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Dieses Thema hat 12 Antworten
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 Themen des Tages
DP Offline



Beiträge: 5.248

21.10.2009 07:53
Hartz IV auf dem Prüfstand des BVG Antworten

5 Jahre nach der Einführung der Arbeitsmarktreform der Regierung Schröder wird diese nun höchstrichterlich überprüft. Die Regelungen hatten gleich zu Beginn sowohl Proteste als auch eine wahre Flut von Klagen ausgelöst. Inzwischen sind weit mehr als 100 000 Verfahren anhängig. Das Bundessozialgericht richtete einen eigenen Senat ein, um den Ansturm zu bewältigen.

Hintergrund der Überprüfung durch das BVG sind drei Verfahren, die derzeit vor dem Hessischen Landessozialgericht und vor dem Bundessozialgericht anhängig sind. Beide Gerichte kamen zu der Auffassung, dass die Regelungen über die Höhe der Zahlungen an Kinder verfassungswidrig sind, und legten diese Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor. Sie rügten, dass der Gesetzgeber für Kinder lediglich eine Staffelung von 60, 70 oder 80 Prozent der Unterstützung für Erwachsene vorsieht, anstatt den tatsächlichen Bedarf zu ermitteln. Danach bekommen derzeit Kinder bis fünf Jahre 215 Euro, zwischen sechs und 13 Jahren 251 Euro und vom Beginn des 15. Lebensjahres an 287 Euro. Ehegatten oder Partner erhalten ebenfalls nicht den vollen Satz, sondern 323 Euro. Das Hessische Landessozialgericht hält darüber hinaus auch die Höhe des Grundregelsatzes selbst für verfassungswidrig.

In dem Verfahren überraschten die Karlsruher Richter mit der Ankündigung, dass sie die Vorschriften zum Arbeitslosengeld II nicht nur am Gleichheitsgebot messen wollten, sondern auch am wesentlich breiteren Maßstab der Menschenwürde des Artikels 1 des Grundgesetzes. Dabei werde sich das Gericht erstmals sowohl mit dem sachlichen Gehalt des Existenzminimums als auch mit dem Inhalt und den Grenzen des gesetzgeberischen Ermessens bei der Gestaltung von Sozialleistungen beschäftigen, sagte Gerichtspräsident Papier. (FAZ)

____________

Ich bin hier gespalten. Dass das BVG dem Gesetzgeber die (scheinbare) Beliebigkeit in der Bedarfsermittlung vorwirft kann ich nachvollziehen. Wobei es sich das Gericht wieder einfach machen wird, die Ermittlung beanstandet und keine Vorgaben für eine korrektere Evaluierung machen wird.
Kritisch sehe ich den zweiten Punkt. Das Verfassungsgericht will sich ernsthaft mit der Frage befassen, wie mit den Regelsätzen die Menschenwürde und das Recht jedes Bürgers sich am sozialen und kulturellen Leben gleichberechtigt zu beteiligen, gewahrt wird. Kann da nicht eigentlich nur Murks bei rauskommen?


MartiS2 Offline



Beiträge: 7.094

21.10.2009 09:21
#2 RE: Hartz IV auf dem Prüfstand des BVG Antworten

Zitat von DP
Kritisch sehe ich den zweiten Punkt. Das Verfassungsgericht will sich ernsthaft mit der Frage befassen, wie mit den Regelsätzen die Menschenwürde und das Recht jedes Bürgers sich am sozialen und kulturellen Leben gleichberechtigt zu beteiligen, gewahrt wird. Kann da nicht eigentlich nur Murks bei rauskommen?



Das Interessante ist, dass Hartz IV Empfänger in vielen 'kulturellen' Bereich in der Praxis begünstigt sind. So ist beispielsweise die Jahreskarte zum Ludwigsburger Blühenden Barock (mit vielen Veranstaltungen über das Jahr), oder die Stuttgarter Wilhelma deutlich verbilligt (bis zu 80% billiger), GEZ ist frei. Hier finden überall Transferleistungen statt, die das BVerfG bei einer realistischen Bewertung eigentlich berücksichtigen müsste (was machen eigentlich Kinder, die in der Pampa aufwachsen, und praktisch nie in den Genuss menschenwürdiger Veranstaltungen kommen? Muss Pampa verboten werden?).

