Was ist nur mit der Physik los? Seit Einstein ein Hort von Klarheit und Zuverlässigkeit mit allenfalls überschaubaren Anpassungen fliegt uns in regelmässigen Abständen unser Weltbild um die Ohren.
Da wäre das Higgs-Teilchen, der Schlussstein des erfolgreichen Standardmodells vom Aufbau der Materie. Es müsste da sein, entzieht sich aber hartnäckig seiner Entdeckung. Bleibt es verschwunden, soll durch die klaffende Lücke im Standardmodell eine komplett neue Physik sichtbar werden.
Die dunkle Materie ist ein Modell das beschreibt, dass das Universum zu über 80% aus Materie besteht, die wir nicht messen können, geschweige denn sehen, nur berechnen können wir sie anhand der Drehgeschwindigkeit der Galaxien.
Die dunkle Energie hinterlässt einen auch ratlos. Praktisch über 90% der Weltalls müssten daraus bestehen. Sie sorgt dafür, dass sich das All schneller ausdehnt statt langsamer, wie die Wissenschaftler seit der Entstehung des Urknallmodells annahmen.
Zuletzt grosse Wellen schlug die Messung scheinbar überlichtschneller Elementarteilchen. Haben Neutrinos tatsächlich die oberste Geschwindigkeitsbeschränkung aus Albert Einsteins Relativitätstheorie durchbrochen? Ein Folgetest bestätigte die Ergebnisse. Stimmen sie, können wir die Lichtgeschwindigkeit und alle auf der angenommenen Naturkonstante basierenden Erkenntnisse neu bewerten.
Ähnlich viel Aufsehen erregten die Anzeichen einer bislang unentdeckten, fünften Naturkraft am Fermilab. Einer der gigantischen Teilchendetektoren am Beschleuniger Tevatron, CDF, hatte Hinweise auf ein unbekanntes Elementarteilchen gefunden, das auf eine bislang hypothetische Kraft namens Technicolor deutet. Diese Kraft wäre eine Variante der Kernkraft und könnte auch die bislang in der Physik ungelöste Frage beantworten, wie Materie zu ihrer Masse kommt. Das Higgs-Teilchen wäre damit überflüssig.
Dort entdeckten Physiker Hinweise auf einen sehr viel größeren Unterschied zwischen Materie und Antimaterie als er vom gegenwärtigen Standardmodell vorausgesagt wird. Beim Vergleich der Zerfallsraten sogenannter D0-Teilchen und ihrer Antiteilchen stellten die Physiker einen rund acht Mal größeren Unterschied fest als erwartet.
Mir scheint, in der Grundlagenforschung stehen wir nicht vor dem grossen Durchbruch sondern erst ganz am Anfang.
Obwohl ich absoluter Laie bin, fasziniert mich sowas immer wieder. Und als SF-Fan rechne ich eh mit allem ;) Einstein, seine Lichtmauer - und vor allem die Gläubigen - hatten für mich eh schon immer etwas Religiöses ähnlich einem Evangelium, der unbefleckten Empfängnis und den Christen. Und Naturkonstanten gab es schon viele und seltsame - z.B. dass die Erde eine Scheibe ist. Oder dass die Sonne um die Erde kreist.
Zitat von DPWas ist nur mit der Physik los? Seit Einstein ein Hort von Klarheit und Zuverlässigkeit mit allenfalls überschaubaren Anpassungen fliegt uns in regelmässigen Abständen unser Weltbild um die Ohren.
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Mir scheint, in der Grundlagenforschung stehen wir nicht vor dem grossen Durchbruch sondern erst ganz am Anfang.
Ich verfolge die Entwicklung ja auch mit dem Staunen eines Laien. Für mich ist hochinteressant, dass es möglich scheint, dass eine derart erfolgreiche Theorie wie das Standardmodell und natürlich auch die Relativitätstheorie sich letztlich als doch ziemlich unvollständig (um nicht zu sagen falsch) herausstellen können. Das wäre glaube ich für die Physiker ziemlich schmerzlich.
Aber solche Entdeckungen können auch eine ganz neue Dynamik in der Forschung auslösen. Eine neue "Gründerzeit". Sowas ist immer spannend für alle Beteiligten, und vielleicht springt diese Dynamik ja auch auf andere Teile der Forschung und Gesellschaft über - nötig hätten wir es.
