Durch Zufall habe ich gestern eine Diskussionsrunde im Radio zum dem Thema verfolgt und war überrascht.
Der Bachelor ist also hierzulande jetzt das Maß der Dinge und soll den Abiturienten in sechs (!) Semestern zum Akademiker und vor allem verwertbar für die Wirtschaft machen. Wem das nicht reicht, der kann zum Master werden, allerdings *kann* aus Sicht der Unis, denn die vermauern diesen Weg den meisten Aspiranten.
Derweil kommen auch Bedenken aus der Wirtschaft, ob diese schnellgebackenen Akademiker wirklich das sind, was man sich vom Lobbygeschrei über zu lange universitäre Bildung eigentlich versprochen hatte.
Bildung ist bekanntlich unser wichtigster Rohstoff. Sind Bürokraten und Ideologen nun endgültig dabei, diese Rohstoffquelle zuzuschütten?
Durch blinde umsetzung besteht die Gefahr tatsächlich.
So ist eine Vorgabe, dass nicht jeder Bachelor den Master machen soll. In der Physik ist das der Regelfall, weil man da froh um jeden Studenten ist, aber in den Studiengängen mit mehr Zulauf wird dann durchaus aussortiert. Soweit, so nachvollziehbar. Die Krux ist, dass in Studiengängen wie etwa Psychologie der Bachelor garkein berufsqualifizierender Abschluss ist. Wer da also nach drei Jahren aufhört hat....nichts.
Was der Wirtschaft BA.s in BWL oder BScs in Mathe oder Informatik wert sind, wird sich erst noch herausstellen müssen. Da fehlt einfach die Erfahrung.
In Antwort auf:So ist eine Vorgabe, dass nicht jeder Bachelor den Master machen soll. In der Physik ist das der Regelfall,...
Lexx, ich würde mich ehrlich gesagt auch totlachen über einen sogenannten Physiker nach sechs Semestern. Ich habe selber vier Semester Physik gemacht, bin dann aber aufs Ingenieurfach gewechselt. Nach vier Semestern, also dem Grundlagenstudium, weiß man in diesen Studiengängen gerade mal, wie es an der Uni läuft. Dann hat man nach neuem Muster also noch zwei Semester für ... ja was eigentlich?
So ein Informatik-Bachelor wird in etwa so viel Wert sein, wie heute schon sein Absolventenkollege von der FH. Viel kann es sich ja nicht nehmen: Gestraffte stark verschulte Inhalte in effektiv 2,5 Jahren durchgepaukt.
Spock: ►"Nach vier Semestern, also dem Grundlagenstudium, weiß man in diesen Studiengängen gerade mal, wie es an der Uni läuft."◄
Das mag beim alten Diplom stimmen, beim Bachelor aber nicht. Genau das ist ja Teil der Kritik, dass die Studenten sich garnicht in ihrem Studium "einleben" können, sondern von Anfang an ranklotzen müssen. Ich hatte im ersten Semester wöchentlich vier Übungszettel, die gemacht werden mussten, um zur Klausur zugelassen zu werden. Die ersten drei für die Endnote relevanten Prüfungen hatte ich nach vier Monaten(!). Wer da gerade erst weiß, "wie es an der Uni läuft" hat entweder schon seinen Notenschnitt belastet oder sich bereits das erste Jahr Verlängerung eingehandelt (die Vorlesungen werden nur alle 2 Semester angeboten).
Ich denke, es dürfte durchaus ein Problem sein, dass diejenigen, die die Bewerbungen der neuen Gesellen (Bachelors) lesen, noch in den alten Vorstellungen verhaftet sind, als nur Meister (Diplomer) ausgebildet wurden. Tatsächlich ist ein Bachelor-Studium in Physik eine Vollzeit-Beschäftigung, zumindest in den ersten Semestern. Dementsprechend hat auch niemand bei uns der nebenbei arbeiten musste seinen Bachelor nach sechs Semestern geschafft.
Diese Arbeitsbelastung ist übrigens gewollt. Die Bachelorstudiengänge wurden mit einem Arbeitsaufwand von 1800 Stunden im Jahr geplant. Zum Vergleich: Eine Vollzeit-Stelle in Deutschland hatte 2003 im Schnitt eine Jahresarbeitszeit von 1760 Stunden. Wenn die Arbeitsbelastung sich jetzt als zu hoch herausstellt, dann ist das ein Systemfehler und kein Umsetzungsfehler.
