Nun ja. Generell finde ich diese "Zuschauer-fragen-Politiker" Sendungen schrecklich. Wie im Tierpark werden von aussen ein paar Brocken ins Gehege geschmissen und mit der Kamera verfolgt, wie das Tier darauf reagiert. Das ist am Ende nichts anderes als Dschungelcamp; man gibt dem Politiker Känguruhhoden zu essen ("Warum haben sie eigentlich keine Kinder, Herr Steinmeier?") und ergötzt sich daran, wie es daran kaut. Am Ende wird dann per Umfrage eingeschätzt, wie gut der Kandidat seinen Ekel runterwürgte.
Vielleicht hängt die qualvolle deutsche Version dieses US-Rituals damit zusammen, was man hierzulande von Politikern verlangt. Die sollen ja Quasi die Wunderheiler im Rundum-Sorglos-Märchenland sein. Wie soll jemand in dieser Rolle vernünftige Antworten geben können?
Bei der Frage nach der Kinderlosigkeit würde der Kandidat bei mir 50 Bonuspunkte bekommen, der antwortet: 'Das geht Sie nichts an, das ist Privatsache', meinetwegen höflich umschrieben. Ich frage meine Cousine auf einer goldenen Hochzeit ja auch nicht, warum sie denn mit 40 immer noch keinen abbekommen hat.
Dass die SZ das alles grenzenlos toll fand, wundert uns doch gar nicht mehr oder? :)
Scheint, als wenn beide Zeitungen entsprechend ihrer Farbe schreiben.
Ich habe gestern zufällig in die Sendung geschaltet und fand es schrecklich.....nicht Steinmeier, sondern die Sendung an sich! Da kann ich DP mit seiner Beschreibung zustimmen.
Die Frage, ob das Wahlvolk sowas will, wird die Quotenauswertung zeigen. Die Sendezeit war ja nicht gerade die beste. Die Tendenz, Parteien mit Personen zu identifizieren finde ich aber kritisch. SPD = Steinmeier, Linke = Lafontaine, FDP = Westerwelle. Dadurch rückt die Partei und ihr inhaltliches Programm in den Hintergrund hinter die (Un-)Beliebheit ihrer Spitzenkandidaten - und entsprechend steigt die Verdrossenheit, wenn die Gallionsfiguren nach der Wahl wieder Parteipolitik machen statt Personenpolitik.
So erkläre ich mir übrigen, warum die SPD so viel Beliebtheit in der GK eingebüßt hat, egal was sie gemacht hat. Auf der einen Seite war Merkel, auf der anderen nichts.
In Antwort auf:Die Tendenz, Parteien mit Personen zu identifizieren finde ich aber kritisch.
Na nicht nur du. Aber Politik und Medien greifen damit offenbar das auf, was das gemeine Volk haben will. Ich erinnere wieder mal an Merkels 'kalten' sachorientierten Wahlkampf 05, der sie fast die Kanzlerschaft gekostet hätte.
Steinmeier mit seinem Deutschlandprogramm, oder wie das heißt, geht ja auch eher an Emotionen mit (vermutlich) treffsicheren Schlagworten wie Arbeitslosigkeit.
Spock: Artikel 21 Grundgesetz: "(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. (...)"
§1 Parteiengesetz: "Die Parteien wirken an der Bildung des politischen Willens des Volkes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens mit, indem sie (...) die politische Bildung anregen und vertiefen, die aktive Teilnahme der Bürger am politischen Leben fördern, (...)"
Die Medien setzen dem Volk Dinge vor und gucken, ob es sie konsumiert oder nicht. Ob das Volk wirklich von sich aus Personenwahlkampf will, oder ob diese Tendenz durch die Berichterstattung der Medien katalytisch verstärkt ist, ist m.E. nicht sicher, aber sei's drum, das ist die Pressefreiheit. Dass die Parteien diese Tendenz ebenfalls aufgreifen und dem Volk einfach das geben, was es will, halte ich dagegen für eine Verfehlung. Indem der Wahlkampf zu einem Personenwahlkampf verkommt, regen die Parteien nicht die politische Bildung an und vertiefen sie. Sie fördern auch nicht die aktive Teilnahme der Bürger am politischen Leben. Sondern sie tun das genaue Gegenteil. Sie degradieren sich vom Akteur, der das Volk von seiner Position zu überzeugen versucht zum Reakteur, der seine Selbstdarstellung opportunistisch an der aktuellen Mode ausrichtet.
