Vor kurzem schaute die Welt auf Haiti und die vielen Opfer in verschütteten Gebäuden, die keinem Standard Rechnung tragen und nicht erdbebensicher sind.
Vor einem Jahr kamen zwei Menschen in Köln ums Leben, als das Kölner Stadtarchiv neben der U-Bahn-Baustelle in sich zusammenfiel. Damals wurde abgewiegelt. Verschiebungen im Baugrund, unvorhergesehene Verhältnisse etc. Vor wenigen Wochen kam aber heraus, dass tonnenweise Armierungsstahl nicht in der Baugrube installiert, sondern offenbar unbehelligt abtransportiert und als Schrott verscherbelt wurden.
Das lässt wiederum den Einsturz vor einem Jahr in anderem Licht erscheinen.
Wie kann so etwas passieren, in einem Land mit weitgehend unbestechlichen und gewissenhaft arbeitenden Ämtern, einem komplizierten Baurecht, den weltweit mit sichersten Bauvorschriften? Der Bürgermeister schießt nun erstmal wild um sich und beschuldigt die Baufirmen. Ohne gute Kontrolle hätten die aber auch nicht so agieren können.
Ist das ein weiteres Anzeichen des Abstiegs von Deutschland von einer führenden Wirtschaftsnation zu einer Art Bananenrepublik?
Verstehe ich das richtig, die siehst hier ernsthaft Parallelen zwischen dem informellen Bauen in und um Port au Prince und Köln? Also wenn ich das Idiom Bananenrepublik richtig deute bedeutet das so etwas wie flächendeckende wirtschaftliche und kulturelle Monokultur, diktatorisches Staatswesen, Willkür, Korruption und Faustrecht. Das konnte ich bei meinem letzten Deutschlandbesuch vor einem Jahr noch nicht beobachten. Vielleicht stimmt aber auch unser Selbstbild nicht oder nur in Teilen, dass wir Mitteleuropäer immun sind gegen Korruption, Misswirtschaft und Schlamperei und dass dies ausschliesslich Attribute minderwertiger Rassen sind, die sich im Süden und Osten breit machen. Solche Geschichten holen uns dann wieder in die Realität. Letzlich repräsentieren sie auch den Zeitgeist. Wenn der Staat mit Verbrechern Geschäfte macht um Steuersündern das Handwerk zu legen, warum dann nicht stehlen, wenn ein anderer nicht richtig hinschaut? Beklaut wird hier die Kommune, die aus der Sicht eines Bauarbeiters vielleicht Millionen an Steuergeldern verschwendet. Es ist am Ende dieselbe Logik.
Natürlich ist mein Aufhänger mit der Bananenrepublik polemisch.
Aber noch vor ein paar Jahren hätte man gesagt, so etwas passiert nicht in Deutschland. Nun haben wir einen Fall in Köln mit wahrscheinlich dreistelligem Millionenschaden und sogar schon Todesopfern.
Offenbar zu träge und faule Behörden (es gab auch gefälschte Abnahmeprotokolle) und gierige amoralische Bauleute bilden eine sehr unheilige Allianz. Mit den Attributen Faulheit, Ansätze von Korruptheit, Gier und Gewissenlosigkeit sind wir m.E. zumindest einen kleinen Schritt auf dem Weg Richtung Bananenrepublik.
Zitat Beklaut wird hier die Kommune, die aus der Sicht eines Bauarbeiters vielleicht Millionen an Steuergeldern verschwendet.
Und deswegen nimmt man den Großteil Armierung aus einem U-Bahntunnel? Das wäre ja noch viel viel schlimmer als Port au Prince, weil die Leute dort eher aus Unwissenheit und Mangel schlecht bauen.
Zitat Nachdem ich zwei Jahre für die Baugenehmigung für einen Wintergarten gebraucht habe, halte ich die oben genannten Atribute allesamt für zutreffend.
Jaja... unser Bauherr feilschte damals mit dem Bauamt um ein paar Zentimeter Gaubenhöhe der Dachfenster, die von unten gar nicht einzusehen sind (5.Stock!!!)... Ein paar Straßen weiter wurde letztes Jahr ein kompletter intakter Stilaltbau mal eben weggerissen und durch ein besser zu vermarktendes 'Wohn- und Geschäftshaus' ersetzt. Man munkelt über die guten Kontakte des reichen Frankfurter Immobilienbesitzers. Das sind alles Vorgänge, die sich dem Normalbürger nicht erschließen und das Vertrauen ins Allgemeinwesen nicht unbedingt fördern.
Zitat Aber noch vor ein paar Jahren hätte man gesagt, so etwas passiert nicht in Deutschland
Ach? In den 70ern brach der Elbe-Seitenkanal wegen Pfusch. In den 80ern brach die Kongresshalle in Berlin wegen Pfusch ein, wenn ich nicht irre. Vor einigen Jahren ging eine zusammengekrachte Turnhalle durch die Medien. Nur mal ein paar Beispiele...