Sollte das BVerfG hier Ansprüche zementieren, dann muss sich niemand mehr zu Transferleistungen bemüßigt fühlen. Wo der Staat die Rolle übernimmt, hat nicht-staatliche Initiative keine Grundlage mehr.

Was die Berechnung des Grundbedarfs angeht, muss sich dieser ganz sicher am tatsächlichen Bedarf orientieren. Er sollte sich aber auch hier an der Realität orientieren. Ist es menschenunwürdig, wenn Bedürftige sich nicht alle Kinderspielsachen und Kinderbettchen neu anschaffen können, sondern diese gebraucht erwerben müssten? Eine Praxis, die auch unter weniger Bedürftigen weit verbreitet ist. Das Problem ist immer, dass eine richterliche Feststellung pauschal höher liegen muss als das in der alltäglichen Selbstorganisation notwendig ist.

Da hätte ich es besser gefunden, den Eltern die Geltendmachung von Schonvermögen für Kinder zu erleichtern (Freibetrag). Ich hatte hier vor einiger Zeit berichtet, dass Hartz IV Antragsteller von der ARGE im Dunkeln gelassen werden, dass für die Geltendmachung von Kinderfreibeträgen deren Vermögen deutlich getrennt sein muss (eigenes Konto), und dass der, der das nicht weiß, rasiert wird. In dem Fall einer neuen und alleinerziehenden Mutter ist dieser Formalismus praxisfern, sie wird also eventuell vorhandenes Vermögen abschmelzen müssen, das sie eigentlich für Sonderausgaben nutzen könnte, bis sie wieder arbeiten kann. Der Vorteil des Sondervermögens gegenüber der monatlichen Leistung ist, dass damit keine richterliche Bedarfermittlung verbunden sein muss: Ein Puffer über den nach individuellen Prioritäten verfügt werden kann.

Lexx Offline



Beiträge: 3.730

21.10.2009 14:26
#3 RE: Hartz IV auf dem Prüfstand des BVG Antworten

Martin:
"was machen eigentlich Kinder, die in der Pampa aufwachsen, und praktisch nie in den Genuss menschenwürdiger Veranstaltungen kommen? Muss Pampa verboten werden?."

Es geht nicht darum, dass der Staat mit all seiner Macht versucht, ungleiche Lebensbedingungen zu beseitigen. Im Fall von Hartz IV geht es darum, dass er ungleiche Lebensbedingungen nicht noch selbst verursacht. Also nicht die Pampa muss an sich verboten werden. Sondern der Staat darf nicht noch extra eine neue Pampa einrichten.


"Da hätte ich es besser gefunden, den Eltern die Geltendmachung von Schonvermögen für Kinder zu erleichtern (Freibetrag)."

Laut Urban Priol betrifft die derzeit von sg geplante Anhebung des Schonvermögens unglaubliche 0,2% der Hartz-IV-Empfänger. Mit anderen Worten: Nicht relevant!
Wie das bei Kindern aussieht, weiß ich nicht aber die meisten Hartz-IV-Empfänger dürften eher Schulden als ein Vermögen haben.

Spock Offline



Beiträge: 2.377

21.10.2009 16:27
#4 RE: Hartz IV auf dem Prüfstand des BVG Antworten

In Antwort auf:
Es geht nicht darum, dass der Staat mit all seiner Macht versucht, ungleiche Lebensbedingungen zu beseitigen. Im Fall von Hartz IV geht es darum, dass er ungleiche Lebensbedingungen nicht noch selbst verursacht. Also nicht die Pampa muss an sich verboten werden. Sondern der Staat darf nicht noch extra eine neue Pampa einrichten.

Auf welche Weise richtet denn der Staat eine neue Pampa ein, Lexx?

