Grundsätzlich geht es darum, dass die Abschaffung der Pendlerpauschale eine Ausnahme im sonstigen Steuergefüge darstellt, die man stichhaltig begründen muss. Eine Ausnahme in dem Sinne, dass Kosten zur Erzielung eines Einkommens grundsätzlich abgesetzt werden können müssen und der Wegfall der Pendlerpauschale in dieses System nicht passt. Dabei ist "Mehreinnahmen" keine solche stichhaltige Begründung. Akzeptabel wäre aber z. B. Umweltschutz oder ähnliches.
Durch die Anerkennung der Pauschale ab dem 21 km sind aber praktisch alle akzeptablen Begründungen nicht mehr stichhaltig. Schliesslich kann man die Ausnahme "Wegfall der Pendlerpauschale" nicht mit z. B. Umweltgesichtspunkten begründen, wenn man dann ausgerechnet die Langpendler doch wieder fördert.
Somit hat das BVG DIESER Form der Pendlerpauschale ab 21km eine klare Absage erteilt. Es wäre aber möglich, die Pendlerpauschale GANZ abzuschaffen oder zu reduzieren, wenn man das entsprechend (also z. B. mit Umweltschutz) begründen würde.
"Nahpendler mit Steuergeschenken zu versehen während City Anwohner für ihre hohen Mietkosten keine "Entschädigungen" vom Staat erhalten"
Das ist immer so eine Theorie, die gerne aufgestellt wird. In vielen Fällen mag das auch stimmen. Aber ich würde das nicht verallgemeinern, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Pendlerpauschale ja alenfalls einen sehr kleinen Teil der Kosten durchs Pendeln abdeckt.
Letztlich profitieren auch die Citybewohner von den Pendlern, sonst wären die Mieten in den Städten nämlich tatsächlich viel höher. Mal stelle sich nur mal vor, die tausende Pendler nach Düsseldorf würden jetzt in Düsseldorf alle eine Wohnung suchen.
Das haben wir doch aber auch schon längst durchgekaut. Nahpendler mit Steuergeschenken zu versehen während City Anwohner für ihre hohen Mietkosten keine "Entschädigungen" vom Staat erhalten kreiert nicht mehr Gerechtigkeit sondern nur ein anderes Ausmass von Ungerechtigkeit.
Ist doch auch meine Meinung. Am besten wäre die ersatzlose Streichung, denn...
Zitat:
Letztlich profitieren auch die Citybewohner von den Pendlern, sonst wären die Mieten in den Städten nämlich tatsächlich viel höher. Mal stelle sich nur mal vor, die tausende Pendler nach Düsseldorf würden jetzt in Düsseldorf alle eine Wohnung suchen.
... solche kruden Konstrukte zeigen, dass Subventionitis alle möglichen Effekte haben kann, aber nicht zu mehr 'Gerechtigkeit' führen.
Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen bzw in das alte Politikergeschwätz (..es ist schon alles gesagt worden, nur nicht von jedem..) einzustimmen:
Die Pendlerpauschale ist nur eine Facette aus dem weiten Bereich "Werbungskosten" - bisher waren halt nun mal Ausgaben, die der Steuerbürger notwendigerweise hat um sein Einkommen zu erzielen von eben diesem Einkommen vor der Ermittlung der zu zahlenden Steuer abzuziehen. Dass der km-Ansatz pauschaliert worden ist, war schon eine deutliche Abschwächung dieses Prinzips, denn i.d.R. gibt es kein Auto, das sich für 30 ct über 2 km bewegen lässt, wenn man eine vernünftige Kalkulation ansetzt.
Dass das BVG eine nicht-verfassungsgemässe Handhabung sieht, wenn das Gespann Merkel/Steinbrück schlicht sagt "Ätsch, Steuerzahler, Du bist uns zu teuer und deswegen durchbrechen wir unsere selbstgestellten Regeln und knöpfen Dir mehr Geld ab" und das Ganze nur damit begründet, dass sie zuwenig Geld haben - also ich finde das absolut klar und nachvollziehbar.
Vielleicht ist das einer der wesentlichen Unterschiede zwischen BRD und DDR...
Dass man zur Pendlerpauschale durcheua unterschiedliche Meinugnen haben kann, ist mir klar. Und, juhu, mich betrifft sie nicht, seit einiger Zeit habe ich nur noch 3 km ins Büro.
