kater_5 schrieb am 09.10.2007 12:58
"Mögen seine [Becks] Forderungen auch mehrheitsfähig sein, wahltaktisch und parteistrategisch nachvollziehbar - richtig sind sie deswegen sicher nicht."
Wenn sie mehrheitsfähig sind, sind sie in einer Demokratie definitionsgemäss auch richtig.
Nö, auf dem Gymnasium. Ich kann ja auf Erfahrungen aus mehreren Schulsystemen zurückgreifen
Wobei das zugegebenermassen etwas provokant ausgedrückt war.
Andererseits hat mich ein bischen geärgert, dass der Kommentator seine Meinung nun gleich als das Evangelium hingestellt hat. Denn nur, weil er anderer Meinung als Beck ist, und mit dieser möglicherweise sogar gegen die Mehrheit im Lande steht, ist seine Meinung noch lange nicht "richtig" und die von Beck oder der Mehrheit der Deutschen falsch.
Auch wenn ich durchaus dazu neige, ihm in der Sache zuzustimmen.
Wenn sie mehrheitsfähig sind, sind sie in einer Demokratie definitionsgemäss auch "richtig".
Haben die Deutschen neuerdings eine Umfragedemokratie? Wenn morgen eine Umfrage ergibt, dass eine Mehrheit der Deutschen für eine Senkung der Steuern ist, für die Abschaffung der NPD und der Atomkraftwerke; ist dann die deutsche Bundesregierung undemokratisch wenn sie das nicht gleich umsetzt?
Dass Beck als Parteivorsitzender auf Umfragen schielt ist nachvollziehbar und letztlich auch Teil seines Jobs. Dass er ohne Strategie und Plan diese Forderung auf seinen Schild schreibt ist unverzeihlich und könnte ihm sogar auf dem Parteitag den Kopf kosten. Wenn er auf seinen Arbeitsminister gehört hätte hätte er erfahren können, dass die Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes dazu geführt hat, dass heute mehr Menschen über 50 einen Job haben. Das Phänomen der massenhaften Frühverrentung ist praktisch vom Tisch. Für mich ist das eine zentrale Leistung der Agenda 2010, naja, neben der Konjunktur natürlich. Beck will auf diese Errungenschaft nur Erdbeermarmelade kleben. Gute Nacht SPD, wenn sich sowas durchsetzt.
Dabei gäbe es eine ganze Reihe von Massnahmen, die Hartz IV sinnvoll korrigieren (äh ergänzen) könnten, z.B. die Anpassung der Regelsätze an die Inflation. Die letzten Jahre sind die Bezüge ja kontinuierlich gesunken weil sie als starre Zahlen im Gesetz stehen.
Wenn morgen eine Umfrage ergibt, dass eine Mehrheit der Deutschen für ... für die Abschaffung ...der Atomkraftwerke; ist dann die deutsche Bundesregierung undemokratisch wenn sie das nicht gleich umsetzt?
Nun, wenn morgen zufällig Sonntag ist und eine dieser regelmässigen Umfragen stattfindet, bei denen dann die Partei an die Regierung kommt, die den Willen der Mehrheit repräsentiert.
Und bei mehreren dieser Umfragen kam dann raus, dass eine Mehrheit der Deutschen die Parteien gut fand, die für den Ausstieg aus der Atomkraft sind und das wurde dann auch umgesetzt. Und bisher hat das keiner wieder geändert und die Parteien, die dagegen waren, haben keine Mehrheit bekommen.
Da mag man sich noch so drüber streiten, ob das richtig oder falsch ist. Das hat die Mehrheit entschieden.
Und letzlich werden sich die Parteien sehr gut überlegen, wie oft sie gegen die Mehrheit handeln.
Gruss
Kater
PS: Was die Sache an sich angeht, stimme ich dir durchaus zu.
Beck hat sich nun intern durchgesetzt und mittels Vorstand ein Machtwort gesprochen.
Auch die CDU, die dasselbe Thema bereits beim letzten PT behandelte und sich für eine Verlängerung des ALG I aussprach, ist einer Einigung nicht abgeneigt. Es geht nur noch um die Art der Finanzierung.
Für mich sind das Details, da wird man sich sicher einigen. Die Frage ist, wie es generell mit der Arbeitsmarktpolitik weitergeht. Die SPD hat in den jüngsten Umfragen von den Verabreichungen ihrer sozialen Trostpflaster kräftig profitiert. Beck wäre ein schlechter Parteichef, würde er das nicht registrieren. Da leuchtet doch ein Zeichen für den Wahlkampf am Hotizont und das heisst sozialpolitische Korrektur des rot-grünen Holzweges. Beck könnte versucht sein, die von Schröder durch arbeitsmarktunpopuläre Entscheide verlorene Wahl zu wandeln in einen Sieg, indem er die wesentlichen Punkte der Agenda rückgängig macht, bis hin zur Aufgabe Hartz IV.