Wenn sich der Staat nicht immer massiver in das Leben seiner Bürger einmischte, liefe er auch nicht Gefahr, deren Lebensbedingungen zu verändern. Für mich tun sich Abgründe auf, wenn ich - mangels eigener Erfahrung - diese 'Assi-Dokus' im Fernsehen gucke. Da bezahlen wir Leute, die 200 Tage im Jahr schnüffelnd durch die Gegend fahren und bestimmen, wer sich etwa ein neues Bett oder einen Kühlschrank kaufen darf. Das ist teuer, ineffizient und daneben entwürdigend für die Betroffenen. Die sitzen dann auf der Couch neben ihren vier Kindern und geben zu, dass bei einem Haushaltseinkommen von knapp 2000 Euro (exklusive Miete!) sich das Arbeit suchen nicht so wirklich lohne.

Mir gruselt vor einem BVG-Urteil, das den Staat hier noch mehr in die Pflicht nimmt, nach seiner Fasson für noch mehr 'Gerechtigkeit' zu sorgen.

MartiS2 Offline



Beiträge: 7.094

21.10.2009 16:51
#5 RE: Hartz IV auf dem Prüfstand des BVG Antworten

Lexx,

man sollte Zahlenaussagen verstehen, bevor man sich ein Urteil bildet. Was aber das Schonvermögen für Kinder angeht, folgendes: >30% der alleinerziehenden Frauen sind Hartz IV Empfängerinnen. Ein Großteil hat bereits einige Zeit gearbeitet, und sich auch etwas Geld zurückgelegt. Sie bleiben für zwei / drei Jahre (solange der Mutterschutz läuft) zuhause, bis das Kind Kindergartentauglich ist, und arbeiten dann wieder. Weil das Angesparte nicht für diese Zeit reicht, fallen sie unter Hartz IV. Das Angesparte muss bis auf das Schonvermögen verbraucht werden, d.h. sie startet bettelarm wieder in ihren Beruf. Da sind gegenwärtig ca. 3000 € Schonvermögen für das Kind schon viel wert. Ich schreibe nur, dass man den Betroffenen von Gesetzes wegen keine Prügel in den Weg legen sollte, um dieses Schonvermögen zu beantragen. Gegenwärtig werden sie von den ARGEn in die Irre geführt und die Sozialgerichte helfen ihnen auch nicht. Ich kann mir zusätzlich vorstellen, dass das Schonvermögen über drei Jahre gestaffelt ist. Immerhin ist die Erziehungsarbeit im vitalen Interesse unseres Staates.

Sicher ein Thema, das Dich nicht betrifft.

Gruß, Martin

Lexx Offline



Beiträge: 3.730

22.10.2009 00:58
#6 RE: Hartz IV auf dem Prüfstand des BVG Antworten

Spock:
"Da bezahlen wir Leute, die 200 Tage im Jahr schnüffelnd durch die Gegend fahren und bestimmen, wer sich etwa ein neues Bett oder einen Kühlschrank kaufen darf."

Du beschreibst Zustände aus der Zeit der Sozialhilfe. Heute gibt es keine Sachleistungen mehr.


Martin:
Es ging dabei um die Anhebung des - normalen - Schonvermögens von 250 auf 750 €, nicht um Schonvermögen für Kinder.

Kindererziehung betrifft mich - momentan jedenfalls - tatsächlich nicht, die Hartz-IV-Regelungen zumindest mittelbar.

Spock Offline



Beiträge: 2.377

22.10.2009 08:08
#7 RE: Hartz IV auf dem Prüfstand des BVG Antworten

In Antwort auf:
Du beschreibst Zustände aus der Zeit der Sozialhilfe. Heute gibt es keine Sachleistungen mehr.

Das stimmt doch nicht.

