Zitat "Die Macht der Arbeit hängt vor allem von der Schwäche und der Selbstverachtung ab, die sie verewigt – aber welch furchterregende Macht und welch verheerende Wirkung auf jene soziale Schicht, die als »arbeitslos« bezeichnet wird! Welches Manko, dessen beraubt zu sein, was einem das Leben raubt!" --Raoul Vaneigem, An die Lebenden! Streitschrift gegen die Welt der Ökonomie.
Wer solche Sprüche macht ist tatsächlich krank, aber wohl kaum von der Arbeit. Solche Sprüche gibt es auch von gehörnten Ehemännern - letzlich Ausdruck ihres eigenen Unvermögens.
"Wie definiert sich denn hier "Willkür"?" Steht indirekt im Kündigungsschutzgesetz drin.
"Die gängige Rechtssprechung ist extrem arbeitnehmerfreundlich, und da der Arbeitgeber ein immenses Prozessrisiko trägt, wird er immer einer Abfindung zustimmen." Ich weiss ja nicht, auf welchem Stand bei Dir "gängig" ist, aber die aktuelle Rechtsprechung ist da alles andere als arbeitnehmerfreundlich. Das Beispiel mit den Buletten zeigt das ja. Und das immense Prozessrisiko hat eigentlich jeder, der vor Gericht muss. Da aber nur 10% der Kündigungen geklagt wird, ist es auch gar nicht so gross. In den USA ist es übrigends wesentlich grösser, weil die Anwaltskosten wesentlich höher sind als auch die Abfindungen, wenn man verliert.
"Ja klar, weil meistens eine Abfindnung gezahlt wird." Es wird nur in 10-15% (je nach Quelle) der Kündigungen überhaupt eine Abfindung gezahlt. Abfindungen sind also eher die Ausnahme als die Regel.
"Gerichtsentscheidungen gegen den Arbeitnehmer haben Seltenheitswert, egal wie der Betriebsrat dazu steht." Kannst Du das belegen ? Ich bin ja schon eine Weile Betriebsrat in verschiedenen Firmen und habe dabei leider auch schon einen Haufen Kündigungen begleitet. Wenn der BR einer Kündigung zugestimmt hat, haben in den allermeisten Fällen die Anwälte dem Gekündigten von einer Klage abgeraten, in den anderen Fällen war das Thema vor Gericht praktisch erledigt, weil es für den Gekündigten damit fast unmöglich wird, die Unwirksamkeit der Kündigung zu beweisen. Der AG kann sich immer darauf berufen, dass der BR als intensiver "neutraler" Kenner der Situation, die Ansicht des AG teilt. Dem hat der Richter nie widersprochen.
"Die allermeisten Arbeitgeber scheuen aus guten Gründen das Arbeitsgericht, deshalb zahlen sie in fast allen Fällen "freiwillig" eine Abfindung." Wie schon geschrieben, in den allermeisten Fällen gibt es keine Abfindung. Damit ist Deine restliche Argumentation nicht mehr haltbar.
Übrigends wird in meiner Branche (Elektronik) stark darauf hingearbeitet, dass der Gekündigte sich fair behandelt fühlt. Denn der kann als nächstes als Einkäufer beim Kunden auftauchen. Dann ist das schlecht, wenn man bei Verhandlungen schlechtere Karten hat als die Konkurrenz. Vor allem aus solchen Gründen werden Abfindungen gezahlt.
"Aber wenn der Kündigungsschutz sowieso so zahnlos ist wie Du es scheinbar glaubst, können wir ihn ja abschaffen." Weil er Auswüchse eindämmen hilft. Nicht mehr aber eben auch nicht weniger.
Ansonsten habe ich in meiner Zeit als BR ja eine konstante Erfahrung gemacht. Alles was sich Vertrieb oder Manager (natürlich immer leitent) und teilweise unverzichtbare Fachkraft nennt, braucht weder Kündigungsschutz noch Betriebsrat. Und zwar genau bis zu dem Zeitpunkt, wo sie zur Personalabteilung gebeten werden. Dann kippt diese Einstellung schlagartig und gründlich, die Manager sind alle plötzlich gar nicht mehr so leitent und die unverzichtbare Fachkraft betont plötzlich, dass sie ja bei den letzten Betriebsratswahlen gerne gekommen wäre, aber leider wegen eines totkranken Kindes verhindert war.