Lexx, meine Erfahrungen sind nicht ganz vergleichbar, weil ich das Grundlagenstudium noch unter DDR-Bedingungen machen musste. Es gab 200 Mark Stipendium, der Wohnheimplatz kostete 10 Mark, 75% Ermäßigung für Bahnfahrten zwischen Uni und Heimatort (eine Fahrt von Leipzig nach Erfurt um die 100km kostete um die 5 Mark). Damit konnte man auskommen und brauchte nicht zu jobben (wobei Jobben dem DDR-Modell ohnehin nicht entsprach). Das Grundlagenstudium in allen technischen Studiengängen galt als hart (so doch aber auch im Westen). Bereits am Ende des ersten Semesters wurde per Zwischenprüfung gesiebt, man hatte das Recht auf eine Wiederholung und konnte eine zweite bewilligt bekommen, danach war man raus.
Aber selbst die DDR gönnte ihren angehenden Wissenschaftlern und Ingenieuren, die diese ersten vier harten Semester überstanden, weitere vier bis acht um zum Diplom zu kommen. Außer der oft schlechten technischen Ausstattung herrschten in Punkto wissenschaftlicher Arbeit, Betreuung durch die Professoren geradezu paradiesische Zustände.
Für ein Studium, das diesen Namen verdient gilt m.E. immer die Faustregel, dass auf jede in Vorlesungen und Seminaren verbrachte Stunde eine Stunde Heimarbeit kommt. Clevere kommen mit weniger aus, unbegabtere brauchen mehr. Mit dieser Maßgabe wird jedes Studium vergleichbar mit einer 40 Stunden Arbeitswoche. Anders wird es nicht gehen.
Spock: "Mit dieser Maßgabe wird jedes Studium vergleichbar mit einer 40 Stunden Arbeitswoche. Anders wird es nicht gehen."
Vielleicht sollten wir zwischen den MINT-Fächern und Jura/Medizin auf der einen und den Geisteswissenschaften auf der anderen Seite unterscheiden?
In den Ingenieurswissenschaften (gibts bei uns an der Uni nicht) ist die Umstellung nach Hörensagen wohl weniger deutlich, weil es da wohl auch Blockprüfungen vorher gab.
Am deutlichsten dürfte die Umstellung wohl die Geistes- und Sprachwissenschaften getroffen haben...die auch die Mehrheit der Protestierenden stellen dürften. Die wesentliche Neuerung ist nämlich, dass man für jeden Sch.... einen "individuellen Leistungsnachweis" erbringen muss um die Kreditpunkte zu bekommen. Man muss also für jede kleine Vorlesung, für jedes Seminar meistens eine Hausarbeit schreiben oder für eine Klausur/Prüfung lernen. Scheine nur für Anwesenheit gibt es nicht mehr, bzw. darf es nicht mehr geben.
Das Physik-Diplom war früher so, dass man vier Semester lang nur Scheine gesammelt hat. Scheine für Vorlesungen, Scheine für Praktika usw. Im vierten Semester kam dann die Vordiplomprüfung, die erste Prüfung mit Note. Im Physik-Bachelor ist es so, dass man von Anfang an Noten sammelt. Noten für Module, Noten für Praktika. Die Praktika, für die wir heute benotet werden, mussten die Diplomer früher einfach nur bestehen. Das bedeutet natürlich wesentlich weniger Aufwand. Die Vorlesungen, für die wir regelmäßig Übungszettel machen müssen, konnte man früher einfach nur hören und die Klausur bestehen. Das bedeutet natürlich wesentlich weniger Aufwand. Das ist, denke ich, schon eine deutliche Verschärfung der Bedingungen. Der Arbeitsaufwand für mein erstes Semester setzt sich, soweit ich mich daran erinnere, aus 22 Stunden Vorlesungen und Übungen in Mathe und Physik und 20-25 Stunden für die Übungszettel zusammen. Dazu kommen noch 2 Stunden pro Woche für eine "fachfremde Vorlesung" (Wahlpflicht). Selbst ohne Vor- und Nachbereitung sowie Lernen für die Klausur hatte ich zumindest anfangs praktisch eine 50-Stunden-Woche (+15 Stunden Hin- und Rückfahrt). In der vorlesungsfreien Zeit, den sogenannten Semesterferien, hatten wir dann ein mehrwöchiges Laborpraktikum, natürlich mit Prüfung und Note am Ende. Das zweite Semester sah ganz ähnlich aus. Etwas mehr Physik aber gleicher Arbeitsaufwand und wieder ein Laborpraktikum in der vf Zeit (6 Wochen). Dazu die erste Modulprüfung und natürlich alles benotet.
