Nur immer der Stimmung nach. Darin macht der Kanzlerin so leicht niemand etwas vor. Prinzipien kennt Angela Merkel nur, wenn sie ihr nützen. Sollte sich die Stimmung ändern, nimmt sie sich eben neue Prinzipien. Oder zur Abwechslung mal gar keine. Eben immer nur der Stimmung nach. Denn das dient dem Erhalt der Macht.
Derzeit geht die Stimmung bekanntlich gegen die Märkte. Die Kanzlerin ist mitten dabei. Selten hat sie so viel von Gestalten und Regulieren gesprochen wie heute. Nicht mehr als eine „Mode“ nennt sie die Rede über den Wettbewerbsdruck der Globalisierung. Seit die Wall-Street-Fashion out ist, trägt Frau Merkel wieder Staatskleidung. Der Beifall ist ihr sicher.
An der Spitze der Bewegung
Wo der Spott gegen Amerika Mode ist, ist die Kanzlerin an der Spitze der Bewegung. Früher hatte sie selbst in den schlimmsten Kriegszeiten noch zärtlich transatlantisch gesäuselt. Heute scheut sie noch nicht einmal davor zurück, die Wirklichkeit zu verzerren: Die Gewinne der Finanzkrise hätten die Amerikaner eingestrichen, behauptet sie, während die Verluste ziemlich gleichmäßig über die Welt verteilt seien. Das überrascht ein wenig. Ist Washington Mutual etwa eine Bank aus Greifswald? Waren die Lehman-Brüder Finanzjongleure aus Frankfurt? Zahlt jetzt doch Peer Steinbrück das 700 Milliarden Dollar schwere Rettungspaket?
Den vorläufigen Höhepunkt ihrer Marktschelte bot die Bundeskanzlerin bei ihrem Auftritt vergangene Woche in Wolfsburg. 20.000 VW-Beschäftigte wollen schließlich unterhalten werden, und Angela Merkel heimst gerne offenen Szenenapplaus ein. Der Markt müsse gestaltet werden, rief sie den Arbeitern zu: „Das VW-Gesetz ist ein solches Element.“ Bravo!
Sozialistischer als die Linkspartei
Wenn also das VW-Gesetz die Blaupause abgibt für die Gestaltungsphantasie der künftigen CDU-Wirtschaftspolitik, dann wissen wir, wie es weitergeht: Bund und Länder werden künftig Ankeraktionäre sein bei wichtigen deutschen Unternehmen. Das ist alles konsequent, früher hat man es „jugoslawisches Modell“ genannt. Der Linkspartei wäre es heute zwar einen Tick zu sozialistisch; sie wird sich abfinden müssen.
Der Erfolg gibt ihr Recht und lässt mich vermuten, dass Helmut Kohl wohl in die Geschichte eingehen darf als der letzte deutsche Kanzler, der sich noch Prinzipien leisten konnte. Alle nach ihm folgten dann dem Mediendiktat und setzen die Umfragewerte an Stelle der Prinzipien.
"Alle nach ihm folgten dann dem Mediendiktat und setzen die Umfragewerte an Stelle der Prinzipien."
Allen voran Kanzler Schröder, der die Agenda 2010 nur der Umfragewerte wegen entwickelt und durchgesetzt hat. Die folgenden reihenweisen Wahlniederlagen waren alles Demoskopenfehler....
Richtig, auch die Agenda2010 war letztlich nur ein Versuch, der SPD das Image als Partei der "Neuen Mitte" zu verpassen und somit kein Prinzip sondern nur Mittel zum Wahlzweck, wobei beides irgendwie auch miteinander vermischt. Ziel war, bei der Bundestagswahl 2006 dieses Image zu nutzen für eine dritte Amtszeit. Womöglich hätte es auch gereicht, wenn Schröder nicht Neuwahlen gefordert hätte. Bis Ende 2005 reichte es nur zu einem knappen Remis gegen die Union. Schröder hat in seiner Amtszeit dasselbe gemacht wie Merkel; den Kanzler der Mitte gegeben und alles andere, PDS nach links und FDP und Union nach rechts gedrängt. Seine Amtszeit war geprägt von der Umsetzung klassisch linker Themen, wie dem Ende der Atomenergie in Deutschland, der Homoehe, Ökosteuer, Staatsbürgerrechtsreform genauso wie klassisch rechter Themen wie dem Kosovokrieg, Asylbewerberinitiative, Hartz Reformen. Im Nachhinein betrachtet hätte Schröder auch einer grossen Koalition vorstehen können. Das Privileg einer kleinen Koalition hat Merkel immerhin nicht.
DP: "die Agenda2010 war letztlich nur ein Versuch, der SPD das Image als Partei der "Neuen Mitte" zu verpassen und somit kein Prinzip sondern nur Mittel zum Wahlzweck"
Das ist aber immernoch etwas anderes als Handeln nach Umfragewerten, wie du es eingangs behauptet hast. Denn die Umfragewerte sind nach Hartz IV abgestürzt, doch bis heute hat die "Schröder-Clique" nichts von der Agenda-Zielsetzung abgelegt, selbst unter Beck nicht.
"Im Nachhinein betrachtet hätte Schröder auch einer grossen Koalition vorstehen können. "
...mit Atomausstieg und Ökosteuer? Sicher nicht, denn das waren die Zugeständnisse an den grünen Koalitionspartner.
DP schrieb am 02.10.2008 10:38
Der Erfolg gibt ihr Recht und lässt mich vermuten, dass Helmut Kohl wohl in die Geschichte eingehen darf als der letzte deutsche Kanzler, der sich noch Prinzipien leisten konnte. Alle nach ihm folgten dann dem Mediendiktat und setzen die Umfragewerte an Stelle der Prinzipien.
Welchen Prinzipien folgte denn Kohl entgegen aller Mediendiktate, Umfrageergebnisse u.ae.?
DP schrieb am 02.10.2008 10:38
Der Erfolg gibt ihr Recht ...
Welcher Erfolg? Ihr Beliebtheitswert? Na, herzlichen Glückwunsch. Bei der letzten BTW hat Merkel einen sicheren Wahlsieg für das bürgerliche Lager leichtfertig weggeworfen. Und selbst jetzt kann sie gegen eine desolate SPD keine Mehrheit mehr bilden (wenn man den Umfragen glaubt).
Ihre persönliche Beliebtheit ist jedoch weiter auf hohem Niveau und eher gestiegen als gefallen. Vielleicht hätte die Union ohne sie ja auch nicht mehr als 25%. Oder ist deine These, dass Merkel persönlich erst abstürzen muss, z.B. durch die Propagierung vordergründig unbeliebter Thesen, um dann längerfristig das Profil der Union zu schärfen?
Kann sein das das funktioniert, aber ich befürchte, dass Merkels leranings aus der Wahl 2005 eben genau das war: kein Risiko einzugehen, weil jede neue Idee vom politischen Gegner als Wahlkampfmunition benutzt wird und dass die Moderation letztlich mehr Sympathie (aber womöglich keine Wähler?) bringt.