Zitat Arbeit macht öfter seelisch krank - keine Arbeit auch
Alter Hut. Und bei den Arbeitslosen ist es nicht nur die Gesellschaft, die fehlende Erwerbstätigkeit als Makel bewertet und somit das Selbstwertgefühl zerstört, sondern auch das Amt, bei dem die Zerstörung des Selbstwertgefühls schon systematisch passiert. Nichts, was der Arbeitslose macht, reicht auch nur aus - und meist darf er nicht mal selbst entscheiden. Besonders bemerkenswert ist doch auch die sogenannte antrainierte Hilflosigkeit, die dafür sorgt, dass die Leute nicht mal mehr den Mut haben, selbstentscheidend einen Finger zu rühren. Dieser Mix führt dann dazu, dass die Leute vor sich hin vegetieren und sich ggf. nur noch medial berieseln lassen und dann auch noch kritisiert werden, dass sie sind, wie man sie gemacht hat.
Zitat von Ng Besonders bemerkenswert ist doch auch die sogenannte antrainierte Hilflosigkeit, die dafür sorgt, dass die Leute nicht mal mehr den Mut haben, selbstentscheidend einen Finger zu rühren.
Besonders bemerkenswert bei der "antrainierten Hilflosigkeit" ist zu erleben, dass an der eigenen Situation immer der andere; der böse Arbeitgeber, das fiese Amt, die unfähigen Politiker Schuld sind und die antrainierte Hilfloseritis deshalb so etwas wie eine Krankheit ist, die garantiert, dass man bis zum Lebensende sich um nichts mehr kümmern braucht.
Zitat Dieser Mix führt dann dazu, dass die Leute vor sich hin vegetieren und sich ggf. nur noch medial berieseln lassen und dann auch noch kritisiert werden, dass sie sind, wie man sie gemacht hat.
Stattdessen sollten unsere Medien und Politiker Rücksicht nehmen und die Krankheitssätze für die Hilferitis erhöhen, denn es ist ja vollkommen klar, dass an der schlechten Qualifikation oder der mangelnden Motivation allein die Gesellschaft, die Politiker, Fussballmillionäre und Manager Schuld sind.
Zitat Besonders bemerkenswert bei der "antrainierten Hilflosigkeit" ist zu erleben, dass an der eigenen Situation immer der andere; der böse Arbeitgeber, das fiese Amt, die unfähigen Politiker Schuld sind und die antrainierte Hilfloseritis deshalb so etwas wie eine Krankheit ist,
Nein, eher ein Phänomen, welches in der Psychologie bekannt ist.
Zitat die garantiert, dass man bis zum Lebensende sich um nichts mehr kümmern braucht.
Nein, die dafür sorgt, dass der Betroffene es nicht/kaum noch schafft, sich um etwas zu kümmern, selbst wenn er es noch will.
Zitat Stattdessen sollten unsere Medien und Politiker Rücksicht nehmen und die Krankheitssätze für die Hilferitis erhöhen
Nein, sinnvoller wäre es, etwas dagegen zu unternehmen bzw. die Ursachen abzuschaffen / zu minimieren.
Deine Polemik würde dir sicher dabei helfen, einen Moderatorenjob bei der Neuauflage des Schwarzen Kanals zu erhaschen, hilft beim oben angesprochenen Problem allerdings nicht sehr viel.
Ng: ►"sondern auch das Amt, bei dem die Zerstörung des Selbstwertgefühls schon systematisch passiert. Nichts, was der Arbeitslose macht, reicht auch nur aus - und meist darf er nicht mal selbst entscheiden."◄
Wenn du damit meinst, dass die Beamten aus Zeitmangel die Hartzer möglichst schnell wieder loswerden wollen und nicht gewillt sind, sich näher mit ihnen zu beschäftigen hast du Recht. Dass die ARGE die Handlungsmöglichkeiten einschränkt stimmt auf jeden Fall. Wer's mir nicht glaubt, kann gerne Beispiele haben.
Zitat Wenn du damit meinst, dass die Beamten aus Zeitmangel die Hartzer möglichst schnell wieder loswerden wollen und nicht gewillt sind, sich näher mit ihnen zu beschäftigen hast du Recht.
Woher weißt du denn, dass das in der Regel so ist? Aus Dokudramen der Öffentlich-Rechtlichen? Es dürfte sich auch mehrheitlich nicht um Beamte handeln, sondern ganz normale Angestellte des Öffentlichen Dienstes?
