DP: Wenn du schon in der Studie liest und daraus zitierst, musst du das auch richtig machen!
Aus der Tabelle auf Seite 4 lässt sich ablesen, dass jeder (Vollzeit-)Arbeitnehmer im Schnitt etwa 2,5 Überstunden pro Woche macht. Davon macht er im Schnitt ein Drittel unbezahlt, wie es im entsprechenden Textabschnitt auf Seite fünf steht. Und unbezahlt meint hier wirklich unbezahlt, Freizeitausgleich ist extra aufgeführt. Im Schnitt kommen wir also auf etwa 0,8 Stunden pro AN (abgerundet).
Die Tabelle auf Seite fünf zeigt uns, dass 57% aller Vollzeitbeschäftigten Überstunden machen und nur 6% davon bezahlt. Ergo machen 51% Überstunden, die nicht durch Geld vergütet werden. Liest man weiter auf der Seite 5 bzw. 192, sieht man, dass die Zahl der unbezahlten Überstunden in Deutschland auf 2,4 Mrd. geschätzt wird. Die in diesem Bericht angeführten 0,8 Stunden machen bei geschätzt 24 mio. Vollzeitarbeitern 2005 eine knappe Millarde Stunden aus. Durch den Verfall von Überstunden in Arbeitszeitkonten (Siehe Fußnote 10) kommt also noch eine Menge in der Größenordnung von einer Stunde pro Woche hinzu. Je nachdem wieviele davon auf Teilzeit und wieviele auf Vollzeit entfallen macht die Differenz irgendwas zwischen circa 0,6 und 1,2 aus. So landen wir schließlich (niedrig geschätzt) bei etwa anderthalb Stunden pro Woche und Vollzeitkraft durch vollkommen unvergütete Überstunden.
Mal ganz abgesehen davon, dass tatsächlich über 50% der AN ihre Überstunden nicht bezahlt bekommt - was ich behauptet habe und du bezweifelt hast - kannst du mir nicht erzählen, dass die 1,5 h/Woche sich nur auf die angeführten Spitzenbranchen verteilen und die große Masse der AN damit nicht konfrontiert wird. Gerade der Verfall auf Arbeitszeitkonten ist anscheinend nicht so selten.
Wir können hieraus gern eine vollends akademische Diskussion machen und z. B. darüber streiten, wieviel Prozent der Vollzeitkräfte denn nun in den 20% der Firmen arbeiten, in denen Kontenguthaben verfallen und wieviel das insgesamt ausmacht. Oder aber wir einigen uns einfach darauf, dass unvergütete Mehrarbeit in Deutschland alles andere als ein vernachlässigbaress Phänomen ist. Denn rein rechnerisch senkt die sie die Stundenlöhne hierzulande auf Basis dieser Daten um mehrere Prozentpunkte - auf alle AN gerechnet.
Spock: Du vergisst, dass der Großteil der Wissenschaftler, etwa Doktoranden wie ich, in der Studie garnicht behandelt werden. Die bekommen nämlich nur Teilzeitverträge.
Zitat von LexxDP: Die Tabelle auf Seite fünf zeigt uns, dass 57% aller Vollzeitbeschäftigten Überstunden machen und nur 6% davon bezahlt. Ergo machen 51% Überstunden, die nicht durch Geld vergütet werden.
Ich frage mich ja, wie man so eine Tabelle überhaupt seriös aufstellen will. Dafür ist doch schon die Definition von Arbeitszeit viel zu schwammig.
Die ganzen Manager mit ihren 60 Stunden Wochen dürften z. B. Reisezeiten völlig selbstverständlich mit als Arbeitszeit rechnen, sonst sind ja 60 Stunden bei ein oder zwei Dienstreisen pro Woche schon technisch kaum noch möglich. Die gleichen verweigern ihren Angestellten aber die Anrechnung, weil Reisezeiten ja nun mal keine Arbeitszeiten sind.
Am unteren Ende wird dann z. B. im Hotelgewerbe den Raumpflegerinnen die Zeit, die sie warten müssen, bis ein Raum frei wird, nicht als Arbeitszeit angerechnet.