In Antwort auf:
(1) Kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 noch auf andere Weise gedeckt werden, erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung...



http://dejure.org/gesetze/SGB_II/23.html

Lexx Offline



Beiträge: 3.730

22.10.2009 08:52
#8 RE: Hartz IV auf dem Prüfstand des BVG Antworten

Hmmm, Ok, die ARGE streckt das Geld vor, verrechnet es dann aber auch mit dem Zuschuss, den sie zahlt. Das ist kein Zuschuss durch Sachleistung wie früher. Allerdings muss im Zweifel trotzdem vor Ort geprüft werden, wie du es sagst.

MartiS2 Offline



Beiträge: 7.094

22.10.2009 08:53
#9 RE: Hartz IV auf dem Prüfstand des BVG Antworten

Zitat von Lexx
Spock:

Martin:
Es ging dabei um die Anhebung des - normalen - Schonvermögens von 250 auf 750 €, nicht um Schonvermögen für Kinder.



Ja, ich hatte aber vom Schonvermögen für Kinder geschrieben, deshalb hat Deine Antwort nicht gepasst.

Gruß, Martin

Lexx Offline



Beiträge: 3.730

22.10.2009 09:12
#10 RE: Hartz IV auf dem Prüfstand des BVG Antworten

Martin:
Ich habe deinen Beitrag als Antwort auf mein Zitat verstanden. Das Zitat bezog sich aber auf ein anderes Schonvermögen, als du es dann angeführt hast. Oder kurz: Gegen Kinder-Schonvermögen hat Urban Priol garnichts gesagt.

Wie dem auch sei, ich denke die wichtigere Maßnahme ist sowieso die Verbesserung der Nebenverdienst-Möglichkeiten.

MartiS2 Offline



Beiträge: 7.094

22.10.2009 09:44
#11 RE: Hartz IV auf dem Prüfstand des BVG Antworten

Zitat von Lexx
Martin:
Wie dem auch sei, ich denke die wichtigere Maßnahme ist sowieso die Verbesserung der Nebenverdienst-Möglichkeiten.



Das ist natürlich der große Bringer für Alleinerziehende.

Für andere Betroffene wird kaum eine Einzelmaßnahme der Bringer sein. Letztlich geht es um ein Austarieren der Instrumente. Außerdem muss man bei der Wirkung eben die individuelle Situation sehen: Ältere Hartz-IVler sind anders zu sehen, als junge, ein paar Jahre Alleinerziehende, ansonsten Arbeitsfähige wiederum anders. Man kann im Fall der älteren AN beispielsweise nicht ignorieren, dass der Arbeitsmarkt in Deutschland für sie nach wie vor sehr verschlossen ist. Ein höheres Schonvermögen ist nur fair, da ihnen im Prinzip nur wegen ihres Alters auf Dauer die Möglichkeit verwehrt bleibt, aus ihrer Armut aus eigener Kraft herauszukommen (Es sei denn, sie werden zu Bankräubern, oder so).

Gruß, Martin

Lexx Offline



Beiträge: 3.730

22.10.2009 11:10
#12 RE: Hartz IV auf dem Prüfstand des BVG Antworten

Martin:
Natürlich ist das der Bringer für Alleinerziehende. Was kann man denen (von Geschenken mal abgesehen) Besseres tun, als ihnen in der Zeit, in der die Kinder im KiGa oder der Schule sind die Möglichkeit zu geben, das Haushaltseinkommen signifikant aufzubessern?

Zusammen mit einem Schonvermögen kann dann sogar gearbeitet werden, um sich neue Sachen (Kleider, Spielzeug, Bücher) für die Kleinen leisten zu können, oder ihnen ein eigenes Sparkonto einzurichten.

MartiS2 Offline



Beiträge: 7.094

22.10.2009 11:20
#13 RE: Hartz IV auf dem Prüfstand des BVG Antworten

Lexx,

sag ich doch, ist der große Bringer :).

Naja, ich hatte weiter oben den Fall der Alleinerziehenden beschrieben, die nach dem Mutterschafts'Urlaub' wieder arbeiten geht, also nur solange zuhause ist, wie sie dort voll gebraucht wird. Aber Du kannst Dich ja mal als Berater anbieten für Nebentätigkeiten mit einem 1-2 jährigen Racker zuhause.

Gruß, Martin

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