Ich hab das ganz verschlafen und finde auch keinen Thread dazu.
Also es scheint ja in Mode zu kommen, Parlamente aufzulösen und diese neu wählen zu lassen. Gerhard Schröders Neuwahl im Bund 2005 erfolgte, weil dieser auf Grund der Niederlagenserie in den Ländern keinen ausreichenden Rückhalt mehr sah für die Politik seiner Regierung. Macht Sinn. Kochs Neuwahlen sind auch verständlich gewesen; es konnte keine tragfähige Regierung etabliert werden. Aber S-H liegt wohl etwas anders; MP Carstensen erhofft sich zum Herbst bessere Ergebnisse und inszeniert so einen Zwist zwischen sich und dem Chef des Koalitionspartners SPD Stegner. Ich finde das eigentlich skandalös. Und gefährlich. Ist das nicht der Beginn einer wie auch immer gearteten Umfragedemokratie? Nach dem Motto, die Umfragewerte sind gut, lösen wir doch mal schnell das Parlament auf und lassen schnellstens neu wählen. Das Parlament, und somit die direkt und indirekt gewählten Representanten des Volkes, werden entmündigt und zum Spielball einiger weniger Parteistrategen. Wo bleibt hier der Aufschrei der Bürger?
Ich schätze die meisten durchschauen garnicht, dass das ein parteitaktischer Zug war - oder sind durch die sonstigen parteitaktischen Züge so abgestumpft - oder ihnen ist S-H einfach egal.
S-H ist mir auch egal, aber wenn die Auflösung des Parlaments als parteitaktische Massnahme nicht mehr aufregt muss man in Deutschland schon ein arges Demokratiedefizit feststellen.
Die Neuwahlen sind schon o.k. Die Bevölkerung hatte von dem permanenten Carstensen/Stegner-Zoff dermassen die Schnauze voll, dass sie sich in Umfragen mit grosser Mehrheit für Neuwahlen aussprachen.
Dass dann der Weg mit dem umgekehrten Misstrauensvotum à la Schröder gegangen wurde, lag dann wieder an der Taktiererei auf beiden Seiten. Die SH-Landesverfassung sieht ja die Selbstauflösung des Parlaments durchaus vor, allerdings muss sie mit 2/3-Mehrheit beschlossen werden, was nicht erreichbar war.
Das lag einerseits daran, das der Auflösungsantrag der CDU so formuliert war, dass darin die Schuld für das Scheitern der Regierung einseitig der SPD zugeschrieben wurde. Dass die SPD nicht zustimmt, einseitig an den Pranger gestellt zu werden ist nachvollziehbar. Andererseits wollte die SPD sowieso Carstensen in das umgekehrte Misstrauensvotum zwingen, schon allein deswegen, weil dieser diesen Weg als unseriös zunächst abgelehnt hatte.
Das Scheitern der Regierung ist allein auf die absolute persönliche Inkompatibilität Carstensen-Stegner zurückzuführen, denn so schlecht arbeitete die gK gar nicht.
Carstensen, ursprünglich ein Verlegenheitskandidat der CDU, der nach dem Debakel von Heide Simonis zum Spitzenkandidaten avancierte, ist beliebt, aber erinnert ein bisschen an Kohl. Bodenständig, aus dem Land (Bauer aus Nordstrand). Dagegen Stegner, der scharfzüngige Intellektuelle aus dem Süden, dem immer noch der Ruf nachschleicht, die Verräter-Stimme zum Sturz Simonis' abgegeben zu haben, weil sie seiner Karriere im Weg stand. Stegner hat die gesamten 4 Jahre der gK den kalkulierten Konflikt gesucht und jeweils bis kurz vor den Bruch der Koalition getrieben. Dabei waren auch persönliche Diffamierungen Teil des Repertoirs. Generell versuchte er ständig Carstensen als den tolpatschigen Trottel vom Land darzustellen.
Nach diesen Dauerquerelen war klar, dass Carstensen (nicht die CDU) die erstbeste Möglichkeit wahrnimmt, die Koalition aufzukündigen. Carstensen ist in der CDU längst nicht unumstritten, aber sie haben keine Alternative zu ihm. Jetzt passte alles: Die Umfragen stimmen und der Wunschtermin 27.9. (Bundestagswahlen) rückte nach den Fristen, die die Verfassung vorschreibt in Reichweite. Und Anlässe, die Koalition aufzukündigen, lieferte Stegner ja ständig.
Zitat von F-W Das Scheitern der Regierung ist allein auf die absolute persönliche Inkompatibilität Carstensen-Stegner zurückzuführen,
Das lasse ich aber nicht gelten. Persönliche Animositäten hat jeder an seinem Arbeitsplatz. Das besondere hier ist, dass die Zusammenarbeit nur auf wenige Jahre terminiert ist und diese Periode läuft dann eh bald ab. Carstensen hat einfach Angst, dass nach den ersten Massnahmen der neuen Bundesregierung die Stimmung umschlägt und der Union in den nächsten regulären Wahlen ein kalter Ostsee Wind ins Gesicht bläst. Das ist verständlich aber in meinen Augen kein ausreichender Grund, ein Parlament aufzulösen.