Somit hat das BVG DIESER Form der Pendlerpauschale ab 21km eine klare Absage erteilt. Es wäre aber möglich, die Pendlerpauschale GANZ abzuschaffen oder zu reduzieren, wenn man das entsprechend (also z. B. mit Umweltschutz) begründen würde.
Sorry, ich halte das Urteil des BVG und seine Begründung, soweit sie in der Presse referiert wurden, für kompletten Schwachsinn. Das hat nichts damit zu tun, ob die PP in der alten oder nun verworfenen Form Sinn macht oder nicht.
1. Das BVG erkennt Lenkungs- und Förderungsabsichten an, die der Sanierung der Staatsfinanzem aber nicht. Das ist eine Prioritätensetzung, die den BVG m.M. nach nichts angeht. Das muss ein Privileg der Politik bleiben.
2. Mir ist nach wie vor schleierhaft, wo der Gleicheitsgrundsatz verletzt sein soll.
3. Die Aussage, die neue PP sei nicht ausreichend begründet (will heissen, mit einer anderen Begründung könnte sie ok sein) ist rabulistische Korinthekackerei. Entweder ein Gesetz ist verfassungskonform oder nicht.
Auch wenn sich jetzt Millionen Bürger über das Geschenk der Weihnachtsmänner aus Karlsruhe freuen (den richtigen Frack habe sie ja an), so ein Urteil kann keiner wirklich verstehen. Ein Urteil mit solch einer verqueren Begründung, das Millionen viel Geld kosten würde, riefe Kopfschütteln und Empörung hervor.
Ausserdem verstärkt es die Tendenz, den Handlungsspielraum der Politik in Sachfragen immer weiter einzuschränken. Die Karlsruher Richter spielen sich immer mehr zur Neben- oder gar Überregierung auf, ohne demokratisch dazu legitimiert zu sein. Es verstärkt auch die Neigung der Politik, in schwierigen Fragen mit Blick auf mögliche Reaktionen Karlsruhes lieber überhaupt nichts mehr zu tun.
FW:
Das kann ich aber so jetzt nicht bestätigen. Die Richter tun das, was die Jurisdiktion zu tun hat. Das ist eben Gewaltenteilung, dass die Regierung nicht einfach tun kann, was sie will.
Mich würde bei all der Kritik am BVG mal interessieren, wie der Wortlaut des entsprechenden Gesetzes überhaupt lautet, aus dem die Begründungspflicht hervorgeht.
Mein juristischer Laienverstand hat diese Passage des Artikels als relevant für das BVG-Urteil ausgemacht:
►" Ungleichbehandlung von Personengruppen/ „Neue Formel“ [Bearbeiten]
Bei der Ungleichbehandlung von Personengruppen hingegen wendet das Bundesverfassungsgericht seit der Entscheidung zur Präklusion im Zivilprozess (BVerfGE 55, 72) die sogenannte „Neue Formel“ an (nach dem Berichterstatter in dem Verfahren auch „Katzenstein-Formel“ genannt). Danach muss für die Ungleichbehandlung ein „Grund von solcher Art und von solchem Gewicht“ vorhanden sein, „dass er die Ungleichbehandlung rechtfertigen kann“.
Dabei wird eine strenge Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz angenommen.(...) Je intensiver aber der Eingriff in (...) Grundrechte [des Betroffenen] ist, je weniger ihm das Ausweichen also möglich ist, desto strenger ist hier die Bindung des Staates an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. ◄
Und weiter schließt mein juristischer Laienverstand daraus, dass schlichte Haushaltskonsolidierung kein Grund ist, der für die vorgenommene Ungleichbehandlung schwerwiegend genug ist.
Soweit deckt sich das ja auch mit den Beiträgen hier.
Jetzt sagst du, der Gesetzgeber müsste dasselbe Gesetz einfach nur anders begründen und es wäre OK. Klingt simpel, aber welche Begründung von Gewicht könnte die Ungleichbehandlung in DIESEM KONKRETEN FALL begründen?
F-W schrieb am 10.12.2008 17:09
Sorry, ich halte das Urteil des BVG und seine Begründung, soweit sie in der Presse referiert wurden, für kompletten Schwachsinn. Das hat nichts damit zu tun, ob die PP in der alten oder nun verworfenen Form Sinn macht oder nicht.