Und die Debatte um die Ärzte ist wohl noch jedem im Gedächniss
Zitat Du vergisst, dass der Großteil der Wissenschaftler, etwa Doktoranden wie ich, in der Studie garnicht behandelt werden. Die bekommen nämlich nur Teilzeitverträge.
Wow, du gehst in Richtung auf eine Promotion, Respekt!
Ich kenne das Los der Akademiker mit den Teilzeitverträgen aus dem Freundeskreis gut, sehe aber nicht deinen Punkt. Die Studiererei kann ja kein Selbstzweck sein und der Lehrapparat sich auch in Deutschland nicht unendlich aufblähen. Also gilt hier ganz besonders 'up or out'. Out heißt dann in die freie Wirtschaft, wenn das akademische Fundament solide genug ist. Oder eben up in Richtung Professur.
Beide Alternativen sind ja so schlecht nicht, und so rechtfertigt sich auch die unbezahlte Plackerei. Wer das macht, ohne ein ehrgeiziges Ziel zu verfolgen, hat die Regeln gründlich missverstanden oder will sich nur mit halbseidenen Studien durchmogeln.
Spock: Ich fürchte den Punkt haben einige hier nicht verstanden.
Ich habe zu keinem Zeitpunkt gesagt, dass unvergütete Mehrarbeit generell schlecht, ein Verbrechen oder sonstwas ist. Mir ging es lediglich darum, festzuhalten, wie relevant diese Art der Arbeitszeitverlängerung denn nun ist. Und unter uns: Wenn DP so polemisch wird wie hier, braucht er auch manchmal einfach was auf den Deckel.
Soweit es mich betrifft kann ich sagen, dass ich mich über mein Arbeitssituation nicht beklagen kann. Sicher verdient man als Doktorand nicht so gut wie in der Wirtschaft. Aber eine voll bezahlte Stelle mit Promotionsmöglichkeit ist auch die krasse Ausnahme. Und schließlich genieße ich im Moment mehr Freiheiten, als ich sie in "der Wirtschaft" haben werde, so es mich denn dorthin verschlägt.
Zitat Soweit es mich betrifft kann ich sagen, dass ich mich über mein Arbeitssituation nicht beklagen kann. Sicher verdient man als Doktorand nicht so gut wie in der Wirtschaft. Aber eine voll bezahlte Stelle mit Promotionsmöglichkeit ist auch die krasse Ausnahme. Und schließlich genieße ich im Moment mehr Freiheiten, als ich sie in "der Wirtschaft" haben werde, so es mich denn dorthin verschlägt.
Ja eben Lexx, und es geht wahrscheinlich sehr vielen so, die diesen Weg wählen und vielleicht nicht jede Stunde vergütet bekommen. Die fallen aber in die Statistik, welche wider besseren Wissens von den üblichen Verdächtigen für ihre Propaganda missbraucht wird. Daher sollte man auch aufpassen, wie leichtfertig man immer mit Statistiken oder gar Studien hantiert. Die Wirklichkeit dahinter ist oft mindestens facettenreicher, wenn nicht gar ganz anders.
Zitat von SpockDie Wirklichkeit dahinter ist oft mindestens facettenreicher, wenn nicht gar ganz anders.
Schön, jetzt wissen wir, dass es Wissenschaftler gibt, die ihre Überstunden nicht bezahlt bekommen.
Aber was sagt das zum Gesamtproblem aus ?
Zumindest aus dem Ingenieurbereich weiss ich, dass das durchaus nicht unüblich ist, ich kenne Fälle, wo MA ausgestempelt haben, um dann wieder an die Arbeit zu gehen. Zum Teil ganz bewusst um die Arbeitszeitgesetze zu umgehen, aber teilweise auch, um nicht die Verlängerung des Zweijahresvertrages zu gefährden. Das mag im 70k Jahresgehaltsbereich ok sein,bei 35k ist das schon was anderes.
