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Dieses Thema hat 101 Antworten
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Lexx Offline



Beiträge: 3.730

20.08.2009 01:01
Afghanistan - ein Trauerspiel. Antworten

Die Präsidentenwahl in Afghanistan naht. Ein Sieg der Demokratie?

Wenn man den Experten Glauben schenkt, dann muss man das Wort "Wahl" in Anführungszeichen setzten, denn mit Demokratie habe das Ganze nicht viel zu tun. So berichtet es z.b. Conrad Schetter. Karsais Macht beruhe allein auf Netzwerken, über die er Verbündeten Ämter zuschachere. Sein Gegenkandidat würde es genauso machen. Wahlurnen und Stimmzettel würden gekauft und daher letztlich nicht den Willen des Volkes widerspiegeln.

Und dennoch versuchen die Taliban die Bevölkerung mit Drohungen von der Wahl abzuhalten, die sowieso von Karsai und der fehlenden Demokratisierung enttäuscht ist - man erwartet eine geringe Wahlbeteiligung.

Gibt es für Afghanistan noch eine Chance? Wenn ja wie kann man das Land retten und reformieren? Wenn nein, was macht die NATO dann noch da?

DP Offline



Beiträge: 5.248

20.08.2009 07:56
#2 RE: Afghanistan - ein Trauerspiel. Antworten

Um diese Fragen zu beantworten müsste man zuest wissen, was die Afghanen wollen. Es ist ja viel zu lesen über die nicht-demokratische Art der Wahl. Aber genauso wie es keine Wahl nach westlichem Muster gibt darf man annehmen, dass die Völker dort keine westliche Demokratie wollen. Die meisten wissen sicher nicht mal was das ist.
Ich glaube, Demokratie steht irgendwo weit unten auf der Wunschliste der Leute. Demokratie ist ein Luxus sehr wohlhabender Staaten. Zuvorderst kommt das Bedürfnis nach Befriedung, dann nach wirtschaftlichem Aufbau. Die Leute wollen Ruhe und Arbeit, die Grundpfeiler des Lebens. Die wollen leben und sich vielleicht auch ein bisschen was aufbauen. Ob ihnen das die Demokratie bringt darf wohl arg bezweifelt werden. Afghanistan benötigt jetzt Stabilität und das kann ihnen nur die NATO geben nebst ihrer inthronierten Figur Karzai. Dass es jetzt dort Wahlen gibt hat absolut nichts mit Afghanistan und der dort wachsenden Demokratie zu tun sondern allein damit, dass die Alliierten ihr Gesicht wahren und Demokratieanfänge simulieren. Und genau aus diesem Grund wird die Wahl auch von den Taliban torpediert. Jede Stimme ist ein Sieg der Allianz, weswegen freilich mit dreisten Wahlfälschungen zu rechnen ist, wie immer wenn eine Wahl keine Wahl ist sondern politische Demonstration.

Ob dieWahl nun deshalb ein "Trauerspiel" ist weiss ich nicht. Es ist anzunehmen, dass jeder andere Ausgang als ein klarer Sieg Karzais im ersten Durchgang problematisch wäre. Ich wünschte mir eine Kooperation aller Kräfte in Kabul nach der Wahl über alle politischen Gräben hinweg und ein gemeinsames Agieren gegen alle Krieg treibenden Kräfte. Das muss man nicht Demokratie nennen, nur Hoffnung auf Frieden.

Spock Offline



Beiträge: 2.377

20.08.2009 08:50
#3 RE: Afghanistan - ein Trauerspiel. Antworten

Conrad Schretter berichtet also in der Tagesschau.

In Antwort auf:
Conrad Schetter ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Entwicklungsforschung der Uni Bonn. Seine Schwerpunkte sind Afghanistan sowie Zentralasien.


So ein wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni sitzt da aber ganz schön im Elfenbeinturm, würde ich meinen. Das ist überhaupt das Problem, wenn in unseren Breiten von 'demokratischen Reformen' in Ländern wie Afghanistan geschwafelt wird. Wir haben dafür Jahrhunderte gebraucht, was diese Leute jetzt in wenigen Jahren schaffen sollen.

Lasst den Präsidenten doch erstmal korrupt sein, wie er will. Die Signalwirkung ist doch entscheidend: Jeder Afghane kann sich erstmal als Bürger, als Individuum mit Rechten wahrnehmen, wenn er zur Wahl geht. Die Taliban werden schon ihre Gründe haben, aus denen sie diese Wahl so drastisch torpedieren. Es ist letztlch das Gedankengift des freien Individuums, vor dem sie Angst haben, weil es ihrer Ideologie komplett widerspricht.