Ich würde auch gerne die schriftliche Urteilsbegründung in Ruhe lesen, bevor ich mich detailliert dazu auslasse, aber was solls
Zitat:
1. Das BVG erkennt Lenkungs- und Förderungsabsichten an, die der Sanierung der Staatsfinanzem aber nicht. Das ist eine Prioritätensetzung, die den BVG m.M. nach nichts angeht. Das muss ein Privileg der Politik bleiben.
Sanierung der Staatsfinanzen ist auf vielerlei Arten möglich, deshalb genügt es nicht, punktuell eine Maßnahme, die eine Ungleichheit schafft (und damit in der Gefahr schwebt, verfassungswidrig zu sein), als verfassungsgemäß durchzuboxen.
IMHO hat das BVG damit das Primat der Politik schon weiter ausgedehnt, als es mir lieb sein kann. Wir sind nun quasi offiziell nur noch vor willkürlicher Ungleichbehandlung geschützt.
Zitat:
2. Mir ist nach wie vor schleierhaft, wo der Gleicheitsgrundsatz verletzt sein soll.
Manche Werbungskosten werden anerkannt, andere nicht. Die 20km-Grenze ist Willkür und unbegründet.
Zitat:
3. Die Aussage, die neue PP sei nicht ausreichend begründet (will heissen, mit einer anderen Begründung könnte sie ok sein) ist rabulistische Korinthekackerei. Entweder ein Gesetz ist verfassungskonform oder nicht.
Da interpretierst Du (bzw. die Berichterstatter) die Aussagen etwas fehl, sofern ich das von den bisher bekannten wörtlichen Zitaten aus der mündlichen Urteilsbegründung ableiten kann.
Es ging vielmehr darum, dass der Politik weitgehend freie Hand eingeräumt wird, ob eine Pendlerpauschale existieren muss oder nicht. Im Rahmen einer schrittweisen Reform des Steuerrechts beispielsweise (Abkehr vom Nettoprinzip oder was auch immer). Dass exakt diese Ausgestaltung mit einer super Begründung und sonst nix jemals verfassungskonform sein könnte, habe ich aus den Berichten nicht entnehmen können.
Mich wundert eigentlich, dass sich die Richter den Seitenhieb auf die völlig schwachsinnige Ausgestaltung der "Entfernungspauschale" seit 2001 verkniffen haben. Das war eigentlich schon die Abkehr vom Prinzip der Werbungskosten, wo prinzipiell nur echte, aber keine hypothetischen Kosten berücksichtigt werden.
Sehr untypisch fand ich, dass der Politik nicht - wie sonst oft - eine Übergangszeit eingeräumt wurde, um den Missstand zu beseitigen, sondern vielmehr zwingend eine "Rückabwicklung" bis 2007 ins Urteil geschrieben wurde. Dass die Politik da ihren eingeräumten Spielraum "aber es kann auch rückwirkend zu 2007 eine neue Regelung geschaffen werden" nur theoretisch ausreizen kann, sollte klar sein.
F-W schrieb am 10.12.2008 17:09
Sorry, ich halte das Urteil des BVG und seine Begründung, soweit sie in der Presse referiert wurden, für kompletten Schwachsinn. Das hat nichts damit zu tun, ob die PP in der alten oder nun verworfenen Form Sinn macht oder nicht.
1. Das BVG erkennt Lenkungs- und Förderungsabsichten an, die der Sanierung der Staatsfinanzem aber nicht. Das ist eine Prioritätensetzung, die den BVG m.M. nach nichts angeht. Das muss ein Privileg der Politik bleiben.
FW,
mir geht diese bürgerliche Demut ab. Ich kann gegenüber dem FA in der Regel keine Werbungskosten erfolgreich geltend machen, ohne eine plausible und in enge Vorgaben angepasste Begründung zu geben (s. frühere Zeiten und die Absetzbarkeit eines PCs bis in Prozentpunkte).
In den vorgegebenen Rahmen passende Begründung ist essentiell.
Ich kann nicht einfach sagen, das sei nun mal notwendig für meine Arbeit, basta. Außerdem brauche ich das Geld zur Sanierung meiner Finanzen.
