Um seinen aufwendigen Lebenswandel zu finanzieren, hatte der 27-Jährige Magnus Gäfgen von der wohlhabenden Frankfurter Bankiersfamilie von Metzler eine Million Euro Lösegeld erpressen wollen. Jakob, gefesselt und geknebelt, erstickte jämmerlich.
Wenige Tage später kam es in einem Vernehmungszimmer des Frankfurter Polizeipräsidiums zur Situation, dass auf Weisung des damaligen stellvertretenden Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner Kriminalhauptkommissar Ortwin E. dem leugnenden Gäfgen die Verabreichung eines Wahrheitsserums sowie Schmerzen androhte, "wie er sie noch nicht erlebt habe."
Gäfgen bekam es mit der Angst zu tun, redete, gestand und führte die Ermittler schließlich an den Teich, wo er die Leiche des kleinen Jakob unter einem Steg versteckt hatte. Die Beamten stellten Faser- und DNA-Spuren sicher. Sie fanden Reifenspuren seines Wagens in der Umgebung. Sie filmten, wie er auf die Bergung der Leiche reagierte.
Jetzt, fünf Jahre nach dem Mord, darf Gäfgen auf eine Wiederaufnahme seines Verfahrens hoffen und möglicherweise sogar auf seine Freilassung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat die Beschwerde Gäfgens gegen die Bundesrepublik Deutschland einstimmig angenommen. Die Richter sahen Anhaltspunkte, dass die deutschen Behörden gegen das Verbot der Folter und gegen das Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen haben.
Gäfgens Anwalt Heuchemers konzentriert sich in seiner Argumentation vor dem EGMR vor allem auf den Umstand, dass die in dem Verfahren gegen Gäfgen verwendeten Beweise der Polizei ohne das erzwungene Geständnis nicht zur Verfügung gestanden hätten. Ohne diese Beweise hätte ihm seine Schuld nicht bewiesen werden können.
Aus SPON gekürzt.
Nun verstehe ich ja, dass man hier grundsätzliche Bedenken bezüglich der Art der Beweisaufnahme hat. Aber wie kann es sein, dass das daraus resultierende Geständnis dann nicht mehr gerichtsrelevant sein soll?
Nun verstehe ich ja, dass man hier grundsätzliche Bedenken bezüglich der Art der Beweisaufnahme hat. Aber wie kann es sein, dass das daraus resultierende Geständnis dann nicht mehr gerichtsrelevant sein soll?
Hm, ein Gestaendnis erfoltert - warum sollte die Verurteilung infolgedessen nicht bestand haben ? Da bin ich tatsaechlich ueberfragt.
Das Problem ist nicht, dass das Geständniss nicht gerichtsfest ist. Das Problem ist, dass die Richter Beweise, die sie nur auf Basis dieses Geständnisses hatte, für die Schuldfrage genutzt haben. Das Geständnis durfte sowieso nicht genutzt werden.
Anders ausgedrückt: Man hat aus ihm die "Beweise" rausgeprügelt, die man ohne die Androhung der Folter nicht bekommen hätte.
Also; Wenn wir ein Verfahren haben und der Deliquent schweigt und in einem Indizien- resp. Beweisprozess stellt ein Gericht die Schuld fest und im Nachhinein werden diese Indizien und Beweise nicht zulässig waren, dann würde ich nachvollziehen können, dass dann das Urteil revidiert werden müsste. Wenn aber das Verbrechen zugegeben wurde gibt es für mein Rechtsempfinden nur eine Möglichkeit; den Verbrecher wie alle anderen danach zu verurteilen.
So wie ich das sehe war das Geständniss unter Androhung von Folter erzwungen worden. Damit ist es wohl unzweifelhaft nicht nutzbar. er hat die Verbrechen also _nicht_ zugegeben.
In dem Fall hat der Beschuldigte unter dem Druck der drohenden Folter die Polizei zum Tatort geführt wo dann die Leiche gefunden wurde. Da der Beschuldigte das Wissen um den Fundort der Leiche hatte, kann man davon ausgehen, dass er der Täter war.
Das Problem ist nur, dass die Polizei diesen Beweis nicht bekommen hätte, wenn sie nicht mit Folter gedroht hätte.
Stellt sich die Frage, ob solche Beweise zulässig sind.
So wie ich RedWolf verstanden hatte, sind solche Beweise in Deutschland zulässig, da sie ja echt sind und zur richtigen Aufklärung der Tat führen. Der Täter ist also zweifellos überführt.
Der Europäische Gerichtshof ist nun der Meinung, dass solche Beweise nicht genutzt werden dürfen, weil die rechtswidrig erlangt wurden und somit die Folter "erfolgreich" war. Ohne die Folter wäre der Täter nicht überführt worden, somit wird die Folter faktisch nachträglich legitimiert.