Ich bin damit klar gekommen, weil ich 1. Bachelor/Master bewusst dem Diplom vorgezogen habe und mich daher kompromisslos angepasst habe (ich wollte das so) 2. nicht nebneher arbeiten musste und 3. zur Spitzengruppe der Studenten gehörte
Ich kann aber sehr gut verstehen, dass sich andere über diese Bedingungen beschweren. Zu den harten Studienbedingungen kommt noch die fehlende Wahlfreiheit hinzu: Im Bachelor-Physik kann man KEINE Physik-Vorlesung frei wählen. Es ist vorgegeben, wann man welche Veranstaltung besucht. Lediglich das Nebenfach und die fachfremden Vorlesungen sind wählbar.
Da kann dan schon der Eindruck aufkommen, dass man kein selbstbestimmtes Studium mehr absolviert, sondern ein Lern-Zombie ist, der Kreditpunkten und Einzelnoten hinterherhechelt. Das ist der eine Problemkomplex.
Der andere sind die sonstigen Studienbedingungen. Die Studiengebühren sind zur Verbesserung der Lehre gedacht und die meisten Unis in NRW nehmen den Höchstsatz von 500 € pro Semester. Viele Studenten sehen allerdings keine Verbesserung der Lehre. Vorlesungssäle sind überfüllt, Kurs- und Seminarplätze werden verlost(!), sodass es reine Glückssache ist, in der Regelstudienzeit fertig zu werden. Und bei Professoren muss man einen Monat vorher einen Termin abmachen. Auch das sind alles Probleme, die es bei uns in der Physik nicht gibt. Das Verhältnis Studenten/Professoren liegt nahe 5:1, die meisten sind entweder ansprechbar oder nicht da (was ist eine Sprechstunde?) und die Hörsäle in der Regel deutlich unterbesetzt.
In Antwort auf:Der andere sind die sonstigen Studienbedingungen. Die Studiengebühren sind zur Verbesserung der Lehre gedacht und die meisten Unis in NRW nehmen den Höchstsatz von 500 € pro Semester. Viele Studenten sehen allerdings keine Verbesserung der Lehre. Vorlesungssäle sind überfüllt, Kurs- und Seminarplätze werden verlost(!), sodass es reine Glückssache ist, in der Regelstudienzeit fertig zu werden.
skandalös ist mancherorts auch, wie die gelder verteilt werden. die gebühren der geisteswissenschaftler fließen bspw. in die einrichtungen der mint-studiengänge. oder die gelder werden für die öffentlichkeitsarbeit der uni verpulvert.
"Die einfachste surrealistische Tat besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings, solange man kann, in die Menge zu schießen. Wer nicht einmal im Leben Lust gehabt hat, auf diese Weise mit dem derzeit bestehenden elenden Prinzip der Erniedrigung und Verdummung aufzuräumen - der gehört eindeutig selbst in diese Menge und hat den Wanst ständig in Schusshöhe." ~André Breton
In Antwort auf:In den Ingenieurswissenschaften (gibts bei uns an der Uni nicht) ist die Umstellung nach Hörensagen wohl weniger deutlich, weil es da wohl auch Blockprüfungen vorher gab.
Am deutlichsten dürfte die Umstellung wohl die Geistes- und Sprachwissenschaften getroffen haben...die auch die Mehrheit der Protestierenden stellen dürften. Die wesentliche Neuerung ist nämlich, dass man für jeden Sch.... einen "individuellen Leistungsnachweis" erbringen muss um die Kreditpunkte zu bekommen. Man muss also für jede kleine Vorlesung, für jedes Seminar meistens eine Hausarbeit schreiben oder für eine Klausur/Prüfung lernen. Scheine nur für Anwesenheit gibt es nicht mehr, bzw. darf es nicht mehr geben.
Das scheint mir besonders interessant. Ich erinnere mich noch gut, dass den Professoren der 'harten' Fächer, etwa Analysis oder theoretische Mechanik recht egal war, wie zahlreich wir im Hörsaal vertreten waren. Manche kommentierten ihre Gleichgültigkeit sogar süffisant. In den harten Fächern wurde und wird eben in der Prüfung abgerechnet. Anders sah es in den - für Naturwissenschaftlern/Ingenieure begleitenden - weichen Disziplinen aus. Da gingen ständig Anwesenheitslisten rum...