Und die Union? Merkel hält sich bisher wie bei vielen innenpolitischen Themen bedeckt. Die Ministerpräsidenten müssen Wahlen gewinnen und werden die harte Konfrontation mit der Linken zu vermeiden suchen. Wie die Konservativen und Wirtschaftsliberalen positionieren ist klar, aber wieweit sie Gehör finden noch nicht.
DP schrieb am 23.10.2007 13:14
Beck hat sich nun intern durchgesetzt und mittels Vorstand ein Machtwort gesprochen.
Auch die CDU, die dasselbe Thema bereits beim letzten PT behandelte und sich für eine Verlängerung des ALG I aussprach, ist einer Einigung nicht abgeneigt. Es geht nur noch um die Art der Finanzierung.
Für mich sind das Details, da wird man sich sicher einigen.
Wenn ich das richtig in Erinnerung habe will die Union für jüngere Arbeitslose eine kürzere Bezugszeit durchsetzen, um dadurch längere Bezugszeiten für die älteren zu finanzieren. Dies alles ändert noch nichts an der Tatsache, dass die Sätze nicht zum Leben reichen. Und Arbeit gibt es in dem Land keine (höchstens wenn man sich ausbeuten lassen will).
Beck will die Agenda-Leute in der SPD (Steinbrück, Steinmeier, Münte) kaltstellen (auch im Hinblick auf die K-Frage) und sich stärker von der Union abgrenzen. Ziel für die Wahl dürfte es sein, vielleicht doch irgendwie eine Ampel zusammen zu schustern (wobei das eher unwahrscheinlich ist). Wenn die SPD aus der Rolle des Juniorpartners herauskommen und wieder den Kanzler stellen will, muß sie mittelfristig eine Koalition mit der Linkspartei eingehen. Die ist nämlich gekommen um zu bleiben.
---
„Manchen Völkern genügt eine Katastrophe, sie zur Besinnung zu bringen. Deutschen, so scheint es, bedarf es des Untergangs.” --Arthur Moeller van den Bruck
„Wenn man so darüber nachdenkt ist es eigentlich erschreckend, wie wenig Politiker aufgeknüpft werden.” --G. K. Chesterton
„Manchmal frage ich mich, ob die Welt von klugen Menschen regiert wird, die uns zum Narren halten, oder von Schwachköpfen, die es ernst meinen.” --Mark Twain
"Dies alles ändert noch nichts an der Tatsache, dass die Sätze nicht zum Leben reichen. "
Hä ?
Das Problem besteht doch gerade da drin, dass diese Sätze einkommensabhängig deutlich über den Hartz4 Sätzen liegen und deswegen überhaupt mehr Leute in den Genuss dieser höheren Sätze kommen wollen.
Wobei ich eher dazu neige, die HArtz4 Sätze massvoll zu erhöhen (wenn man schon Geld ausgeben will) als die Bezugsdauer des ALG1 zu verlängern. Wer nach einem Jahr keinen neuen Job hat, hat ein ernstes Problem, was auch nicht durch eine um 6 Monate verlängerte Bezugsdauer zu lösen ist. Im Gegnteil ist das geradezu gefährlich für die Arbeitslosen, weil suggeriert wird, dass man 18 Monate Zeit für die Jobsuche hat. Tatsächlich ist man spätestenes nach einem Jahr sowieso kaum noch vermittelbar.
Von daher halte ich diese Änderung nicht nur aus finanziellen Gründen für fatal, sondern vor allem, weil es den Arbeitslosen schadet.
Die Frage ist, wieviel Stimmenpotenzial eine tief sozialistische Politik birgt. Fatal aber nicht mehr ganz unrealistisch für Deutschland wäre eine Koalition der Schwachen, also aus Rentnern, Hartz-IV-Empfängern, Schlechtbezahlten, also Leuten, die keinen Wohlstand aus eigener Arbeit schöpfen können oder wollen. Wenn die eine starke Fraktion bilden, dann kommt der 'Roll-Beck' von Hartz IV und schlimmeres.
Dem entgegen steht in der SPD immerhin noch Münte und der rechte Parteiflügel und ein beträchtliches (?) Wählerpotenzial in der Mitte, das die Partei mit so einer Politik zu verlieren droht.
kater_5 schrieb am 23.10.2007 14:06
Von daher halte ich diese Änderung nicht nur aus finanziellen Gründen für fatal, sondern vor allem, weil es den Arbeitslosen schadet.
Gruss
Kater
Das mag oder mag nicht zutreffen, wesentlicher ist m.E., dass man ein nun wenige Jahre erprobtes System nur an den Punkten ändern sollte, die offensichtliche Fehlsteuerungen sind, d.h. nach adäquater Analyse, und nicht nach politischer Tagesstimmung. Sonst ist Politik nicht mehr seriös. Beck ist bisher eine Analyse schuldig geblieben.
