"Und da sehe ich die Kernfrage: Wer von Euch würde denn wollen, dass andere für ihn entscheiden, wann und wie lange man wie starke Schmerzen oder Ängste ertragen muss ?"
Ist das wirklich die Kernfrage?
Ist die Kernfrage nicht eher die, wie geht unsere Umwelt (und jeder einzelne hier ist ein Teil davon) mit Menschen um, die Schmerzen, Ängste, Leid erfahren - was tun wir denn in unserem kleinen Umfeld für und mit solchen Menschen?
Ich kann mich noch sehr gut an die Diskussionen in meiner Familie erinnern um den langen Tod einer krebskranken Freundin - sie selber hatte viele Erfahrungen mit Sterbenden gemacht, weil sie jahrelang Sterbende in deren letzten Wochen oder Monaten betreut hat. Ihr eigenes Sterben dauerte ein paar Monate; die letzten Wochen hat sie im Kreis der Familie verbracht und das hat sich auf diese ausgesprochen positiv ausgewirkt (und auf den Freundeskreis auch).
Ich spreche niemandem das Recht darauf ab, sein eigenes Leben selber zu beenden, aber es gehört meines Erachtens viel mehr Mut dazu, es zu Ende "zu leben" als es zu beenden und ich halte es für extrem problematisch, wenn ein Menschenleben so einfach mal "weggekuscht" wird.
Gruß
WRL
PS.: Zu einer freien Willensentscheidung gehört erstens Freiheit und zweitens ein Wille. Eine Freiheit ohne Information ist aber gar keine Freiheit. Ich bezweifle stark, dass die Ängste der Frau auf richtigen Informationen gefußt haben.
Es ging ja jetzt erstmal darum, dass man den Leuten nicht die Möglichkeit zum selber entscheiden vorenthält. Ob das dann von einem Arzt einem Psychologen oder sonstwem kommt ist ja dann zweitrangig.
"Gegenkernfrage: Wer moechte denn, wenn er ueber Schmerzen oder auch nur Aengste jammern moechte, dass seine Lieben dazu nur schulterzuckend meinen "Sag, wenn wir dich wegspritzen sollen"? "
Deine Lieben würden das vielleicht tun, dann würde ich mal über die Definition von "Lieben" nachdenken.
"aber es gehört meines Erachtens viel mehr Mut dazu, es zu Ende "zu leben" als es zu beenden"
Es mag ja unglaublich heroisch sein, Schmerzen zu trotzen und auch unglaublich inspirierend für die Angehörigen, wenn sie sehen, wie jemand langsam verreckt.
Nur frage ich mich: Wozu ?
Ein aufrechter Katholik hat ja noch die Hoffnung aufs Himmelreich in welches er ja nicht kommt, wenn er das selbst beendet. Aber die anderen ?
Wobei es in Deutschland auch noch ein paar grundlegende Probleme gibt. Mein Onkel hatte, als er an Krebs starb, einen Morphiumbeutel um den Hals und konnte die Dosis selbst regeln. Damit rannte er dann zu Hause rum, bis es dann zu Ende ging. Man braucht wohl nicht zu erwähnen, dass das nicht in Deutschland war, sondern in der Schweiz. Übrigends hätte er vermutlich nur mal den Regler an den Anschlag drehen müssen, um das Ende zu beschleunigen.
"Wobei es in Deutschland auch noch ein paar grundlegende Probleme gibt. Mein Onkel hatte, als er an Krebs starb, einen Morphiumbeutel um den Hals und konnte die Dosis selbst regeln. Damit rannte er dann zu Hause rum, bis es dann zu Ende ging. Man braucht wohl nicht zu erwähnen, dass das nicht in Deutschland war, sondern in der Schweiz. Übrigends hätte er vermutlich nur mal den Regler an den Anschlag drehen müssen, um das Ende zu beschleunigen."