Zitat Arbeit macht öfter seelisch krank - keine Arbeit auch
Der Satz stimmt so natürlich nicht. Nicht der Mangel an Arbeit macht krank, sondern der Mangel an Geld und das Mobbing der anderen. Außerdem sprechen viele ohne Job von sich lieber als Erwerbslose als Arbeitslose. Weil Arbeit haben auch die. Sie kriegen nur kein Geld und keinen Respekt dafür.
Arbeit ist ein Fluch Gottes (steht so in der Bibel). Warum sollte mich die Abwesenheit einer verfluchten Sache krank machen?
"Die einfachste surrealistische Tat besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings, solange man kann, in die Menge zu schießen. Wer nicht einmal im Leben Lust gehabt hat, auf diese Weise mit dem derzeit bestehenden elenden Prinzip der Erniedrigung und Verdummung aufzuräumen - der gehört eindeutig selbst in diese Menge und hat den Wanst ständig in Schusshöhe." ~André Breton
Spock: Ich schrieb: ►"Dass die ARGE die Handlungsmöglichkeiten einschränkt stimmt auf jeden Fall. Wer's mir nicht glaubt, kann gerne Beispiele haben."◄
1. Beispiel: Praktika. Praktika sind genehmigungspflichtig, auch kostenlose. Praktika über 14 Tage sind nicht erlaubt. Wer auf eigene Faust ein Praktikum absolviert, riskiert seine Stütze. Ich kenne sogar einen Fall, da hat jemand ohne Bezahlung gearbeitet. Die ARGE hatte aber irgendwoher einen Wisch, auf dem was von ner Bezahlung stand. Überweisungen gab es keine, die Geschäftsführung hatte inzwischen mehrere male gewechselt -> Die Stütze für den Monat wurde zurückgefordert, Rechtsweg aussichtslos.
2. Beispiel: Es geht um eine Nachzahlung. Die Akte des Hartzers war aber beim Termin nicht im Haus. Soweit, so normal. Bei drei darauffolgenden Terminen war sie aber auch jedes mal nicht da. Daher wartet er seit über einem Jahr auf dringend benötigte Nachzahlungen, nur weil die Arge zu blöd ist, die passenden Akten zu beschaffen (oder es mit Absicht macht).
Die von Ng angesprochene Zerstörung des Selbstwertgefühls durch das Amt kommt daher, dass die Hilfebezieher total von ihm abhängig sind. Damit sind sie auch der Willkür der Beamten ausgesetzt. Wer einen "netten" Sachbearbeiter hat, hat Glück. Wer einen Diktator hat, wird rumgeschubst und schikaniert. Damit einher geht oft ein Gefühl der Ohnmacht, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt. In den Medien ist zwar immer von einer Klageflut die Rede, aber die Wahrheit ist, dass die meisten sich entweder ihrer rechtlichen Mittel garnicht bewusst sind, ihnen das (finanzielle) Risiko des Rechtswegs zu groß ist, sie sich schlicht nicht trauen, gegen ihre ARGE vorzugehen (weil sie erwarten, dass die Behandlung danach noch schlimmer wird) oder weil ihnen der Stress, der mit einer Klage einhergeht zu groß ist. So werden teilweise Kröten geschluckt und akzeptiert, die eigentlich nicht sein müssten, weil die Betroffenen sich unterlegen fühlen. Diese Unterlegenheit ist es, die das Selbstwertgefühl "systematisch" zerstört.
Mirk: ►"Der Satz stimmt so natürlich nicht. Nicht der Mangel an Arbeit macht krank, sondern der Mangel an Geld und das Mobbing der a anderen."◄
Doch der Satz stimmt genau so, wie er da steht. Was den AL fehlt ist ein geregelter Tagesablauf. Das ist M.W. der Hauptgrund für AL-bedingte Depressionen. Das Fehlen eines geregelten Tagesablaufs und nicht zu wissen wofür man aufsteht.
Wer ein Ehrenamt hat, ist daher z.b. weniger anfällig für Depression.
Zitat Wenn du damit meinst, dass die Beamten aus Zeitmangel die Hartzer möglichst schnell wieder loswerden wollen und nicht gewillt sind, sich näher mit ihnen zu beschäftigen hast du Recht.