Spock schrieb am 23.10.2007 14:14
Die Frage ist, wieviel Stimmenpotenzial eine tief sozialistische Politik birgt. Fatal aber nicht mehr ganz unrealistisch für Deutschland wäre eine Koalition der Schwachen, also aus Rentnern, Hartz-IV-Empfängern, Schlechtbezahlten, also Leuten, die keinen Wohlstand aus eigener Arbeit schöpfen können oder wollen. Wenn die eine starke Fraktion bilden, dann kommt der 'Roll-Beck' von Hartz IV und schlimmeres.
Dem entgegen steht in der SPD immerhin noch Münte und der rechte Parteiflügel und ein beträchtliches (?) Wählerpotenzial in der Mitte, das die Partei mit so einer Politik zu verlieren droht.
Interessante Frage. Ich sehe das weniger pessimistisch. Rentner sind keine Protestwähler. Sie haben potenziell eher Angst, bei allzu grosszügigen Wohltaten des Staates selbst leer auszugehen, weil die Parteien bei ihren Wohltaten lieber Jugend und Familie protegieren.
Hartz IV und Schlechtbezahlte sind die typischen Linkswähler. Aber das sind sie schon jetzt. Viel kann die SPD hier nicht gewinnen.
Ich denke, das linke Protestpotenzial liegt im Osten bei 40 und im Westen bei 20%; Bundesweit also bei etwa 25%. Davon entfallen 10-12% auf die Linkspartei, etwa 2-3% auf die Grünen und 10-13% auf die SPD. Um diesen Kuchen gilt es zu streiten.
ICh würde die Mitte da nicht unterschätzen. Das ist auch der Grund, warum die CDU auf den Zug aufspringt.
Gerade die Mittel- bis Besserverdienenden haben unter den Hartz4 Gesetzen am meisten zu leiden. Bei den Ärmeren hat sich nämlich nicht so furchtbar viel geändert. Die haben ALG2 schon früher auf Hartz4 Niveau gehabt.
Betroffen sind eher die 55 Jährigen, die so um die Bemessungsgrenze verdienen. Die haben in der Vergangenheit dank ALG2, Aufstockung durch den AG, grosszügige Frührentenregelungen etc. wunderschöne Übergangsregelungen in die Rente gehabt. Damit wurde die Angst vor Arbeitslosigkeit auf Null reduziert und andererseits das Bestreben, den Job zu halten minimiert. Wem mit 58 gekündigt wurde, hatte das grosse Los gezogen.
Heute stehen diese Leute viel schlechter da. Wo man früher mit 55 anfing, über den Ruhestand nachzudenken, steht heute Fortbildung und die Angst um den Arbeitsplatz vorne. Wo früher eine Kündigung eher einen Tenniskurs in Spanien zur Folge hatte, stehen heute verordnete Bewerbungskurse und Auflösung der Ersparnisse.
Und dabei ist das Problem gar nicht mal so akut, die Zahl der Erwerbstätigen in dem Bereich hat dramatisch zugenommen. Aber die Angst ist da.
Diese Angst steht aber auch immer eine andere Angst gegenüber; wenn der Standort Deutschland nämlich zur Sozialoase degeneriert, könnte bald wieder die Massenarbeitslosigkeit Einzug halten. Das ist der Grund, warum die mittel- und Besserverdienenden weitgehend FDP und CDU wählen; sie erhoffen sich gute Rahmenbedingungen und gehen davon aus, dass sie dann davon profitieren.
"Das ist der Grund, warum die mittel- und Besserverdienenden weitgehend FDP und CDU wählen; sie erhoffen sich gute Rahmenbedingungen und gehen davon aus, dass sie dann davon profitieren."
Für eine CDU/FDP Mehrheit hat es aber nicht gereicht. Und nur das zählt in der Politik.
Und so gesehen hat Beck aus Sicht des Wahlkämpfers recht.
Für eine CDU/FDP Mehrheit hat es aber nicht gereicht. Und nur das zählt in der Politik.
Und so gesehen hat Beck aus Sicht des Wahlkämpfers recht.
Na diese Aussage schliesst sich wohl doppelt selbst aus.
1. Hat die SPD damals mit Schröder ja gerade deshalb gepunktet, weil die den Wähler der Mitte angesprochen hat mit wirtschaftsliberalen Themen. Die SPD hat sich als die bessere Union verkauft. Deshalb hat es für eine CDU/FDP Mehrheit nicht gereicht. Die Schröder SPD hat also mit dem Thema gepunktet. Ob das der gewendeten Beck SPD auch so geht steht in den Sternen. Ein Peak in den Umfragen besagt noch gar nichts.
Und 2. Ist eine Wahl immer nur ein Augenblicksmoment. Aufgrund der Wahlergebnisse von Ende 2005 auf den heutigen Wähler zu schliessen ist fahrlässig. Es fehlt Schröder. Es fehlt Fischer. Die Wirtschaft ist eine ganz andere. Merkel hat sich profiliert etc. pp.