Ich behaupte ja ganz und garmnicht, dass in D Sterbenden ihre Lage erleichtert wird. Palliativ-Medizin hört sich zwar gut an, wird aber nicht überall in ausreichendem Mass praktiziert. Aber hast Du denn die gelegenheit genützt, Deinen Onkel zu fragen, warum er nicht einfach den Regler bis zum Anschlag gedreht hat?
Gruß
WRL
"Lage" statt "Labe" - das war ein böser Tippfehler.
kater_5 schrieb am 02.07.2008 15:57
Ein aufrechter Katholik hat ja noch die Hoffnung aufs Himmelreich in welches er ja nicht kommt, wenn er das selbst beendet. Aber die anderen ?
Na, die müssen sich dann eben fix was einfallen lassen. -> 1:0 für den Katholiken!
"Zu einer freien Willensentscheidung gehört erstens Freiheit und zweitens ein Wille. Eine Freiheit ohne Information ist aber gar keine Freiheit. Ich bezweifle stark, dass die Ängste der Frau auf richtigen Informationen gefußt haben."
Das ist eins der Probleme, das ich bei der Sache sehe.
"Zu einer freien Willensentscheidung gehört erstens Freiheit und zweitens ein Wille. Eine Freiheit ohne Information ist aber gar keine Freiheit. Ich bezweifle stark, dass die Ängste der Frau auf richtigen Informationen gefußt haben."
Gibt es dafür Belege ?
So wie ich das sehe, hat die sich doch bei der ganzen Aktion filmen lassen und hat das ganz bewusst so gestaltet.
Wie kommt ihr eigentlich auf den Gedanken, dieser Frau ihren freien Willen abzusprechen oder mangelnde Informationskentnisse vorzuwerfen ?
Ist Euch eigentlich mal der Gedanke gekommen, dass die wusste, was sie tat und sich dann ganz bewusst entschieden hat ?
"Ist Euch eigentlich mal der Gedanke gekommen, dass die wusste, was sie tat und sich dann ganz bewusst entschieden hat ? "
Natürlich habe ich mich das gefragt. Aber wenn jemand Ängste hat wegen der Pflegeheime hier, dann fusst das schon deswegen auf mangelnder Information, weil es neben den zugegeben vorkommenden schwarzen Schafen eine ganze Reihe von hervorragenden Pflegeheimen gibt.
Als meine Mutter an Alzheimer erkrankte und ins Pflegeheim musste habe ich mich umgesehen und Heime gefunden, da hätte ich sie lieber selber (sanft) umgebracht als dorthin abzuschieben, aber auch sehr gut geführte, in denen die Pflegefälle sehr gut betreut wurden. Glücklicherweise haben wir in einem solchen einen Platz bekommen.
Sterbehilfe ist etwas, über das ich mich kaum zu schreiben traue. Vielleicht ist aber Folgendes ein neuer Aspekt:
Wir reden bisher immer "nur" von Senioren, deren Lebensspanne absehbar ist und wo nur noch überschaubare Dinge zu erwarten sind. Bei einem selbst gewählten Lebensende müssen wir aber auch über jüngere Menschen reden. Man kann zu beliebiger Zeit Selbstmordgedanken entwickeln, und insbesondere in sehr jungem Alter (Pubertät!) gibt es solche Gedanken. Ich kenne keine Statistiken, aber allein für die Pubertierenden habe ich mal von einer Grauzone von 15% aller Jugendlichen gehört (Meine Schwester hat sich mal an so etwas versucht vor zig Jahren, deshalb meine generelle Aufmerksamkeit). Solche Statistiken sind vermutlich auch gar nicht aufstellbar, denn es ginge dabei um Jugendliche, die es wirklich ernst meinen und solche, die einen Fake als Cry for Help inszenieren. Und um die Unterscheidung der beiden Gruppen natürlich.