Damit fischen sie einerseits im Teich der Wähler, die auf so etwas anspringen, vergraulen andererseits diejenigen Wähler, denen das zu anspruchslos und bliebig ist. Und das scheinen angesichts der verbreiteten Politikverdrossenheit doch mehr zu sein, als die vermeintlich beliebten Mediensendungen erscheinen lassen. Festzuhalten ist jedenfalls, dass die beiden Volksparteien gegenüber der BTW 2005 gemessen an der aktuellen Sonntagsfrage 25% ihrer Wähler verloren haben (SPD: 40%, Union: 12%).
Lexx, Personen- und Themenpolitik so strikt zu trennen wie du das hier vorstellst ist doch aber auch affig. Und "die aktive Teilnahme der Bürger am politischen Leben" klingt mir nach der 4.Losung der FDJ zum Geburtstag der Republik, gleich hinter der [Honni im O-Ton:] "Eiheit von Wirschaff und Sossalpolliti". Wer im Wahlkampf nach politischer Bildung sucht hat einen an der Marmel. Im wahlkampf geht es darum, möglichs effektiv so viele Stimmen wie möglich zu sammeln. Besonders gern wird da der Gegner besudelt, mit Dreck beworfen und mies und madig gemacht. Und so liest man zur Zeit wenig über die steuertechnische Auswirkung der kalten Progession sondern über den angeblichen Egoismus des einen, Inkompetenz des anderen oder Unverschämtheit des dritten Kandidaten. Und solange das höchst erfolgreich ist wird sich daran nichts ändern.
Und nach dem Wahlkampf werden die Parteien plötzlich zu Gallionsfiguren der Aufklärung? Daran glaubst du nicht wirklich, oder?
Und, dass sich der Fokus durch die in Mode gekommenen Fernsehduelle in den Medien, also letzlich der medialen Öffentlichkeit mehr auf die Personen verschoben hat, ist m.E. augenfällig. Vernatwortlich dafür sind die Medien, die die Mode aus den USA importiert haben, ein Teil der Wählerschaft, der das gefordert hat aber auch die Parteien, die das dankbar aufgegriffen haben. Es ist natürlich einfacher, die Partei durch charismatische Kandidaten zu repräsentieren, als durch inhaltliche Themen. Der große Wahlkampfauftakt Steinmeiers mit seinem Beschäftigungsprogramm war ja wohl auch ein Rohrkrepierer - weil die Öffentlichkeit sich eben anders eingerichtet hat. Ich nehme mir aber das Recht, das scheiße zu finden und dementsprechen zu kritisieren. Dafür sind wir schließlich hier und nicht um alles fatalistisch zu akzeptieren ("Und solange das höchst erfolgreich ist wird sich daran nichts ändern.").
"Es ist natürlich einfacher, die Partei durch charismatische Kandidaten zu repräsentieren, als durch inhaltliche Themen."
Versteh ich etwas gänzlich anderes unter "charismatisch" als Du? So, wie der Wahlkampf derzeit läuft seh ich weder ein Programm noch einen charismatischen Kandidaten.
Eigentlich wäre ja das SPD'sche Beschäftigungsprogramm durchaus diskussionswürdig gewesen - es wollte nur niemand darüber diskutieren. Wenn Steinmeier wenigstens 3 Mio weniger Arbeitslose versprochen hätte, dann hätte er ja noch die Demographie auf seiner Seite gehabt, aber 4 (oder warens 5??) Mio neue Arbeitsplätze schlicht in den Raum zu stellen ist schon hübsch dummdreist.
Wobei ich immer "Politikverdrossenheit" lese - ich bin viel eher Politiker-verdrossen.
In der FAZ war vor ein paar Tagen eine Pro/Contra-Diskussion bezüglich des Bankengesetzentwurfs, der ja vom Wirtschaftsminimum an eine englische RA-Kanzlei vergeben worden ist. Da wurde vom Contra-Anwalt ganz fürchterlich darüber geschimpft, dass doch eigentlich das Parlament der Gesetzgeber wäre. Nur haben sich unsere lieben MdB's diese Möglichkeit ganz locker aus der Hand nehmen lassen, vielleicht sogar gerne freiwillig abgetreten. Da gibt es nämlich kaum Sachverstand, der eigenständig Gesetze entwerfen könnte. Und schon gleich (fast) gar keinen Willen, sich dieser Mühe zu unterziehen.
Wir haben das Parlament, das wir verdienen, weil natürlich auch der Bürger kein Interesse hat, sich mit Personen oder schon gar Programmen auseinanderzusetzen - "mei Babba hat scho weiß/gelb/rot/grün/blau/schwarz/gestreift/kariert g'wählt, des mach i aa"! Eine kritische Auseinandersetzung, ach nicht mal ein Nachdenken über die Wahlaussagen findet doch bei 95 % der Bevölkerung nicht statt, wenns das nicht noch untertrieben ist.
Ist doch kein Wunder, wenn unsere Politik so ist, wie sie ist.