Und es liegt wohl in der Natur, dass eine geisteswissenschaftliche Fähigkeit schwerer zu überprüfen ist,als eine naturwissenschaftliche.
Dass die Bachelor-Straffung nach deinen Ausführungen ausgerechnet die Geisteswissenschaftler stärker trifft, finde ich gar nicht so schlimm. Zumindest nach dem Klischee sind das ja die Disziplinen, in denen ziellos ohne Zeitmaß herumstudiert wurde, von den Chancen am Arbeitsmarkt für die Heere an Germanisten und Soziologen mal abgesehen.
Ich fasse das mal zusammen. Bachelor/Master verhindert also, dass sich Studenten mit Minimalaufwand durch das Studium zum Diplom schleichen. Für diejenigen, die das Studium sowieso ernst nehmen, ändert sich praktisch nichts (die alten Schwächen an einigen Unis mit zuwendig Plätzen für allerlei Pflichtveranstaltungen werden naturgemäß nicht dadurch behoben).
Unterm Strich ist das doch also eine prima Sache. In den für die Zukunft des Landes entscheidenden Fächern (Ingenieurswissenschaften) hat sich eh kaum was geändert, weil Bachelor/Master ungefähr Vordiplom/Diplom entspricht. Zumindest hört sich Deine Beschreibung verdammt nach meinem Studium an, auch da war viel festgelegt und es wurde ständig geprüft.
Also ich kann hier nicht viel beisteuern weil ich schon länger von der Uni weg bin. Aber eines doch noch; ich mache gerade ein Master (Business Management). Finanziert durch meine spendable Firma nehme ich innert 3 Jahren an verschiedenen Kursen teil, schreibe eine Master Arbeit und bin dann Master. So die Hälfte habe ich hinter mir und muss leider sagen; es ist doch ziemlich schockierend was hier so an Erwachsenenbildung verkauft wird. Das sind 3tägige Quatschclubs mit Selbsterfahrungseinbringung. Man tauscht die Businesskarten aus, lauscht einem Dozenten, der sicher interessante Dinge berichtet, anschliessend im Workshop werden Flipcharts mit Marketingmist ausgefüllt. Wer nichts beitragen will darf still in der Ecke sitzen und seinen Namen abhaken. Das ganze wird kontrolliert durch einen Onlinefragebogen. Der ist ziemlich tough, dachte ich beim erstmaligen ausfüllen, bis man feststellt, dass man das Teil nur einmal falsch abschicken muss, dann öffnet sich die Datei und alle Antworten werden präsentiert. Die trägt man ein und schwupps hat man alle richtigen Antworten und erhält von der Schule ein Glückwunsch - lächerlich. Das einzige was wirklich kontrolliert wird ist die pünktlich bezahlte Rechnung. Zuerst bin ich recht enthusiastisch an die Sache herangegangen. Mittlerweile ist offensichtlich, dass diese Master Studiengänge allein dazu da sind, gute Mitarbeiter zu halten und zu belohnen. Früher griff man zu Nutten und Brasilienreisen, heute nennt sich das Master.
Spock: Sicher hat die Umstellung nicht nur negative Folgen. Ich bereuhe meine Entscheidung gegen das Diplom bis dato jedenfalls nicht.
Was ich selbst an Kritik bestätigen kann ist allerdings z.b., dass der Versuch, die Mobilität zu erhöhen, ins Gegenteil umgeschlagen ist. Es gibt wegen der strikten CP-Regelung viel größere Anpassungsprobleme schon zwischen deutschen Universitäten, was einen Wechsel noch schwieriger macht als früher. Heute geht es nicht nur darum, ob ein Schein (Modul) anerkannt wird oder nicht, sondern auch, ob die Kreditpunktewertung übernommen wird. Diese Probleme gibt es teilweise sogar innerhalb der Universität. Zudem unterscheidet sich der Studienplan der Unis meist, womit sich die Frage ergibt, wieviel des Plans an der neuen Uni man mit den Veranstaltungen an der alten Uni bereits hinter sich hat und ob man problemlos da einsteigen kann.
Durch die Formalisierung ergeben sich also theoretisch mehr mögliche Probleme, die einen Wechsel in der Praxis auch tatsächlich schwieriger machen. Lediglich bei abgeschlossenem Bachelor seinen Master woanders zu machen ist innerhalb Deutschlands kein Problem. In anderen EU-Ländern mitunter schon, weil die teilweise andere Regelstudienzeiten haben und einen Bachelor mit weniger dann nicht anerkennen.