Wenn wir für 1% aller Jugendlichen ernsthafte Selbstmordversuche annehmen, so ist das keine vernachlässigbare Größe. Die gesetzliche Freistellung eines selbstgewählten Todes würde auch für diese jungen Leute einen Markt von Todesmöglichkeiten nach sich ziehen, womit ich einfach nur die Bereitstellung zuverlässig tötender Maschinen meine. Vor 30 Jahren wollte sich meine Schwester (aus pubertär-depressivem Unmut heraus) mit einer Jeans erhängen, und zum Glück geht das nicht so einfach. Wenn wir heute zuverlässig funktionierende Tötungsmaschinen bekämen als Folge der Freigabe der eigenen Tötungsentscheindung, dann würde sich ein heutiger Teenager eben wirklich ins Jenseits befördern.
Um auf den Anfang zurückzukommen: Wenn wir den Senioren die Eigentötung zuerkennen, dann müssen wir den Jungen gegenüber dasselbe tun. Zumindest ab der Volljährigkeit sind alle gleich (und auch wer das noch nicht ist, wird einen Weg finden). Und vom 18. bis locker zum 40. Lebensjahr haben wir einen qualitativen Unterschied, denn wir reden hier nicht von Leuten, "deren Lebensspanne absehbar ist und wo nur noch überschaubare Dinge zu erwarten sind". Danach kann noch so viel passieren, dass die Betroffenen selbst wie auch die Verwandtschaft und Bekanntschaft beim besten Willen keine Prognose abgeben können.
Und hier wird es für den Gesetzgeber ungeheuer schwierig. Und weil Tötungsabsichten gerade bei Jugendlichen gehäuft auftreten, es aber gleichzeitig frühestens ab einem Alter von rund 40 einen Sinn macht, über den Sinn des eigenen Todes nachzudenken (oder die Unsinnigkeit des Weiterlebens), müsste der Gesetzgeber plötzlich mit neuen Altersgrenzen hantieren. Also freiwillige Selbsttötung ab 80 erlaubt? Oder bereits ab 70?
Was ich also mit dem ganzem Gelaber sagen will: Ich sehe nicht, wie man die erlaubte Selbsttötung in ein Gesetz gießen kann, ohne sich an anderer Stelle ungeheuren Ärger einzufangen.
MfG, Flecki
PS: Für mich selbst bin ich der Meinung von Frank: Ich will es selbst entscheiden können. Dummerweise sind Gesetze immer für die Allgemeinheit gemacht.
"Für mich selbst bin ich der Meinung von Frank: Ich will es selbst entscheiden können. Dummerweise sind Gesetze immer für die Allgemeinheit gemacht."
Ich denke mal, da sind wir uns (fast??) alle einig - wir wollen es selbst entscheiden können. Ich möchte auch selbst entscheiden können, wie ich im Falle einer schweren Krankheit behandelt (oder eben auch nicht behandelt) werden möchte, aber das ist eine andere Fragestellung, obwohl ich hier durchaus einen inneren Zusammenhang sehe.
Aber die Betonung liegt auf SELBST - es geht mir "gegen den Strich" wenn ich mir vorstelle dass ich depressiv bin (aus welchen Gründen auch immer ) und jemand redet mich sozusagen in den Selbstmord hinein und besorgt mir auch noch das Werkzeug dazu.
Noch eine Anmerkung: Vor Jahren hab ich mal bei einem Seminar gehört, dass 85 % aller unserer Ängste grundlos sind und habe versucht, mich selber und andere zu beobachten; ohne jetzt das quantitativ erfasst zu haben denke ich mal, der Mann hatte Recht.
Hier scheint mir aber so ein bischen der Konsens darauf hinauszulaufen, dass man es bei sich selbst entscheiden können will und den anderen auch noch reinreden, weil man die ja vor sich selbser schützen muss und man ja viel besser weis, was gut für andere ist.
Nun ist klar, dass Jugendliche sowas nicht entscheiden können sollten. Auch redet keiner davon, dass man irgendwelche Gifte im Supermarkt kaufen kann. Aber ich denke schon, dass es nicht damit getan ist, auf gute Pflegeheime zu verweisen (die es aber leider nicht gibt), auf gute Schmerzmittel zu verweisen (die as aber leider auch nicht gibt) und darauf, dass Ängste unbegründet sind. Und ich frage mich, warum man nicht kontrollierte Organisationen schaffen kann, die nach einer gewissen minimalen Prüfung solche Mittel zu Verfügung stellen kann.