Trotzdem wünsche ich einen schönen Abend - und bitte trotz Allem wählen gehen. WRL
"Glückliche Sklaven sind die größten Feinde der Freiheit!" Marie von Ebner-Eschenbach “Politiker sind wie Windeln. Man muss sie oft wechseln und das aus denselben Gründen.” (Mark Twain)
Zitat von Lexx Es ist natürlich einfacher, die Partei durch charismatische Kandidaten zu repräsentieren, als durch inhaltliche Themen. Der große Wahlkampfauftakt Steinmeiers mit seinem Beschäftigungsprogramm war ja wohl auch ein Rohrkrepierer - weil die Öffentlichkeit sich eben anders eingerichtet hat.
Das stimmt doch so aber auch nicht. Die Parteivorderen stehen nicht nur für sich selbst sondern repräsentieren das Programm ihrer Partei. Und wo du schon den amerikanischen Wahlkampf madig machst; gerade in den USA erleben wir es doch umgekehrt; hier werben die verschiedensten Köpfe mit ihrem Programm um die Stimmen der Parteimitglieder und somit um die spätere Ausrichtung ihrer Partei im Wahlkampf wie später in der Regierung oder Opposition. Auch die Köpfe in Deutschland repräsentieren Inhalt und Politikstil der Parteien. Frau Merkel steht für Seriosität, Zurückhaltung, Kontinuität und dass ihre und die Werte ihrer Partei so gut sind liegt ganz einfach daran, dass genau dies die Leute jetzt in der Krise von einer Regierungspartei erwarten. Und genau aus diesem Grund kackt auch Steinmeier jetzt ab mit seinem Deutschlandplan. Der mag ja interessante Ideen haben, aber was die Leute jetzt eben nicht wollen ist Hektik und Rumgemurkse.
DP: "Frau Merkel steht für Seriosität, Zurückhaltung, Kontinuität"
Dazu zwei Punkte: 1. Das sind keine Inhalte, das sind Mentalitäten. Das ist für mich sowas wabernd-oberflächliches, denn es sagt nichts aus darüber, wie die Union sich beim Thema X platziert bzw. als Regierungspartei handelt.
2. Merkel steht nicht zur Wahl, sondern der jeweilige Wahlkreiskandidat und die Partei. Sich einfach an Stil oder den Werten einzelner Personen zu orientieren, ist oberflächlich und führt häufig genug zur Enttäuschung. Schäubles polternde sicherheitspolitischen Vorstöße, die mit Zurückhaltung und Kontinuität mal garnichts zu tun haben, gehören eben auch zur Unionspolitik.
Und das sehen die Leute oft eben nicht, weil es allem voran um Merkel geht. Einerseits sicherlich, weil viele das garnicht anders wollen, da kann ich WRL nicht vollständig widersprechen. Andererseits machen es sich aber auch die Parteien bequem und bieten dem Wähler garnichts anderes mehr an - genau da sehe ich die Verfehlung bezogen auf den natürlichen Aufgabenbereich. Und ich halte es für einen Fehler, der mit zum aktuell 25%-igen Stimmenverlust beigetragen hat. Dazu siehe auch die Antwort an WRL.
WRL: "Eine kritische Auseinandersetzung, ach nicht mal ein Nachdenken über die Wahlaussagen findet doch bei 95 % der Bevölkerung nicht statt, wenns das nicht noch untertrieben ist."
Das sehe ich vollkommen anders. Es wird sehr wohl über Wahlaussagen und dergleichen nachgedacht und sich damit auseinander gesetzt. Woher sonst sollten die Grünen und die FDP ihre Stimmenanteile herhaben? Entsprechend beliebte Köpfe gibt es dort nicht. Und auch die Linke hat ihre 7% sicherlich nicht, weil die alle Lafontaine so toll finden (im Gegenteil denke ich, ohne ihn stünde sie besser da). Ich denke, dass die Wahlentscheidung bei vielen dann am Ende doch eine Bauchentscheidung ist und von Sympathie mit politischen Kandidaten oder Parteien allgemein abhängt. Und während die Union mit Angela "Die Mutter der Nation" Merkel, Kandidatensympathie sammelt, knabbert die SPD am Verlust vieler Stammwähler und Parteisympathie, die durch keinen der bisherigen Kandidaten ausgeglichen wurde.
Gleichwohl werden, wenn man den aktuellen Umfragen glaubt, beide Parteien Wähler verlieren - und das obwohl Merkels Stern so hell und konkurrenzlos am Himmel leuchtet, wie nie zuvor.
Zitat von LexxDP: "Frau Merkel steht für Seriosität, Zurückhaltung, Kontinuität" Dazu zwei Punkte: 1. Das sind keine Inhalte, das sind Mentalitäten. Das ist für mich sowas wabernd-oberflächliches, denn es sagt nichts aus darüber, wie die Union sich beim Thema X platziert bzw. als Regierungspartei handelt.