Und wenn das im Ingenieurbereich schon üblich ist, halte ich es für unwahrscheinlich, dass das Berufsgruppen mit weniger Mangel anders sein soll.
Zitat Zumindest aus dem Ingenieurbereich weiss ich, dass das durchaus nicht unüblich ist, ich kenne Fälle, wo MA ausgestempelt haben, um dann wieder an die Arbeit zu gehen. Zum Teil ganz bewusst um die Arbeitszeitgesetze zu umgehen, aber teilweise auch, um nicht die Verlängerung des Zweijahresvertrages zu gefährden. Das mag im 70k Jahresgehaltsbereich ok sein,bei 35k ist das schon was anderes.
Na wenn das die Regel wäre, dann sähe es aber traurig bei Deutschlands heutigen Ingenieuren aus. Wenn die nichtmal die Eier haben geltendes Gesetz ihrem Chef gegenüber in Anspruch zu nehmen, was sind das denn für Luschen? Außerdem ist ja Fachkräftemangel befohlen, höre ich immer wieder. Was ist, wenn da was passiert? Abends bleibt einer übermüdet mit der Hand an einer spannungsführenden Verteilerschiene im Versuchsaufbau hängen und wird gegrillt oder 'nur' behindert/berufsunfähig. Oder er fällt nur banal vom Bürostuhl. Wer zahlt dann, wenn er selber offiziell ausgestempelt hat?
Das sind Menschen mit Hochschulabschluss, die, wie du behauptest, so einen Blödsinn machen, sorry, da habe ich kein Verständis. Und wer das als Ingenieur für 35k macht, hat auch irgendwas falsch angestellt.
Da fällt mir ein, vor einiger Zeit fandest du noch Zeiterfassung wesentlich besser als Vertrauensarbeitszeit, weil damit alles so schön transparent ist, gerade in Hinblick auf Mehrarbeit. Gilt das noch?
Zitat von SpockNa wenn das die Regel wäre, dann sähe es aber traurig bei Deutschlands heutigen Ingenieuren aus. Wenn die nichtmal die Eier haben geltendes Gesetz ihrem Chef gegenüber in Anspruch zu nehmen, was sind das denn für Luschen? Außerdem ist ja Fachkräftemangel befohlen, höre ich immer wieder. Was ist, wenn da was passiert? Abends bleibt einer übermüdet mit der Hand an einer spannungsführenden Verteilerschiene im Versuchsaufbau hängen und wird gegrillt oder 'nur' behindert/berufsunfähig. Oder er fällt nur banal vom Bürostuhl. Wer zahlt dann, wenn er selber offiziell ausgestempelt hat?
Das sind Menschen mit Hochschulabschluss, die, wie du behauptest, so einen Blödsinn machen, sorry, da habe ich kein Verständis. Und wer das als Ingenieur für 35k macht, hat auch irgendwas falsch angestellt.
Da fällt mir ein, vor einiger Zeit fandest du noch Zeiterfassung wesentlich besser als Vertrauensarbeitszeit, weil damit alles so schön transparent ist, gerade in Hinblick auf Mehrarbeit. Gilt das noch?
Nun, Fachkräftemangel gibt es tatsächlich. Betrift aber nur erfahrene Ingenieure mit ganz speziellen Kenntnissen. Wer frisch von der Uni kommt, hat es schon schwerer. Zumindest wenn ich mir die Bewerbungsrunden bei uns so ansehe. Und die kämpfen dann eben schon um ihren Job. Schau Dir mal die Stellenanzeigen für Ingenieure an. Das ist zu einem grossen Teil Leiharbeit oder eben sehr speziell.