Um mal auf ein sehr aktuelles Beispiel zu kommen: Meine Oma ist 97, hat immer in ihrer eigenen Wohnung gelebt, das auch bis vor einem Jahr alleine bewältigt, verfällt aber seit etwa einem Jahr zusehends. Aus ihrer Wohnung will sie auf keinen Fall raus, ein Altersheim ist für sie der absolute Horror. Zu uns zu ziehen lehnt sie vehement ab. Aber sie sieht natürlich schon, dass es nicht mehr besser werden wird, sie kann die Wohnung nur schwer verlassen und ist zunehmend darauf angewisen, dass an ihr nur rudimentär bekannten Menschen die intimsten Handlungen vornehmen. Dabei bekommt sie durchaus mit, dass das Gedächnis zunehmend nach lässt und auch so manches andere nicht mehr funktioniert.
Sie hat keine Angst mehr vor dem Tod, sie hat Angst davor, unter Schmerzen und zunehmendem Verlust ihrer Selbstbestimmung und Aktionsfähigkeit zunehmend dahinzuvegetieren bis sie dann erlöst wird. Diese Angst ist durchaus ein wichtiger Faktor in ihrem Leben.
Und diese Angst ist in Deutschland absolut realistisch.
Ich glaube, die Option, ihr Leben selbstbestimmt beenden zu können, würde ihre Lebensqualität drastisch verbessern. Selbst wenn sie nicht Gebrauch davon machen würde, was ich hoffe.
Das Problem für die Frau, die sich da in Hamburg das Leben genommen hat, war vermutlich gar nicht so sehr, dass sie das nicht wollte, oder das man ihr das eingeredet hat, sondern, dass sie jetzt die einmalige Option hatte, ihr Sterben selbst zu gestalten. Wenn sie diese Möglichkeit ausgeschlagen hätte, hätte sie keine Möglichkeit mehr gehabt, sich diesem langsamen Sterben zu entziehen.
Das ganze ist eine Provokation des gekonnten Selbstdarstellers Kusch, der als gelernter Strafjurist (früher u.a. Staatsanwalt in der Bundesanwaltschaft) genau darauf geachtet hat, dass er juristisch auf der sicheren Seite steht.
Folgerichtig sind die Ermittlungen gegen ihn wieder eingestellt worden und auch die deutsche Hospizstiftung, keineswegs ein Freund von Kusch, sieht keine strafrechtlichen Verfehlungen.
Bleibt der freie Wille der Dame aus dem Leben zu scheiden und die autonome Umsetzung dieser Entscheidung.
Mit Sterbehilfe, gar aktiver, hat das Verhalten Kuschs nichts zu tun. Nur Propaganda.
kater_5 schrieb am 03.07.2008 09:47
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Hier scheint mir aber so ein bischen der Konsens darauf hinauszulaufen, dass man es bei sich selbst entscheiden können will und den anderen auch noch reinreden, weil man die ja vor sich selbser schützen muss und man ja viel besser weis, was gut für andere ist.
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Das Problem für die Frau, die sich da in Hamburg das Leben genommen hat, war vermutlich gar nicht so sehr, dass sie das nicht wollte, oder das man ihr das eingeredet hat, sondern, dass sie jetzt die einmalige Option hatte, ihr Sterben selbst zu gestalten. Wenn sie diese Möglichkeit ausgeschlagen hätte, hätte sie keine Möglichkeit mehr gehabt, sich diesem langsamen Sterben zu entziehen.
Also hat sie sie genutzt.
Gruss Kater
Kater, besser kann ich es auch nicht ausdrücken. Ich hatte ein paar mal einen Beitrag begonnen und dann aber wieder abgebrochen, weil eine unmissverständliche Formulierung einiges an Denkarbeit (und damit Zeit) benötigte.