Grundsätzlich kann man nichts vor dem Wahltag gesagtes für bare Münze nehmen, weder der Deutschlandplan der SPD noch der Abgesang der Linken an den Afghanistan Krieg oder Westerwellers Steuersenkungspläne sind nach der Wahl auch nur einen Pfifferling wert. Sollte Steinmeier mit Hilfe von grün und gelb Kanzler werden wird das neue Regierungsprogramm an den Gegebenheiten ausgerichtet und nicht an Steinmeiers Wahlkampfpropaganda, sollten die Linken die Chance haben mit den Grünen und der SPD an die Macht zu kommen wird sich in Kabul gar nichts ändern und bevor Westerwelle zusieht, wie Merkel und Steinmeier eine Neuauflage der groKo planen wird er alles unternehmen um seine Ansprüche zurückzustellen. So ist das nun mal leider mit den Inhalten, sie tragen keinen Deut bei zur "vertieften politischen Bildung" der Bürger. Im Gegenteil, wer sich diese Inhalte zu eigen macht und seine Wahl danach ausrichtet kann arg getäuscht werden, vielleicht mehr als ein Wähler, der sein Kreuz nach Gefühl vergibt. Deshalb ist Merkels Wahlkampf auch irgendwie ehrlicher. Sie verspricht gar nichts und hält alles im vagen. Sie vermittelt das Gefühl, dass sich durch die Wahl der Union nichts wirklich ändert. Schon das ist ja ein Trugschluss, wie wir alle wissen. Aber das kann sie ja dann auf die Krise und auf Westerwelle schieben.
Letztlich ist das Programm ja auch relativ egal. Das taugt ja sowieso allenfalls für die 12 Monate nach der Wahl, bei Koalitionen nicht mal so lange, danach haben sich die Rahmenbedingungen doch sowieso so stark geändert, dass das alles gegessen ist.
Von daher ist der Ansatz nach den Personen zu entscheiden durchaus korrekt. Man kann letzlich nur den wählen, von dem man glaubt, dass der auch in zwei Jahren die richtigen Entscheidungen trifft, wobei ein paar Grundeinstellungen dieser Person bekannt sind.
DP: Natürlich passen die Parteien ihre Wünsche immer den Gegebenheiten an. Aber es gibt etwa bei den Kleinen Parteien klare Positionen. So steht die Linke für mehr soziale Umverteilund und setzt sich für Geringverdiener ein - das würde sie auch in einer Koalition tun. Die Grünen stehen für Umweltschutz, gegen Kernkraftwerke und erneuerbare Energien. Und auch diese Punkte werden sie selbst in eine Ampelkoalition einbringen. Das heißt natürlich nicht, dass alles umgesetzt wird, aber sie werden versuchen, soviel wie möglich umzusetzen. Und auch die FPD wird ganz gleich in welcher Koalition für mehr (wirtschaftliche) Freiheit stehen.
Solch konkrete Positionen gehen SPD wie CDU zur Zeit vollkommen ab. Während die SPD zwischen Schröderreformen und Linksruck hin- und her wankt steht die CDU steht irgendwie für alles und nichts. Je nachdem welcher Flügel und welche Politiker da gerade ihr Maul aufreißen kann mal das eine und mal das andere rauskommen. Das ist die inhaltliche Beliebigkeit.
Übrigens, zum Thema "die Leute wollen ja nichts anderes" (als Politikerwahlkampf), verweise ich auf: "Die Bürgerrunde mit SPD-Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier hat sich für RTL als Quotenflop erwiesen. Konnte sich der Kölner Sender zu Beginn des Sonntag Abends noch über beste Quoten freuen, stürzte das Zuschauerinteresse mit Beginn des Steinmeiertalks tief in den Keller." Quelle
Zitat von KaterLetztlich ist das Programm ja auch relativ egal. Das taugt ja sowieso allenfalls für die 12 Monate nach der Wahl, bei Koalitionen nicht mal so lange, danach haben sich die Rahmenbedingungen doch sowieso so stark geändert, dass das alles gegessen ist. Von daher ist der Ansatz nach den Personen zu entscheiden durchaus korrekt. Man kann letzlich nur den wählen, von dem man glaubt, dass der auch in zwei Jahren die richtigen Entscheidungen trifft, wobei ein paar Grundeinstellungen dieser Person bekannt sind. Gruss Kater
So ist es und letztlich ist das auch das was der gemeine Journalist unter Kanzlerbonus versteht und mit dem Gerhard Schröder nochmal fast 7-8% geholt hatte bei der letzten Wahl und was jetzt Frau Merkel zufliesst.