Lexx Offline



Beiträge: 3.730

20.08.2009 10:27
#4 RE: Afghanistan - ein Trauerspiel. Antworten

Das Problem in Afghanistan ist aber durchaus, dass die Taliban an Macht gewinnen. Es zeigt sich in letzter Zeit, dass die NATO die Islamisten-Fundis nicht entscheidend zurückdrängen konnte. Die Bilder der Anfänge des deutschen Einsatzes, wo die Bundeswehr mit der Zivilbevölkerung Fußball spielt, sich fast schon verbrüdert, sind vorbei - zu gefährlich. Stattdessen hilft das KSK und Tornados bei der Terrorbekämpfung.

So wurde vom Kommentator meiner Tageszeitung denn auch die mangelnde innere Sicherheit als das wesentliche Problem im Land ausgemacht. Zurecht wie ich finde. Die afghanische Polizei hat mehr Leute verloren als die ISAF-Truppen.

DP Offline



Beiträge: 5.248

20.08.2009 10:50
#5 RE: Afghanistan - ein Trauerspiel. Antworten

Richtig. Das hat aber mit deinem Eingangsbeitrag wenig zu tun, oder?

Lexx Offline



Beiträge: 3.730

20.08.2009 12:09
#6 RE: Afghanistan - ein Trauerspiel. Antworten

DP:
Ich weiß nicht, wie du zu diesem Eindruck kommst.

Natürlich hängt die innere Sicherheit mit der staatlichen Struktur zusammen. Karsai sicher sich die Macht und wohl die Wahl auch, indem er lokalen Herrschern Posten vermacht bzw. verkauft. Deswegen werfen ihm Kritiker auch Korruption vor. Auf solch einem neo-feudalistischen System kann man natürlich keinen Rechtsstaat mit funktionierender Polizei aufbauen.

Außerdem ist das ganze System anfällig, insbesondere gegenüber den Taliban. Denn wenn die dem Posteninhaber mehr Macht bieten als Karsai oder ihn unter Druck setzen, ist ein Gebiet ganz schnell aus dem Einflussbereich des "Bürgermeisters von Kabul" verschwunden. Vertrauen in die Regierung Karsai hat in Afghanistan allem Anschein nach kaum einer.

F-W Offline




Beiträge: 1.679

21.08.2009 01:15
#7 RE: Afghanistan - ein Trauerspiel. Antworten

Die Sicherheitslage ist nicht vergleichbar mit der bei der letzten Wahl. Logisch, dass da die Wahlbeteiligung herunter geht. Wenn sie dennoch die ca. 50% erreicht, von denen manche afghanische Offizielle sprechen, dann hielte ich das für einen enormen Erfolg. Immerhin ist die Wahlbeteiligung bei unseren LTW auch nicht höher, und bei uns laufen keine Selbstmordattentäter und Killerkommandos durch die Dörfer. Von unseren Kommunalwahlen ganz zu schweigen.

Dass die Wahlen nicht unseren Demokratie-Standarts entsprechen ist eine Binse, keiner weiss das besser als die Afghanen selbst. Nur akademische Klugscheisser können sich über so etwas echauffieren. Warum dann dennoch die für die lebensgfährlichen Umstände hohe Wahlbeteiligung?

Ich halte sie zuerst für eine Abstimmung über die Taliban. Egal für wen die Wähler stimmen, sie geben damit zum Ausdruck: So korrupt die auch alle sein mögen - allemal besser als die Taliban. Und das ist für mich der demokratischste Teil der Veranstaltung. Die Taliban sehen das wohl auch so, deswegen ihr Furor gegen die Wahlen. Sie zeigen nämlich, dass die Taliban keinerlei Basis in der Bvölkerung haben. In unserem Kauderwelsch heisst das, sie haben keine demokratische Legitimation.

Der Rest? Afghanistan ist eine für unsere Begriffe archaisch strukturierte Stammes- und Clangesellschaft. Wer diese Strukturen zerbrechen will, sei es unter dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung, sei es unter dem Deckmantel des Islamismus, zerstört die Gesellschaft und damit das Land vollends. Plumpe Wahlfälschungen wird es in wahlentscheidendem Ausmass nicht geben. Solange das gemeine Volk den Wahlampfehlungen ihrer Clanchefs Folge leistet, braucht es keine Wahlfälschungen. Und die Clanchefs werden auf die gleiche Weise gekauft wie bei uns. Nur dass unsere Clanchefs heute Regional- und Lobbyfürsten sind. Wer bei uns Kanzler werden will muss der stärksten Partei vorstehen (so wie Karzai der Repräsentant der stärksten Volksgruppe ist). Was zur Mehrheit fehlt, wird per Posten- und Staatsmittelzusagen zugekauft. Bei uns heisst das Demokratie - in Afghanistan beschimpfen wir es als Korruption.