Als nicht-Laie betrachte ich das mit weit weniger Aufregung.
Zum philosophischen Hintergrund: Wenn unser Universum tatsächlich vollkommen deterministisch ist, dann gibt es für JEDEN Effekt auch eine Ursache. Konsequenz: Auch das Higgs-Teilchen wird durch irgendetwas erzeugt, das es zu suchen gilt. Da die Grundlagenforschung im Allgemeinen dieser Anname der Determiniertheit folgt, bedeutet das, dass man unendlich lange weiter suchen kann und immernoch etwas Neues findet.
Das wird gerne quasimathematisch erklärt: Die menschliche Kenntnis des Universums nähert sich asymptotisch der Wahrheit an. Genau wie man sich asymptotisch immer weiter dem absoluten Nullpunkt nähern kann, ihn jedoch nie erreicht, würde der Mensch die Wahrheit auch nie erreichen. Jede gängige Theorie wird also irgendwann überholt und/oder erweitert, auch das momentane Standardmodell. Dabei haben die Korrekturen natürlich immer weniger mit der Erfahrungswelt der Menschen zu tun.
Tatsächlich höre ich von den Theoretikern immer wieder, dass das Standardmodell "zu gut" sei. Es ist schon seit Jahrzehnten unwidersprochen und solange es bloß bestätigt wird, gewinnt man keine neuen Erkenntnisse. Daher hoffen die Forscher eigentlich darauf, irgendwann in ihren Beschleunigern etwas zu entdecken, das dem Standardmodell widerspricht - etwa eine neue Kraft oder ein bisher nicht vorhergesagtes Teilchen. Denn dann kann das Standardmodell erweitert werden und nähert sich wieder ein Stückchen der Wahrheit an.
Die dunkle Materie/dunkle Energie wiederum ist nur eine Hypothese, um unser bisheriges Weltbild an die neuen Beobachtungen anzupassen. Das Problem dabei ist, dass diese gigantische Materie- und Energiemenge für uns nicht erfahrbar sein soll. Daher ist es schwer, die Theorie zu widerlegen - weswegen sie nach wie vor umstritten ist. Womöglich gibt es aber auch dafür irgendwann einmal einen Michelson-Moorley-Versuch (der seinerzeit die "Äthertheorie" widerlegt hat), der uns in ein neues Weltbild zwingt.
Es sind also letztlich nicht die Bestätigungen, sondern gerade das Scheitern gängiger Theorien, was die Physik weiter bringt. So wie seinerzeit die Newtonsche Mechanik durch die (spezielle) Relativitätstheorie und die Quantenmechanik erweitert wurde.
Die Alternative zur vollkommenen Determiniertheit ist übrigens ähnlich unbefriedigend: Irgendwann würde alles wie beim atomaren Zerfall oder bei virtuellen Teilchen enden - in rein statistischen Vorhersagen, die keinen Rückschluss auf das konkrete Problem zulassen.
Noch ein Wort zu den angeblichen Überlicht-Teilchen: Es ist noch garnicht raus, ob die wirklich schneller als Licht sind. Das ist Gegenstand gegenwärtiger Diskussion. Aber selbst wenn, fallen Äpfel dadurch nicht plötzlich nach oben.
"Noch ein Wort zu den angeblichen Überlicht-Teilchen: Es ist noch garnicht raus, ob die wirklich schneller als Licht sind. Das ist Gegenstand gegenwärtiger Diskussion. Aber selbst wenn, fallen Äpfel dadurch nicht plötzlich nach oben."
Ich finde es zumindest bemerkenswert wie mit derartigen "Ergebnissen" (man kann die Gänsefüßchen ja auch weglassen) umgegangen wird - da wird keine "Sensation" veröffentlicht sonder eher die Bitte um Fehler zu entdecken. Das erscheint mir ein neuer Effekt in der Wissenschaft zu sein.