Würde für den Gesetzgeber kein Rahmen bestehen, dann hätten wir gegenüber dem Bürger einen äußerst asymetrischen Zustand. Das kann man nur einem braven deutschen Bürger so servieren.
Wenn man das Urteil lächerlich empfindet, dann sollte man konsequenterweise für den Wegfall der Begründungen für das FA kämpfen.
MartiS2 schrieb am 10.12.2008 20:56
Ich kann gegenüber dem FA in der Regel keine Werbungskosten erfolgreich geltend machen, ohne eine plausible und in enge Vorgaben angepasste Begründung zu geben (s. frühere Zeiten und die Absetzbarkeit eines PCs bis in Prozentpunkte).
In den vorgegebenen Rahmen passende Begründung ist essentiell.
Ich kann nicht einfach sagen, das sei nun mal notwendig für meine Arbeit, basta. Außerdem brauche ich das Geld zur Sanierung meiner Finanzen.
Wenn mir meine Finanzbehörde sagt, dass ich meine Ausbildungskosten nicht mit der Begründung "Ausbildung zum MBA" absetzen kann, dafür aber unter der Überschrift "Weiterbildung zur beruflichen Förderung" wäre das dieselbe Korinthenkackerei.
Das Urteil ist deshalb lächerlich, weil es 1. um keine Grundsätzlichkeiten geht sondern nur Spitzfindigkeiten und 2. diese auch noch Tagespolitik sind und somit das BVG nichts angehen.
Die Begründung mal für sich genommen, dass die Fiskalpolitik der Bundesregierung nicht dem Gleichheitsgrundsatz entspricht, ist entweder völlig absurd oder lässt die Frage übrig, warum das BVG nicht umgehend einschreitet und sämtliche Steuern, Abgaben und Subventionen auf den Prüfstand der Gleichheit stellt. Dann wäre am Ende des Tages vom Staat gezahltes Kindergeld (Ungleichbehandlung gegenüber Menschen ohne Kinder) genauso asymmetrisch wie nicht gewährte Pendlerpauschale bis km 20. Ich halte das BVG für durchaus kompetent dies alles zu entscheiden, es müsste dann aber zumindest vom Volk dafür gewählt werden. Die Politik kann man ja dann dafür als Ausgleich abschaffen.
Na DP, ich glaube du schießt über das Ziel hinaus. Das BVG hat doch lediglich gesagt, dass es keinen Grund erkennen kann, aus dem die Absetzung erst ab km 20 richtig ist. Diese Festsetzung ist somit willkürlich.
Das BVG ist doch auch keine Instanz, um jegliche Gleichbehandlung durchzusetzen. Förderung und Schutz der Familie, etc. sind in der Verfassung verankert, in Folge ist die Zahlung von Kindergeld sicher verfassungskonform.
Ich finde, die Mechanismen funktionieren hier noch gut: Ein (wieder mal) vermurkstes Gesetz wurde zu Recht gekippt.
Wo ich zustimmen würde: Es gibt in Deutschland, vor allem durch fiskale Intervention, wahrscheinlich unzählige Schiefstände und Ungleichbehandlungen, die wesentlich schwerer wiegen und über die sich noch kein Verfassungsrichter beschwert hat.
DP schrieb am 11.12.2008 09:13
Wenn mir meine Finanzbehörde sagt, dass ich meine Ausbildungskosten nicht mit der Begründung "Ausbildung zum MBA" absetzen kann, dafür aber unter der Überschrift "Weiterbildung zur beruflichen Förderung" wäre das dieselbe Korinthenkackerei.
DP,
diese Korinthenkackerei ist essentieller Bestandteil in der Juristerei und des Umgang mit Behörden. Gerichtsurteile ohne Begründung gibt es nicht. Es geht hier um das Verständnis der Argumentationslinie auf deren Basis man handelt/urteilt, und hat irgendwie mit Zivilisation und Demokratie zu tun. Wer 'order di Mufti' so einfach akzeptieren will lebt im falschen System.
Extrapoliert man das Argument, dass eine Regierung freie Entscheidungbefugnis über ihre Finanzen und Steuererhebzung haben müsse, dann frage ich Dich, was hindert sie dann 95% Deines Einkommens wegzusteuern? Gab es da nicht auch mal ein BVG-Urteil?