Zu der zweiten Frage: Keine Ahnung, was ich dazu mal in welchem Zusammenhang geschrieben hatte. Sowas ist ja immer auch eine Frage des sonstigen Umfeldes. Ich habe als Betriebsrat die Erfahrung gemacht, dass das mit den Überstunden stark an den Umständen liegt. Wer als Führungskraft seine Ideen und Vorstellungen umsetzen möchte hat dazu eine völlig andere Einstellung als ein Projektingenieur, der ein Pflichtenheft und einen damit unzuvereinbarenden Zeitplan vorgesetzt bekommt mit dem Hinweis, dass ja Überstunden mit dem Gehalt abgegolten wären. Da ich noch keine Firma erlebt habe, wo Projekte mit 40 Stunden Wochen realistisch geplant wurden, ist es dann wenigstens tröstlich, dass man mit der Zeiterfassung seine Überstunden dokumentieren und ggfls. abfeiern kann. Erstaunlicherweise sind ja auch die Firmen, die bei den Überstunden besonders locker sind auch die, die bei Fehlstunden besonders unlocker reagieren während Firmen, die Überstunden eher kritisch sehen, auch mal eher locker sind, wenn man bei Projektleerlauf einfach mal nach Hause geht und die vorher gemachten Stunden abfeiert.
Zitat Erstaunlicherweise sind ja auch die Firmen, die bei den Überstunden besonders locker sind auch die, die bei Fehlstunden besonders unlocker reagieren während Firmen, die Überstunden eher kritisch sehen, auch mal eher locker sind, wenn man bei Projektleerlauf einfach mal nach Hause geht und die vorher gemachten Stunden abfeiert.
Ich glaube, das kann man nicht verallgemeinern. Das hängt doch sehr vom Führungsstil im Unternehmen oder gar dem des betreffenden Vorgesetzten ab, wie das gehandhabt wird. Ich kenne es eher so, dass nach einer heißen Projektphase mit Überstunden nicht auf die Minute geguckt wird, wenn mal einer einen halben Tag nicht da ist.
Zitat Da ich noch keine Firma erlebt habe, wo Projekte mit 40 Stunden Wochen realistisch geplant wurden...
Wirklich? Das wäre aber hochgradig unprofessionell. Ein Projektplan gehört mit realistischen Zeitvorgaben plus Puffer aufgeschrieben. Wer das nicht kann, macht schlicht seinen Job nicht richtig. Dass dann oft noch unvorhergesehene Dinge auftreten, der Kunde die Vorgaben ändert, was oft zu Mehrarbeit führt, steht auf einem anderen Blatt. Aber auch wenn diese Dinge häufiger passieren, gehört das in eine Analyse, warum dem immer wieder so ist und die Ursachen werden abgestellt.
Spock: Was die Medien oder Kritiker oder Propagandisten daraus machen ist die eine Sache.
Dass die Zahl der unvergüteten Überstunden in den höher bezahlten Jobs größer ist, habe ich erwähnt. Das liegt wohl auch daran, dass von einem Akademiker, Ingenieur, Manager usw. einfach eine andere Arbeitsweise gefordert wird. Wenn die Maler Feierabend haben, wird die Arbeit eben am nächsten Tag gemacht. Die Präsentation bis zur Deadline oder die Messung in der Nacht (weniger Erschütterungen) kann allerdings nicht so einfach verschoben werden, sondern muss gemacht werden. Und dann sitzt man eben auch mal bis 22 Uhr in der Uni und arbeitet an seinem Poster...
Die höhere Flexibilität führt einfach zu mehr Überstunden und wegen fehlender oder nicht angewandter entsprechender Protokollierung und Ausgleichsregelung auch zu mehr unvergüteten Überstunden.
Wichtiger ist nach meiner Erfahrung und nach einschlägigen Studien sowieso eher, wie die Arbeiter motiviert werden. Wer sich vom Chef fair und respektvoll behandelt fühlt, macht auch gerne mal etwas länger. Wer ständig Druck von oben bekommt, findet es mitunter schon anstrengend, nur die Sollstundenzahl zu erfüllen.
Aber witzig, wie weit und wohin diese Diskussion vom Thema abgekommen ist. Anstelle darüber zu diskutieren, ob der Putzfrau im Hotel oder dem Friseur ein Mindestlohn zustehen soll, womöglich bundesweit einheitlich, streiten wir über bezahlte Überstunden von Managern. Was sagt das über diese Runde aus? :)