Schönen Tag Werner
"Glückliche Sklaven sind die größten Feinde der Freiheit!" Marie von Ebner-Eschenbach “Politiker sind wie Windeln. Man muss sie oft wechseln und das aus denselben Gründen.” (Mark Twain)
Da wird immerhin ein seit beinahe 100 Jahre geltender Grundsatz, die Konstanz der Lichtgeschwindikeit, experimentell in Frage gestellt, und ein Doktorand der Physik, von dem man in seinen jungen Jahren grosse Physik-Geistesblitze erwartet ( so ab 35, hoechtens 40, hoert die potentiell grosse Geistesblitz Phase im allgemein auf. Dann sucht man einen adminsitrativen Job), reduziert das ganze zum Coktail-Party smalltalk und witzelt, dass Newtons Apfel nicht nach oben fallen wuerde. Aber , lieber Doktorand, diese (massenlosen) Neutrinos wuerden von unserem Blickpukt aus gesehen ankommen am Ziel, bevor sie die Quelle abgeschickt hat. Und vom Blickpunkt des Neutrinos ausgesehen???? Wie waere das, lieber Dokorand? Mir fehlt das Vorstellungvermoegen die Frage zu beantworten. (Bin schon ueber 40 jahre alt). Sozusagen, der Ursache-Wirkung Kausalzusammenhang, den Du, Lexx oben erklaert hast, wuerde zur Wirkung-Ursache.... Was ist das? sicher kein Kausalzusammenhang nach unserem heutigen Verstaendnis der Physik.
Zitat Da wird immerhin ein seit beinahe 100 Jahre geltender Grundsatz, die Konstanz der Lichtgeschwindikeit, experimentell in Frage gestellt, und ein Doktorand der Physik, (...) reduziert das ganze zum Coktail-Party smalltalk und witzelt, dass Newtons Apfel nicht nach oben fallen wuerde.
Was erwartest du? Stell dir vor, wie katholische Gläubige und Priester auf einen möglichen Beleg reagieren würden, dass die Empfängnis doch nicht so unbefleckt war o.ä.
WRL: Dass man vorsichtig mit diesen Ergebnissen umgeht, liegt auf der Hand. Denn wenn diese Teilchen tatsächlich schneller als das Licht sind, hätte das durchaus weitreichende Konsequenzen für unser Weltbild. Die Stringtheorie hat bereits eine mögliche Erklärung für diese (vermeintliche) Überlichtgeschwindigkeit - Abkürzungen durch höhere Dimensionen.
Aber das ist alles bisher graue umstrittene Theorie und bis das Experiment wiederholt wurde sollte man etablierte Weltbilder nicht einfach über den Haufen werfen. Dazu siehe auch hier.
meine erste Reaktion auf die Meldungen war damals - typischer Synchronisationsfehler der verwendeten Uhren. Wobei ich annehme dass die Messung durch die PTB (s. Dein Link) nachträglich erfolgt ist und damit nicht unbedingt eine Aussage für das Experiment bringt. Die ersten Detektoren innerhalb des LHC sollten mit einer Auflösung von 1µs arbeiten - wir haben dann vorgeschlagen das auf 10 ns auszulegen. Leider ist der damals Zuständige wieder an seine alte Uni zurückgegangen und so haben wir den Auftrag nicht bekommen, so dass ich nicht weiß wie die Laufzeitverzögerungen für die einzelnen Meßstellen berechnet und ausgeglichen werden. Das verstehen aber Andere genauso gut wie wir - daran wird es sicherlich nicht liegen. Bin sehr gespannt war dabei rauskommt.... Schönen Tag WRL
"Glückliche Sklaven sind die größten Feinde der Freiheit!" Marie von Ebner-Eschenbach “Politiker sind wie Windeln. Man muss sie oft wechseln und das aus denselben Gründen.” (Mark Twain)
"Glückliche Sklaven sind die größten Feinde der Freiheit!" Marie von Ebner-Eschenbach “Politiker sind wie Windeln. Man muss sie oft wechseln und das aus denselben Gründen.” (Mark Twain)
Nach dem offiziellen Bericht ist man auf der Suche nach 'possible effects', aber das ist keine abschließende Feststellung, ob diese eine Rolle gespielt haben oder nicht. Vielleicht kann das Handelsblatt nur nicht mit Informationen umgehen.
schon aus eigenem Interesse werde ich mich darum bemühen, verlässliche Aussagen zu bekommen...
Schönes Wochenende WRL
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