Die müssen halt auch den Plan einhalten und Zahlen vorweisen. Da wird dann eingeladen zu Gesprächen, obwohl es gar nichts zu bereden gibt - Hauptsache, man kann die Beratungsstatistik einhalten. Oder Zwangsmaßnahmen werden aufgedrückt, weil der Arbeitslose dann nicht mehr mitgezählt wird und man sich mit scheinbaren Erfolgen brüsten kann. Usw. Erinnert irgendwie immer mehr an die gute alte DDR mit ihren schicken Plänen und Scheinerfolgen.
Zitat Dass die ARGE die Handlungsmöglichkeiten einschränkt stimmt auf jeden Fall. Wer's mir nicht glaubt, kann gerne Beispiele haben.
Sind gute Beispiele und weitere Erklärungen. Allerdings bräuchte keiner solche Beispiele, wenn er selbst mal nachdenken würde. Denn dann käme er auf Grund dessen, was jeder an Allgemeinwissen über Arbeitslosigkeit hat, von allein auf des Meiste.
Zitat Ich kenne sogar einen Fall, da hat jemand ohne Bezahlung gearbeitet. Die ARGE hatte aber irgendwoher einen Wisch, auf dem was von ner Bezahlung stand.
Früher war es sogar mal so, dass die Regel, keine 15 Stunden Nebenverdienst zu erreichen (weil man dann offiziell dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stünde), auch für ehrenamtliche Tätigkeiten galten. Weiß nicht, ob das seit H4 auch noch so ist - aber das waren Fälle, wo es gar keine Bezahlung gab.
Zitat Was den AL fehlt ist ein geregelter Tagesablauf. Das ist M.W. der Hauptgrund für AL-bedingte Depressionen. Das Fehlen eines geregelten Tagesablaufs und nicht zu wissen wofür man aufsteht. Wer ein Ehrenamt hat, ist daher z.b. weniger anfällig für Depression.
Da ist dann aber nicht unbedingt ein "geregelter Tagesablauf" nötig, sondern ausschlaggebend ist da eher die zweckmäßige oder besser noch sinnvolle Tätigkeit und eine gewisse Anerkennung (oder wenigstens die Abwesenheit von Abwertung).
Bsp.: Denn Hausfrauen hatten auch schon immer einen geregelten Tagesablauf und einen anerkannten Zweck und Sinn und fühlten sich i.d.R. wohl dabei. Erst, als man Sinn und Anerkennung entfernte und dieses Dasein sogar abwertete, begannen sich die Hausfrauen vermehrt nutzlos, wertlos, nicht anerkannt und unwohl zu fühlen.
Zitat von LexxMirk: ►"Der Satz stimmt so natürlich nicht. Nicht der Mangel an Arbeit macht krank, sondern der Mangel an Geld und das Mobbing der a anderen."◄ Doch der Satz stimmt genau so, wie er da steht. Was den AL fehlt ist ein geregelter Tagesablauf. Das ist M.W. der Hauptgrund für AL-bedingte Depressionen. Das Fehlen eines geregelten Tagesablaufs und nicht zu wissen wofür man aufsteht. Wer ein Ehrenamt hat, ist daher z.b. weniger anfällig für Depression.
Ich stehe auf, um zu leben. Was für 'ne arme Sau muss man sein, wenn man sonst keinen Inhalt in seinem Dasein hat als die Arbeit? Und was ist so toll an einem geregelten Tagesablauf? Was ist toll an einem Tag, der damit anfängt, dass man aufsteht, obwohl man eigentlich das Bedürfnis hat zu schlafen?
"Ich definiere 'Arbeit' schon immer als 'Tätigkeit, die ich eigentlich nicht tun möchte'. Arbeit ist etwas, was mir nicht behagt. Nur kurze Zeit in meinem Leben war ich in Situationen, wo ich eine 'Arbeit' übernommen habe und es hat jeweils nicht lange - meist wenige Wochen - gedauert und ich war auf und davon. Weil ich es einfach nicht kann." --Tim Pritlove
"Die einfachste surrealistische Tat besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings, solange man kann, in die Menge zu schießen. Wer nicht einmal im Leben Lust gehabt hat, auf diese Weise mit dem derzeit bestehenden elenden Prinzip der Erniedrigung und Verdummung aufzuräumen - der gehört eindeutig selbst in diese Menge und hat den Wanst ständig in Schusshöhe." ~André Breton