Der Angeklagte wurde also nur überführt, weil ihm elementare Rechte vorenthalten wurden. In dem Fall hat es einen Schuldigen getroffen, in einem anderen Fall mag es einen Unschuldigen treffen.
Letztlich halte ich beide Sichtweisen für akzeptabel wobei ich eine leichte Präferenz für die Sichtweise der EuGh habe.
[QUOTE][b][i]DP schrieb am 27.09.2007 09:35[/b][/i]
Wenige Tage später kam es in einem Vernehmungszimmer des Frankfurter Polizeipräsidiums zur Situation, dass auf Weisung des damaligen stellvertretenden Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner Kriminalhauptkommissar Ortwin E. dem leugnenden Gäfgen die Verabreichung eines Wahrheitsserums sowie Schmerzen androhte, "wie er sie noch nicht erlebt habe."
[/QUOTE]
Ich kenne mich in diesem Fall sehr schlecht aus, frage mich aber, wie solche Details an die Oeffentlichkeit geraten koennen.
Wenige Tage später kam es in einem Vernehmungszimmer des Frankfurter Polizeipräsidiums zur Situation, dass auf Weisung des damaligen stellvertretenden Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner Kriminalhauptkommissar Ortwin E. dem leugnenden Gäfgen die Verabreichung eines Wahrheitsserums sowie Schmerzen androhte, "wie er sie noch nicht erlebt habe."
Ich kenne mich in diesem Fall sehr schlecht aus, frage mich aber, wie solche Details an die Oeffentlichkeit geraten koennen.
Die Gerichtsverhandlung war meines Wissens öffentlich.
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„Manchen Völkern genügt eine Katastrophe, sie zur Besinnung zu bringen. Deutschen, so scheint es, bedarf es des Untergangs.” --Arthur Moeller van den Bruck
„Wenn man so darüber nachdenkt ist es eigentlich erschreckend, wie wenig Politiker aufgeknüpft werden.” --G. K. Chesterton
„Manchmal frage ich mich, ob die Welt von klugen Menschen regiert wird, die uns zum Narren halten, oder von Schwachköpfen, die es ernst meinen.” --Mark Twain
Zunächst mal gab es keine physische Folter, sondern nur deren Androhung, was wohl als psychische Folter ausgelegt wird.
Die Hauptmotivation für diese unorthodoxen und unrechtmäßigen Verhörmethoden war nicht das Erpressen eines Gestädnisses, sondern das Retten des Lebens des entführten Jungen. Hätte man es lediglich auf ein Geständnis angelegt, wäre das langsame Weichkochen plus Spurenauswertung früher oder später erfolgreich gewesen. Die Zeit hatte man aber nicht.
Bei Prozessen wird ja von unseren Gerichten immer die Motivation der Angeklagten von vorn bis hinten durchleuchtet, um zu fairen Urteilen zu kommen.
Hoffen wir, dass man in Straßburg ebenso viel Augenmaß bei der (Ver- ?)Beurteilung der Frankfurter Beweisaufnahme besitzt.
Wenige Tage später kam es in einem Vernehmungszimmer des Frankfurter Polizeipräsidiums zur Situation, dass auf Weisung des damaligen stellvertretenden Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner Kriminalhauptkommissar Ortwin E. dem leugnenden Gäfgen die Verabreichung eines Wahrheitsserums sowie Schmerzen androhte, "wie er sie noch nicht erlebt habe."
Ich kenne mich in diesem Fall sehr schlecht aus, frage mich aber, wie solche Details an die Oeffentlichkeit geraten koennen.
Die Gerichtsverhandlung war meines Wissens öffentlich.
Und wie dringen derlei Informationen in den Gerichtssaal ?
(Stellen wir uns mal nicht ganz dumm: Polizeiinterna dieser Art bleiben meist unter Kollegen und werden nach aussen hin abgestritten.)
Zunächst mal gab es keine physische Folter, sondern nur deren Androhung, was wohl als psychische Folter ausgelegt wird.
Das ist ja erstmal egal. Die Unterscheidung ist eigentlich sogar ziemlich blödsinnig.
Zitat:
Die Hauptmotivation für diese unorthodoxen und unrechtmäßigen Verhörmethoden war nicht das Erpressen eines Gestädnisses, sondern das Retten des Lebens des entführten Jungen. Hätte man es lediglich auf ein Geständnis angelegt, wäre das langsame Weichkochen plus Spurenauswertung früher oder später erfolgreich gewesen. Die Zeit hatte man aber nicht.
Die Motivation spielt dabei keine Rolle. Tatsache ist, dass so ein Geständniss wertlos ist.
Zitat:
Bei Prozessen wird ja von unseren Gerichten immer die Motivation der Angeklagten von vorn bis hinten durchleuchtet, um zu fairen Urteilen zu kommen.
