bei uns in Bayern ist das so, aber vielleicht ist die Rechtslage in anderen Bundesländern ja komplett anders.
"Bezüglich Baulandausweisung: Es ist also gerecht, Kater, wenn die Gemeinde teure Planungsverfahren einleitet, danach Bauland ausweist und die Grundstückseigentümer reiben sich dann die Hände? Wären die Gemeinden schön blöd, wenn sie so verfahren. Ich kann da nur von meinem Umfeld sprechen - da werden Gebiete überplant, die Eigentümer schließen mit der Gemeinde einen Erschließungsvertrag, in dem auch die öffentlichen Flächen wie Straßen, Grünflächen etc. festgelegt werden, dabei werden der Gemeinde auch noch ein paar Grundstücke übertragen, die sie dann später nach eigenem Gutdünken verhökern kann (z.B. für Einheimischenmodelle). Dann gibt es bei uns in der Gegend 2 Modelle, entweder wird alles in einen Topf geworfen und einem Bauträger verkauft, der dann seinerseits die Grundstücke verwertet, oder es wird gleich von der Gemeinde parzelliert und an die künftigen Eigner direkt verkauft und diese können dann innerhalb einer bestimmten Frist bauen. Die Gemeinde hat durchaus ein hohes Interesse daran, dass die Bauvorhaben wie geplant durchgeführt werden, denn sie muss aus dem Gewinn aus den "zum perversen Spottpreis enteigneten Grundstücken" Schulen und Kindergärten bauen, die Feuerwehr aufstocken und was es sonst noch an Infrastrukturnotwendigkeiten gibt. "
Wenn ich das schon lese, könnte ich kotzen. All der Aufwand, nur damit ein paar alte Säcke sich wichtig tuen können.
Soll doch die Gemeinde alle Grundstücke als Bauland ausweisen, wer da bauen will, muss sich halt um die Erschliessung und Planung selbst kümmern. Und fertig. Würde auch Bauland viel billiger machen.
Aber da könnte man ja den Leuten nicht in aufwändigen Bebauungsplänen die Höhe ihrer Zäune, die Farben ihrer Dachziegel und die Länge ihrer Grashalme vorschreiben.
"Na aber so eine grundlose und somit völlig willkürliche Enteignung ohne benanntes öffentliches Interesse muss doch gegen irgendwas verstoßen, wenn nicht gar gegen das GG??? "
Tja, wie definiert man öffentlich ?
Ist es schon "öffentliches Interresse" wenn eine grosse Firma sich erweitern will, Arbeitsplätze schafft und Steuern zahlt ?
"Soll doch die Gemeinde alle Grundstücke als Bauland ausweisen, wer da bauen will, muss sich halt um die Erschliessung und Planung selbst kümmern. Und fertig. Würde auch Bauland viel billiger machen."
Finde ich schön - jeder plant die Erschließungsstrasse auf dem Nachbargrundstück, baut sich den eigenen Schulraum und sein eigenes kleines Wasserwerk und die Müllverbrennungsanlage gleich noch dazu.
Ich habe so den Verdacht, dass Bauland dann unter dem Strich wesentlich teurer wäre...
Sag mal, Dein Vater ist doch Bürgermeister irgendwo in den neuen Ländern - redet ihr garnicht miteinander über solche Dinge?
Gruß
WRL
PS.: Ich weiß nicht, wann jemals eine Privatfirma einen Enteigungsantrag gestellt hat (ich weiß nicht mal, ob das überhaupt möglich ist oder ob das nicht der entsprechende Hohheitsträger, also Gemeinde, Kreis, Land oder Bund machen muss) - wobei Steuern zahlen und Arbeitsplätze durchaus "öffentliches Interesse" darstellen kann, man braucht nur mal die Parteiprogramme dahin durchzuschauen.
Ist es schon "öffentliches Interresse" wenn eine grosse Firma sich erweitern will, Arbeitsplätze schafft und Steuern zahlt ?
Aber sicher. Nur was die Eigentumsfrage angeht, muss diese Firma eben zunächst mit den Grundstücksbesitzern verhandeln. Die Gemeinde hat aus meiner Sicht hier höchstens eine Vermittlerrolle.