Zitat von F-W Das Scheitern der Regierung ist allein auf die absolute persönliche Inkompatibilität Carstensen-Stegner zurückzuführen,
Das lasse ich aber nicht gelten. Persönliche Animositäten hat jeder an seinem Arbeitsplatz. Das besondere hier ist, dass die Zusammenarbeit nur auf wenige Jahre terminiert ist und diese Periode läuft dann eh bald ab. Carstensen hat einfach Angst, dass nach den ersten Massnahmen der neuen Bundesregierung die Stimmung umschlägt und der Union in den nächsten regulären Wahlen ein kalter Ostsee Wind ins Gesicht bläst. Das ist verständlich aber in meinen Augen kein ausreichender Grund, ein Parlament aufzulösen.
In meinen Augen schon. Die Parteien sind sich einig, die Bevölkerung mehrheitlich dafür (klar: wir haben keine Umfragendemokratie). Also warum nicht? Ich sehe da nichts gravierendes.
Erinnern wir uns an England. Da hat der Premier sehr weitreichende Möglichkeiten den Wahltermin festzulegen und braucht dabei nicht mal das Parlament anhören. Und das einzige Kriterium, den Wahlzeitpunkt festzulegen sind die Chancen, die Wahl zu gewinnen und nicht irgendetwas staatstragendes. Für mich ist das absolut o.k. und die Engländer sind nicht undemokratischer als wir.
Und wenn wir schon bei den big words sind. Eine so unsägliches Gezerre wie in S-H fördert die viel beschworene Politikverdrossenheit sicher mehr als das vorzeitige Ende der Legislatur und dann hoffentlich klarere Verhältnisse.
Zitat von F-WEine so unsägliches Gezerre wie in S-H fördert die viel beschworene Politikverdrossenheit sicher mehr als das vorzeitige Ende der Legislatur und dann hoffentlich klarere Verhältnisse. FW
Das ist der entscheidende Punkt: Die klaren Verhältnisse.
Aber daß solche nach einer als Folge einer "Männerfeindschaft" anberaumten, außerplanmäßigen Wahl geschaffen sind, das ist noch gar nicht raus. Was, wenn es wieder zu einer Konstellation kommt, in der nur die bisherige Koalition regierungsfähig sein würde? - Feiern die beiden Kampfhähne dann ein großes Friedens- und Versöhnungsfest, bevor sie dann weitermachen wie gehabt? Bis zum nächsten Knall?
Das Problem ist doch, daß es keine Leute in der zweiten Reihe zu geben scheint, die beim Versagen derer in der ersten Reihe (und als solches möchte ich das durchaus bezeichnen) den Laden übernehmen könnten. Was heißt zu geben scheint? - Es gibt sie nicht, Punktum! Nirgendwo deutlicher zeigt sich das als bei den Sozen, die, in Ermangelung geeignten Personals, einen Kanzlerkandidaten mit dem Charisma eines klappernden Gullydeckels auf den Schild gehoben haben. Kann mir mal einer verraten, wie diese Vorstandsassistentenseele eine Regierung führen soll? - Und im Falle Schleswig Holsteins fällt mir auch aus keiner der im Landtag herumirrlichternden Parteien ein Name ein; eine Person, die fähig wäre, den Laden zu schmeißen. Die Parole lautet also nicht: Laßt uns klare Verhältnisse schaffen, sondern die Frage lautet also: Woher kriegen wir die "Papabile"?
Umgekehrt wird ein Schuh draus, gerade weil es keine zweite Reihe gibt können sich Carstensen und Co solche Spielchen erlauben, denn sonst würde die zweite Reihe sicher den einen oder anderen Anspruch stellen, vielleicht gar die Frage nach dem geeigneten Frontkandidaten.
FW,
und was passiert wenn wieder nur die gK möglich ist? Dann gibt es eine Neuauflage der Männerfeindschaft, aber nur solange bis die Umfragen bessere Verhältnisse für eine Seite sehen. Wen interessiert schon das Parlament.
Ja, es gibt tatsächlich niemanden in der 2. Reihe von SPD und CDU, die die beiden Kampfhähne beerben könnten.
Die bekannteste ist noch die SPD Senior-Ministerin im Kabinett Erdsieck-Rave (Bildung), die sich aber nach Ablauf der Legislaturperiode aus der Politik zurückzieht. Eine ruhige, persönlich untadelige Person, die sich aus den Schlammschlachten der Matadoren immer herausgehalten hat. Ihren Rückzug hatte sie schon lange angekündigt. Der Innenminister Haye war schon mal in Pension und musste ein Zwangscomeback machen, weil die SPD sonst nach der letzten Wahl nicht mal den Fraktionsvorsitz adäquat besetzen konnte. Später rochierte er mit Stegner um ein früheres Scheitern der Koalition in letzter Minute abzuwenden.
Wer da sonst noch so 'rumläuft in beiden Parteien ist selbst der Mehrheit der Landeskinder nicht mal dem Namen nach bekannt.
Zur bürgerlichen Koalition: Der FDP-Vorsitzende Kubicki, Ur-Gestein im Land und alter Möllemann-Kumpel, ist ein Trickser reinsten Wassers. Ob das mit Carstensen besser geht als das unmögliche Duo Carstensen-Stegner, das muss sich erst noch weisen. Dieser Mensch lässt mich regelmässig zweifeln, ob ich in LTW die FDP noch wählen kann.
Neben der Politik macht Kubicki als Anwalt in spektakulären Prozessen Schlagzeilen. So vertrat er den in der Bordellaffäre gestürzten früheren VW-Betriebsratsvorsitzenden oder den Mobilcom Gründer Schmidt in dem Verfahren wegen betrügerischen Bankrotts, Konkursverschleppung und Unterschlagung von Vermögenswerten aus dem Firmenvermögen.