Nach dem gestrigen Urteil des BVerfG bin ich etwas verwirrt: Der Lissaboner Vertrag sei 'grundsätzlich gebilligt' worden, beanstandet wird das deutsche Begleitgesetz. Die Nachrichtenkommentare lassem vermuten, dass die nun notwendigen Korrekturen einseitig möglich sind, d.h., das Lissaboner Vertragswerk bleibt unangetastet, das Begleitgesetz wird geändert. Wie ist das möglich / plausibel? Ich war davon ausgegangen, dass die EU im Rahmen des Lissaboner Vertrags Kompetenzen an sich reissen wollte, und nicht, dass ihr diese Kompetenzen großzügigerweise vom deutschen Parlament über den Zaun geworfen worden waren, und jetzt eben wieder zurückgeholt werden.
Überschreibt das Begleitgesetz den Lissaboner Vertrag? Oder ist es integraler Bestandteil des Vertrags? Oder sind die öffentlichen Verlautbarungen nur Vernebelungstaktik? Vielleicht habt Ihr das besser verstanden.
Meiner Meinung nach ist die Auffassung des BVG, dass der Lissaboner Vertrag einen Zustand beschreibt, der nur erreicht werden kann, wenn die nationalen Parlamente jedem einzelnen Passus, der die Rechte eben dieser nationalen Parlamente beschneidet, zustimmen. So gesehen, hat das BVG den Vertrag eigentlich abgelehnt in dem es gesagt hat: "Liebe deutsche Regierung, Du kannst es so handhaben wie es im Vertrag steht aber nur unter der Bedingung, dass Du Alles, was Deine Rechte beschneidet (und das betrifft ja in erster Linie die Mitwirkungsrechte der Bevölkerung) einzeln absegnest und damit auch die Verantwortung übernimmst."
Deswegen bin ich mehr als verwundert mit welcher Großzügigkeit die politische Kaste in Berlin und in Brüssel dieses Urteil feiern und eigentlich darüber hinweg gehen - das Gesetz, das jetzt im Sommer innerhalb einer Sitzung durchgepeitscht werden soll wird wohl als "Entmächtigungsgesetz" in die Geschichte eingehen. Na ja, vielleicht landets wieder vor dem BVG .....
Es erhebt sich auch diese Frage für mich: Angenommen, der Bundestag beschliesst das "Entmächtigungsgesetz" im Sommer und im September erhält deswegen eine Anti-Europa-Partei die absolute Mehrheit und beschließt, dieses Gesetz wieder aufzuheben, was dann? Das ist jetzt vielleicht ein bißchen zu weit gedacht, geb ich ja zu.
Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass es sich jetzt rächt, dass die EU-Erweiterung durchgezogen wurde ohne vorher eine vernünftige gesetzliche Grundlage geschaffen zu haben, die diese Riesenorganisation auch regierbar macht.
Wir gehen interessanten Zeiten entgegen.
Trotzdem einen schönen Tag wünscht WRL
"Glückliche Sklaven sind die größten Feinde der Freiheit!" Marie von Ebner-Eschenbach “Politiker sind wie Windeln. Man muss sie oft wechseln und das aus denselben Gründen.” (Mark Twain)
Die Sueddeutsche hat das für mich am verständlichsten formuliert. Grundsätzlich ist die europäische Einigung durchaus im Sinne des Grundgesetzes, aber solange nicht ein Volksentscheid eine neue (evtl. auch eine Europaverfassung) in Kraft setzt, bleiobt das GG gültig. Das bedeutet auch, dass die Parlamentarier nicht pauschal dem Lissabonner Vertrag zustimmen können, sondern dass das Parlament für jeden einzelnen "Tatbestand" einzeln zustimmen muss.
Das bedeutet, dass diese Begleitgesetze komplett neu aufgedröselt werden müssen und fürjedes Thema ein eigenes Gesetz gemacht werden muss, in dem das Parlament einzeln zustimmt.
Was das letzlich bedeutet wird spannend. Wo man den Parlamentariern ja bisher noch Druck machen konnte, indem man ihnen eine Hop oder Top Entscheidung abverlangt hat, können die jetzt in Einzelfällen durchaus das eine oder andere Thema nachverhandeln. Die Linken haben da speziell das Thema Bundeswehreinsätze im Ausland thematisiert, welches wohl in der Zukunft pauschal aus Brüssel entschieden werden könnte. Kann mir vorstellen, dass es da nicht nur bei den Linken Vorbehalte gibt.
Davon abgesehen hat sich das BVG das letzte Wort bei allen Entscheidungen aus Brüssel vorbehalten.
Wenn ich das richtig interpretiere, will das BVerfG sicherstellen, dass Entscheidungen des deutschen Vertreters im Europarat der nach deutschem Recht vorgegebenen parlamentarischen Abstimmung unterliegen, sodass zumindest formal die deutschen Verfassungsorgane bei diesem Schritt nicht außen vor bleiben.
Bei künftigen EU- Vertragsänderungen gilt aber nach meinem Verständnis, dass diese erst den nationalen Parlamenten zur Zustimmung vorgelegt werden müssen, über diesen Ansatz ein Vetorecht der einzelnen Mitgliedsstaaten existiert. Das BVerfG verlangt nun lediglich, dass die jetzt nicht mehr erforderliche Ratifizierung und der parlamentarische Abstimmungsprozess sauber in einem Gesetz festgelegt werden (war das bisher nicht so?).
Gibt es keine Ablehnung, wird die Vertragsänderung nach sechs Monaten übernommen. Nicht ganz klar ist mir, ob/wie dieser Vorgang (Zustimmung durch das deutsche Parlament) in bestimmten Fällen entweder rückgängig gemacht werden oder schon vorab vom BVerfG verhindert werden kann. Wenn dies nicht nach Vertrag möglich ist, dann ist eine Frist von sechs Monaten evtl. sehr kurz.
Ich habe das leider überhaupt nicht verstanden, die Lektüre dazu war völlig verwirrend und die Beiträge hier haben leider auch keine Klarheit geschaffen. Auch der SZ Artikel war mir unverständlich, auch wenn das SPD Zentralorgan die Sache versucht von links abzuklopfen.
Sie sind vermutlich noch nicht im Forum angemeldet - Klicken Sie hier um sich kostenlos anzumelden
Offline