"Heißt das, die Berechtigung einer Enteignung liegt bereits darin, dass das entsprechende Grundstück im Flächennutzungsplan ungewidmet wird? "
Keineswegs. Der Flächennutzungsplan sagt nur aus, auf welche Weise ein Grundstück genutzt werden soll. Allerdings hat ein Flächennutzungsplan eine begrenzte Gültigkeit, danach kann die Gemeinde z.B. ein Baurecht ohne Entschädigung verändern oder auch entziehen.
Beispiel: Meine Schwiegereltern hatten sich ein Baugrundstück gekauft und sich dann aber doch nicht durchringen können zu bauen. So lag es gut 10 Jahre lang brach. Dann hatte die Gemeinde angekündigt sie beabsichtige nach Ablauf des derzeitigen Bebauungsplans einen Fußweg durchlegen zu wollen (es war der einzige Durchbruch durch eine Randzeile von Einzelhäusern am Ortsrand und wäre sicherlich aus Sicht der anderen Gemeindebürger sinnvoll gewesen, weil damit ein Umweg von mehreren 100 m in ein Naherholungsgebiet weggefallen wäre). Nachdem mein Schwiegervater eingesehen hat, dass er nichts dagegen tun kann haben sie das Grundstück lieber verkauft.
Eine Enteignung ist immer ein schwerwiegender Eingriff in die Eigentumsrechte - mir ist kein einziger Fall bekannt, dass Enteignungen ausgesprochen wurden ohne dass vorher intensivste Verhandlungen mit dem Eigentümer geführt worden wären. Und so einfach kann die Firma X nicht daherkommen und zum Gericht rennen und sagen, das Grundstück hier solle gefälligst enteignet werden denn da planen wir eine neue Produktionshalle drauf. Der Richter würde zuerst einen Lachanfall bekommen und die Leute dann rausschmeissen.
Viel eher ist es der Fall, das NGO's daherkommen (wie BUND etc.) und gegen in Flächennutzungsplänen verankerten Baurechten vorgehen - das ehemalige Reparaturwerk der Bundesbahn in München-Aubing war so ein Fall: Schon immer Industriegebiet hat die Bahn den Betrieb eingestellt und das Grundstück vor sich hin wuchern lassen. Als dann Jahre später eine neue industrielle Nutzung durchgeführt werden sollte (ich kann mich nicht erinnern, ob es noch die Bahn oder schon den neuen Eigentümer getroffen hat) haben Naturschützer über Jahre erfolgreich die Wiedernutzung hintertrieben, weil irgendjemand dort einen seltenen Vogel gesehen haben will.
Man kann ja zur Justiz dieses Landes stehen wie man will, aber auch wenn ich immer behaupte, dass der einzige Unterschied zwischen der BRD und einer Bananenrepublik der ist, dass bei uns keine Bananen wachsen - soo weit sind wir denn doch noch nicht gesunken, dass jeder Hempel daherkommen kan und einem legal etwas wegnehmen kann..
WRL:
Der Flächennutzungsplan ist die Grundlage. Auf unserem ehemaligen Standortübungsplatz wird (zum Glück) kein Golfplatz gebaut, weil das Gelände im FNP als Naherholungsgebiet vorgesehen ist.
Im Bezug auf die Enteignungen meine ich das so: Wenn z.b. ein Messegelände erweitert werden soll auf Grundstücke in Privatbesitz, wo meinetwegen ne Kleingartenanlage steht, dann muss erstmal der Flächennutzungsplan geändert werden, um das als Erweiterungsgelände zu deklarieren. Aber reicht das allein als Grund für einen Enteignung oder mit welchem Argument finden diese hier zitierten/wiedergegebenen Enteignungen statt?
WRL007 schrieb am 17.10.2008 17:05
soo weit sind wir denn doch noch nicht gesunken, dass jeder Hempel daherkommen kan und einem legal etwas wegnehmen kann..
Stimmt, man muss dazu schon Politiker sein.
Generell finde ich manche Entscheidung zum Thema "Bauland oder nicht" auf Gemeindeebene auch irgendwie merkwürdig (oder auch verständlich, wenn man dann mal sieht, wer im Gemeinderat sitzt), aber ich habe keine Ahnung, wie man das anders lösen könnte. Raumordnung ist halt eine schwierige Angelegenheit.