Lang wurde von ihr gesprochen als hehre Vision von Mitterrand bis Kohl, gern wurde sie aufgeschoben bis auf den Sanktnimmerleinstag, jetzt scheint kein Weg mehr an ihr vorbei: der politischen Union Europas. Alle Parteien (ausser extrem links/rechts) wollen sie und irgendwie ist es klar, dass das ein erstrebenswertes Ziel ist. Verschiedene Kompetenzen sind bereits nach Brüssel vergeben; die Währungspolitik oder das Wettbewerbsrecht werden europaweit organisiert. Jetzt steht die Finanzpolitik an. Das bedeutet, dass die Haushaltspolitik oder die Steuerpolitik nicht mehr national sondern europäisch bestimmt und harmonisiert wird. In der FAZ gibt es (u.a.) zu dem Thema ein interessantes Streitgespräch zwischen dem dt. FiMi Schäuble und dem Ex Chefvolkswirt der EZB Issing. Schäuble skizziert hier seine Vorstellungen einer "vergemeinschafteten Finanzpolitik, in der die Mitgliedstaaten auf Teile der Souveränität verzichten und die mit stärkeren Sanktionen bewehrt ist." Was das bedeuten kann sehen wir am Beispiel des griechischen Staates, dessen Einnahme- und Ausgabepolitik momentan von der sogenannten Troika aus EZB, Europäischer Kommission und IWF bestimmt wird. Ist das die Idee eines zukünftigen gemeinsamen Europas?
Du hast ein einziges Fragezeichen gesetzt, darauf will ich mal meine Antwort versuchen und, weil Du das vielleicht viel weniger mitbekommen hast als ich, ein bißchen Geschichte(n) einfließen lassen:
Vor vielen Jahren gab es mal einen lockeren Zusammenschluß der konservativen Parteien namens "Europa Union", gleichzeitig gab es noch eine Pan-Europa-Union, es gab so etwas wie eine europäische sozialistische Euronationale und was weiß ich noch alles. Mir war die Europa Union sehr sympathisch denn sie trat ein für ein "Europa der Regionen". Es haben sich auch diverse Regionen mit ähnlich gelagerten oder auch gemeinsamen Interessen gebildet, hier in Bayern die Region "Alpe-Adria". Die sollte speziell die Verkehrsprobleme angehen, was sie auch bis heute in Österreich und Italien erfolgreich tut, leider ist Bayern der große Bremser geworden...
Schau Dir bitte mal die Visionen von Adenauer und Schumann an, die wahren viel "Hehrer" als die von Mitterand und Kohl - meiner Meinung nach.
MEIN Verständnis von einem Europa der Regionen war dies: Jede Region zeichnet sich durch etwas spezielles aus, (besondere) Industrie, (besondere) Landschaft, Leben, das eben etwas anders geartet ist als das Leben in anderen Regionen, was auch immer der Grund hierfür ist. Die Eigenarten der einzelnen Regionen sind historisch gewachsen - und weil es den dort ansässigen Menschen so gefällt wie sie leben sollen sie auch weiterhin so leben können.
Leider hat sich die EU ganz anders entwickelt. Es wurden Gesetze gemacht die alles über einen Leisten scheren - die Traktorsitze wurden normiert, die Gurkenradien festgelegt, die Krümmung von Karotten verteufelt, der Gehalt von Bakterien im Käse wurde drastisch verringert usw usw. (Wegen letzterem sind die Schweizer so sauer, ihr schöner Gruyere schaut jetzt ganz anders aus als früher und hat auch seinen Geschmack verändert...).
Diese Änderungen wurden, meist auf Druck von Lobbyisten, von der Zentralverwaltung auch "brav" um- und durchgesetzt. Daher ist "Brüssel" zu einem fast strafbewehrten Schimpfwort geworden.
Es hat sich noch etwas anderes ergeben - alle anderen Länder, ganz besonders Frankreich, haben versucht ihre besten Beamten und fähigsten Politiker nach Brüssel zu schicken, für D war Brüssel so etwas wie der Austragshof eines bayerischen Bauernhofs - da kommt der ausrangierte Bauer hin. Der Slogan hier war "Hast Du einen Opa, dann schick ihn nach Europa"; wen haben wir denn alles nach Brüssel geschickt - da war der Bangemann, der Verheugen, irgend so eine Gewerkschaftsdame wurde nach Brüssel entsorgt, grauenvoll. Warum ist eigentlich der Gabriel noch hier?