FW
FW

Lexx Offline



Beiträge: 3.730

21.08.2009 14:52
#8 RE: Afghanistan - ein Trauerspiel. Antworten

FW:
Nunja, in vielen ländlicheren Gebieten kann die Bevölkerung nicht wirklich was mit Demokratie anfangen. Die wählen, weil der Stammesführer das sagt und auch wen und damit ist es für sie erledigt. Wer weiß schon, was das konkret bedeutet?

"Was zur Mehrheit fehlt, wird per Posten- und Staatsmittelzusagen zugekauft. Bei uns heisst das Demokratie - in Afghanistan beschimpfen wir es als Korruption."

Naja, ich seh da schon nen Unterschied, ob man sich Stimmen 1:1 kauft, oder ob man ein unverbindliches Angebot macht, auf dass dann eine bestimmte Anzahl eingeht.

Eine "Abstimmung über die Taliban" macht tatsächlich Sinn. Aber wenn das eine Abstimmung gegen die Taliban ist, dann heißt das noch lange nicht, dass diese keinen Rückhalt in der Bevölkerung hat. Irgendwoher müssen deren Kämpfer ja kommen, die es am Wahltag immerhin geschafft haben ein Verlustverhältnis von 1:1 herzustellen - die Hälfte der Toten waren Taliban-Kämpfer und Attentäter.
Und irgendwo müssen die Unterschlupf und Versorgung herbekommen. In der großen Anzahl braucht es da reichlich Unterstützung....in der Bevölkerung.

Die Taliban können den Menschen immerhin eins bieten: Stabilität und Sicherheit.

DP Offline



Beiträge: 5.248

21.08.2009 18:08
#9 RE: Afghanistan - ein Trauerspiel. Antworten

Welche Sicherheiten haben denn die Taliban zu bieten?

Lexx Offline



Beiträge: 3.730

22.08.2009 10:35
#10 RE: Afghanistan - ein Trauerspiel. Antworten

DP:
In etwa die gleichen, wie sie auch Schutzgelderpresser bieten - vor allem Schutz vor der von ihnen selbst ausgeübten Gewalt.

Hinzu kommt dann noch Kriminalitätsbekämpfung u.ä. wenn sie die Kontrolle inne haben.

DP Offline



Beiträge: 5.248

22.08.2009 11:24
#11 RE: Afghanistan - ein Trauerspiel. Antworten

Zitat von Lexx
DP:
In etwa die gleichen, wie sie auch Schutzgelderpresser bieten - vor allem Schutz vor der von ihnen selbst ausgeübten Gewalt.
Hinzu kommt dann noch Kriminalitätsbekämpfung u.ä. wenn sie die Kontrolle inne haben.


Das ist also deine "Stabilität und Sicherheit", weswegen die Taliban deiner Meinung nach auch Rückhalt in der Bevölkerung geniessen.

Lexx Offline



Beiträge: 3.730

22.08.2009 12:04
#12 RE: Afghanistan - ein Trauerspiel. Antworten

Das ist die Sicherheit und Stabilität, die die Taliban bieten. Die Gründe für den Rückhalt in der Bevölkerung sind vielfältiger.

Spock Offline



Beiträge: 2.377

22.08.2009 12:20
#13 RE: Afghanistan - ein Trauerspiel. Antworten

Als der Führer hier noch das Sagen hatte, konnte man sich abends noch auf die Straße trauen. Oder so ähnlich.

dewo Offline



Beiträge: 544

22.08.2009 18:00
#14 RE: Afghanistan - ein Trauerspiel. Antworten

Zitat von Spock
Als der Führer hier noch das Sagen hatte, konnte man sich abends noch auf die Straße trauen. Oder so ähnlich.
Guter Vergleich.

Man konnte sich seinerzeit abends auf die Straße trauen, wenn man die richtige Gesinnung und die richtige Rassenzugehörigkeit hatte. Sonst gab's da die GeStaPo. Genau wie heutzutage in Afghanistan. Nur heißt die GeStaPo da Taliban, im Iran heißt sie Pasderan und in Saudi Arabien nochmal wie.

Lexx Offline



Beiträge: 3.730

22.08.2009 21:16
#15 RE: Afghanistan - ein Trauerspiel. Antworten

Spock:
Ich wollts nicht als erster schreiben, aber der Verglich ist tatsächlich passend.

Erste Unregelmäßigkeiten wurden inzwischen auch festgestellt:
http://www.n24.de/news/newsitem_5350464.html

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