Man muss sich nur die Berichte von Transparency International anschauen. Wer glaubt, bei uns gäbe es keine Korruption, blendet die Realität aus. Gerade im Kölner Raum hatten wir doch schon genug spektakuläre Korruptionsprozesse im Baubereich (Müllverbrennunganlagen). Und die Baubranche ist nun mal eine der korruptionsanfälligsten Branchen überhaupt. Jetzt muss mir nur noch jemand erklären, warum ausgerechnet die beteiligten Behörden eine krorruptionsfreie Insel inmitten einer total verfilzten Branche sein soll.
Da schliesst sich dann doch der Kreis und der Vergleich mit Haiti ist dann zwar immer noch weit hergeholt, zu Verdeutlichung aber nicht mehr so gaaanz abwegig.
Im Grunde haben wir gegenüber Haiti den Vorteil, dass wir Standards und Gesetze haben, die in bestimmten Fällen ein vier-Augen-Prinzip, und Protokolle mit persönlicher Unterschrift vorsehen. Mein Vater war als verantwortlicher Bauingenieur in der Regel dabei, wenn der Beton eingefüllt wurde, und hat das Eisen geprüft. Damit mit zuwenig Eisen betoniert werden konnte, müssen in Köln mehr als vier Augen zugedrückt worden sein.
Und da kommt man schnell zu dem Punkt 'Mentalität': Ohne weitverbreitete Verantwortungslosigkeit und Bereitschaft zum Betrug wäre das Risiko für die Betrüger viel zu hoch. Sie können sich aber auf eine im Bau wohl weit verbreitete Mentalität verlassen, die genau das toleriert. Das Problem lässt sich durch mehr Kontrolle sicher einfangen, aber vielleicht begreifen jetzt manche Leute die etwas ältere deutsche Werte über Bord geworfen haben, was die Kosten der Alternative sind.
In den Bananenrepubliken ist am Bau vielleicht tatsächlich Unkenntnis das größere Problem, hier ist es die kriminelle Energie. Deshalb würde ich Haiti nicht schlecht reden wollen.
Haiti hätte auch ohne Korruption das Problem, aus Armut gar nicht erdbebensicher bauen zu können.
Dann würde ich den Kölner Fall aber auf jeden Fall auf eine Stufe mit der Türkei, Pakistan oder Süditalien stellen. Jedesmal, wenn nach einem Erdbeben zig Tote aus zusammengebrochenen Schulen oder Wohnblocks geborgen werden, die oft gar nicht alt waren, stellt sich heraus, dass beim Bau geschlampt wurde. Nicht aus Unkenntnis oder Fahrlässigkeit, sondern aus Vorsatz. Die Bauherren, kriminelle Einzeltäter oder wie in Italien oft genung mit der Mafia im Hintergrund, verbauen entgegen den auch dort existierenden Vorschriften minderwertigen Beton. Die Gebäude halten dann genau bis zum nächsten grösseren Erdbeben. Und die Baubehörden haben weggeschaut. Nichts anderes ist bei der Kölner U-Bahn passiert.
Die Täter haben vermutlich auch darauf spekuliert, dass die Spundwände nur eine temporäre Aufgabe während der Bauphase haben und nach Beendigung des Baus die Grube mit den endgültigen Bauten gefüllt ist und die Stabilität der Spundwände dann keine grosse Rolle mehr spielt. Bis dahin, hofften sie, wird schon nichts passieren und danach merkts keiner mehr.
Was führte in Köln zu der unfassbar dreisten Pfuscherei?
Ich denke dafür gibt es hauptsächlich zwei Gründe. 1. Solche Aufträge müssen europaweit ausgeschrieben werden und das Amt MUSS das günstigste Angebot nehmen. Diese Vorschrift dient eigentlich der Verhinderung von Korruption. In der Baubranche aber befördert er Pfusch, denn der Hauptanbieter wählt um günstig zu sein billige Materialien und billige Subunternehmer. Die wiederum sparen natürlich ebenfalls am Material und der Arbeitskraft. Ich denke ein guter Teil der Schwarzarbeit ist auf diese Art des Kostendrucks zurück zu führen. Und natürlich nehmen es die unterbezahlten Handwerker dann nicht so genau und versuchen, gutes Geld nebenher zu machen.
2. Sollte der Bau vom Amt überwacht werden. Dieser Überwachung ist es aber offenbar praktisch nicht nachgekommen. Es wurden keine Augen zugedrückt, sondern es war schlicht und ergreifend niemand da, der kontrolliert. Und dann ist es mit der Gewissenhaftigkeit der Bauarbeiter offenbar auch nicht mehr weit her.