So ist der deutsche Einfluss in Brüssel umgekehrt proportional zum deutschen Finanzbeitrag geworden, kommt wohl nicht von ungefähr...
Mir persönlich gefallen eine ganze Menge Errungenschaften an Europa: - Dass (zumindest zur Zeit) Kriege zwischen Frankreich, England und Deutschland undenkbar sind. Wir müssen viel tun, damit das auch so bleibt. (ich hätte lieber "alles" anstatt ""viel" geschrieben, aber das hätte so alternativlos geklungen...) - Dass es auch sehr unwahrscheinlich geworden ist dass Polen als Battleground für Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und Rußland hergenommen wird. Kannst Du Dir vorstellen mit welcher Freude sich die Menschen in Polen in die EU begeben haben? - Dass in weiten Teilen Reisefreiheit herrscht, keine Grenzkontrollen, keine Zölle - ich kenne es noch anders... - Dass sich die Menschen der unterschiedlichen Regionen besser kennengelernt haben. - usw.
Mir gefallen eine Menge Dinge an Europa ganz und garnicht: - Dass Verträge (Maastricht, Lissabon) abgeschlossen werden und keine Sau darüber wacht dass sich die Staaten wie zugesagt verhalten. - Dass die Gesetze so gleichmacherisch sind. - Das die Bürokratie in Brüssel es erfolgreich versteht sich Sonderrechte zuzuschanzen ohne dass es zu einem Aufschrei der EU-Staaten kommt. - Dass "Demokratie" zu einem Fremdwort verkommt. - Dass ein Gedanke wie der an ESM überhaupt aufkommt. (Hätte vielleicht vor die letzte Zeile gehört) - usw.
Ich fürchte dass Europa einen falschen Weg geht - "Wir wissen alles besser und ihr, das gemeine Volk, habt sowieso keine Ahnung von irgendwas. Also braucht ihr auch garnicht mitreden".
Wenn man mal von der Zentralregierung absieht ist die EU in vielen Teilen schon ein engerer Verein als die USA (zumindest solange sich die USA an die eigene Verfassung hält!). Hier in der EU z.B. werden Verordnungen auf dem Verwaltungsweg erlassen die jedes EU-Mitglied als Gesetz umsetzen MUSS. Da könnte man auch meinen dass es jetzt eh' schon wurscht ist und man die Finanzverwaltung auch gleich nach Brüssel verlegen kann.
Was die schönen Visionen eines Europa der Regionen kaputt gemacht hat war schlicht die Finanzpolitik der EU-Mitglieder. Eine gemeinsame Währung kann nur der schaffen der sich an die notwendigen Vereinbarungen hält, wenn dies Obergrenzen für Verschuldung enthält muss man entweder sich daran halten oder man darf so einen Vertrag nicht unterzeichnen. Ich weiß, klingt einfach und ist es nicht. Aber wenn sich niemand daran hält bleibt letztendlich nichts anderes übrig als eine zentrale Finanz-Regierung.
Vielleicht darf man bei der ganzen Sache nicht vergessen dass das Versprechen, der Euro wird so stabil wie die D-Mark nur in Deutschland ausgesprochen worden ist, dem Rest der Euro-Länder war das eher egal. Unser Blick ist da etwas eng, aber (wenn ich mich richtig erinnere) wir sind das einzige Land in Europa das 2 Währungsrefomen innerhalb einer Generation erleiden musste (mein Vater hat z.B. beide mitmachen müssen).
Den Weg in die Finanzregierung mag ich garnicht, aber er ist einer den wir alle vorgezeichnet haben, sei es als Wähler, sei es als Regierung.
Was mir noch nicht gefällt ist die Zentralisierung in der Wirtschaft. Man hat ja schon bei uns manchmal das Gefühl dass es in ein paar Jahren noch 5 Konzerne in D geben wird, die alles unter sich aufgeteilt haben. Wir verlieren an Vielfalt - das ist nicht nur schade sondern verhindert auch Weiterentwicklung. Das wird sich auf Europa ausdehnen und wir werden dann regierungen haben die von internationalen Konzernen abhängig sind.
Schäuble hat natürlich recht wenn er sagt dass wir an einer Weichenstellung stehen - mir gefällt nur nicht die Richtung in der die Weichen gestellt werden.
Buona notte WRL
"Glückliche Sklaven sind die größten Feinde der Freiheit!" Marie von Ebner-Eschenbach “Politiker sind wie Windeln. Man muss sie oft wechseln und das aus denselben Gründen.” (Mark Twain)