Nun, in dem Fall reden wir aber nicht irgendwelchen wie auch immer motivierten Angeklagten sondern von ausgebildeten Juristen, die die Regeln kennen sollten und sich nicht an diese Gehalten haben.
Noch einmal: Das Geständniss spielt in dem Falle überhaupt keine Rolle. Das ist in keinem Fall zu verwerten und da gibt es auch überhaupt nichts dran zu rütteln. Das Problem sind die durch dieses illegal erzwungene Geständniss erlangten Beweise.
Ich muss allerdings feststellen, dass ich doch immer mehr zu der Einschätzung des Gerichts neige, wenn ich hier die Argumente so durchlese. Das Motto "Wehret den Anfängen" scheint mir doch sehr angemessen zu sein.
Nun, in dem Fall reden wir aber nicht irgendwelchen wie auch immer motivierten Angeklagten sondern von ausgebildeten Juristen, die die Regeln kennen sollten und sich nicht an diese Gehalten haben.
Nein, wir reden von Polizisten und Menschen, die das Leben des Jungen retten wollten. Beweise und Juristerei waren in dem Moment zweitrangig.
Du magst berechtigt meinen, dass der Rechtsstaat Schaden nimmt, wenn unter solchen Umständen erlangte Beweise verwertet werden.
Ich frage mich aber, wieviel Schaden der Rechtsstaat nimmt, wenn dieses Subjekt freikommt und NUR deshalb, weil die Ermittler das Leben des Opfers vor die wasserdichte Ermittlungsarbeit stellten.
Du magst berechtigt meinen, dass der Rechtsstaat Schaden nimmt, wenn unter solchen Umständen erlangte Beweise verwertet werden.
Ich frage mich aber, wieviel Schaden der Rechtsstaat nimmt, wenn dieses Subjekt freikommt und NUR deshalb, weil die Ermittler das Leben des Opfers vor die wasserdichte Ermittlungsarbeit stellten.
Diese Frage stelle ich mir durchaus. Aber letztlich hat das Verwertungsverbot vor allem den Sinn, solche Ideen bei den Polizisten und Menschen gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Und wenn ich mir die Beiträge hier so ansehe, scheint mir das berechtigt zu sein.
Solange es dazu dient, das Leben anderer zu schützen, mag das ja noch nachvoillziehbar sein. Das sind dann diese plakativen Beispiele wie in diesem Entführungsfall oder dem Abschuss eines Flugzeuges zur Rettung eines Fussballstadions voller Menschen.
Leider erwarte ich, dass diese Methode dann zunehmend auch einfach zur Überführung Verdächtiger genutzt wird. Und nicht immer ist die Folter nachzuweisen.
Pech nur, wenn man als Unschuldiger in so eine Mühle gerät.
Und DAS hätte viel gravierendere Auswirkungen auf den Rechtsstaat.
Ich muss allerdings feststellen, dass ich doch immer mehr zu der Einschätzung des Gerichts neige, wenn ich hier die Argumente so durchlese. Das Motto "Wehret den Anfängen" scheint mir doch sehr angemessen zu sein.
Das gilt aber beidseitig. Heute wird ein eindeutig überführter Mörder aus Verfahrensfehlergründen freigesprochen. Morgen ist dann 'psychische Folter', weil ein Polizist mal nachdrücklich nachfragte, ein Freifahrtschein für Verbrechen aller Art.
Es ist wieder mal erstaunlich, aber eigentlich auch wieder nicht, wenn man sieht, wie der Täterschutz alles aber auch alles in den Schatten stellt. Man könnte meinen, dass der Schutz der Gewaltverbrecher und Terroristen mittlerweile das höchste Gut der Deutschen geworden ist, dem alles untergeordnet wird. Da wird der Hauch einer Unfairness im Verfahren dazu genutzt, den Prozess von Schuld und Sühne auf den Kopf zu stellen. Eigentlich unfassbar.
Es geht hier nicht um Täterschutz, sondern um den Schutz des Rechtsstaates.
Unter rechtswidrigen Umständen erworbene Beweise aller Art sind unzulässig, damit ein Exekutivmitglied dieses Rechtsstaates keinerlei Motivation hat, rechtswidrig zu handeln.
Soweit ich weiß werden derartige Beweise etwa in den USA knallhart abgelehnt, auch wenn dadurch offensichtlich ist, dass der Angeklagte schuldig ist - aus genau dem gleichen Grund, den auch der EU-GHfM verfolgt.
Und wie dringen derlei Informationen in den Gerichtssaal ?
(Stellen wir uns mal nicht ganz dumm: Polizeiinterna dieser Art bleiben meist unter Kollegen und werden nach aussen hin abgestritten.)
Daschner hatte im Wissen um die Grenzwertigkeit seines Vorgehens seine Vorgesetzten informiert und so auch die Ermittlungen gegen sich selbst ausgelöst. Es hat nie den Versuch gegeben, das Vorgehen der Beamten zu vertuschen.