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Dieses Thema hat 39 Antworten
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DP Offline



Beiträge: 5.248

13.04.2008 09:41
Streit um die Bahnprivatisierung Antworten
In allen Parteien wird gegenwärtig um eine Haltung zur anstehenden Privatisierung der Bahn gerungen. Wie weit soll sie gehen und welche Aufgaben muss noch der Bund weiterhin übernehmen?
Augenmerk liegt dabei auf die Haltung der Parteien der Koalition, wenn die sich einigen steht einer Lösung nichts mehr entgegen.

Die SPD tut sich erwartungsgemäss am Schwersten. Die Linke möchte am liebsten das Thema verdrängen und soviel unter der Kontrolle des Bundes wie möglich behalten. Die Rechte um Peer Steinbrück favorisiert den Holdingvorschlag; die Infrastruktur (Bahnhöfe, Energie, Schiene) wird unter dem Dach einer DB-Holding in eine Gesellschaft geführt und nicht privatisiert. Personen- und Güterverkehr werden in einer Unterholding gebündelt und bis zu 49 Prozent verkauft als "Einstieg in die Privatisierung." Später sollen dann die restlichen 51% verkauft werden. Dazu gibt es einen sogenannten Kompromissvorschlag von Kurt Beck; Der Personnenahverkehr soll aus der Verkehrssparte ausgegliedert werden und nicht privatisiert werden. Die Bahn würde also in 3 Teile gegliedert; Infrastruktur, Nahverkehr (beides im Bund) und Fernverkehr (privatisiert).

In der Union herrscht Sympathie für ein 'erweitertes Holdingmodell'; wie bei Steinbrück soll die Mehrheit der Infrastruktur beim Bund bleiben, private Investoren können sich jedoch bis zu 49,9% einkaufen. Nah- und Fernverkehr werden schrittweise privatisiert.

Die Wirtschaftsverbände BDI, DIHK und der Logistikverband DSLV forderten, ob Holdingmodell oder nicht; am Ende der Entwicklung müsse "die Vollprivatisierung von Personen- und Güterverkehr stehen."

Becks Konzept, das zur Aufteilung des Konzerns in drei getrennte Gesellschaften führte, bewerten sowohl Bahn als auch Bahngewerkschaft Transnet als Zerschlagung und lehnen es ab.


Auch politisch ist das Thema ziemlich beladen, vor allem in der ohnehin mit Grundsatzfragen belasteten SPD. Hier scheint sich auch ein personeller bzw. ein Konflikt der Parteiflügel abzuzeichnen. Da wird wohl nur ein Parteitag eine Entscheidung bringen, aber es bleibt dann zu befürchten, dass die Sachargumente zurücktreten und die Mission 'rettet Beck' greift. Setzt sich Beck durch könnte das Thema Bahnprivatisierung ganz vom Tisch sein und dann ein Jahr später zum Wahlkampf wieder auftauchen.

Die Union wird sicher den Kompromiss schlucken, dass die Infrastrukur vorläufig zu 100% beim Bund verbleibt. Nach dem Motto 'der Rest kommt dann schon'. Jetzt muss man eigentlich nur Becks Vorschlag, den NV vom FV zu trennen torpedieren und damit Beck beschädigen, soweit das noch möglich ist.
dewo Offline



Beiträge: 544

13.04.2008 10:17
Streit um die Bahnprivatisierung Antworten
Ich halte Beck's neuesten Erguß für eine Meisterleistung im Sinne der von ihm so eifrig propagierten "sozialen Gerechtigkeit", indem er hier ein excellentes Beispiel vorführt, wie man "Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert. Würde Beck sein Hirngespinst realisieren, den Nahverkehr in der öffentlichen Hand zu halten und den Fernverkehr alleine zu privatisieren, käme es dort a tempo zu Resultaten, wie sie eine jüngst erschienene Studie beschreibt: Diesen 15 Städten droht das Fernverkehrs-Aus (siehe Spiegel Online).

Das Fernverkehrsnetz wird im Hinblick auf eine Gewinnoptimierung ausgedünnt und alles Defizitäre dem Nahverkehr zugeschoben. Beck bereitet also ganau solchen Handlungsweisen den Boden, über die, finden sie in der freien Wirtschaft statt, er ansonsten immer in gut gespielter Entrüstung das Maul bis zum Anschlag hin aufreißt. Der Junge läuft ja nun wahrhaftig total neben der Spur. Bin mal gespannt, zu welchem Thema er als nächstes sein geballtes Fach-(Un-)Wissen zur Ader läßt.
F-W Offline




Beiträge: 1.679

13.04.2008 10:51
Streit um die Bahnprivatisierung Antworten
Der SPD-Parteivorstand stand an sich geschlossen hinter Tiefensees Holdingmodell, der heftige Widerstand der Parteilinken kam einigermassen überraschend. Um den Hamburger Parteitag, der ja das Signal des Aufbruchs vor den Landtagswahlen verkünden sollte nicht durch lähmende Grundsatzdebatten zu beschweren verfiel Beck auf die Zusage des Sonderparteitags und vertagte so das Problem. Wohl auch in der Hoffnung, das Problem irgendwie zu lösen.

Nun macht die Parteilinke ernst. Und Beck macht mit seinem merkwürdigen Kompromissvorschlag der Trennung des Personennah- und Fernverkehrs das Thema zur Chefsache. Das ZDF hat gestern in einem Beitrag zu den Nachrichten schön aufgezeigt wie schnell bei einer Chefsache der Chef zum Thema wird und die Sache in den Hintergrund tritt.

Ich denke auch, dass es hier viel mehr um Beck als um die Bahn geht.

FW
dewo Offline



Beiträge: 544

13.04.2008 11:10
Streit um die Bahnprivatisierung Antworten

Zitat:

F-W schrieb am 13.04.2008 10:51
Ich denke auch, dass es hier viel mehr um Beck als um die Bahn geht.

FW


Schön und gut, aber wievieler Unfähigkeitsnachweise dieses Menschen bedarf es denn eigentlich noch?

In einem solchen Zusammenhang gesehen, ist es allerdings vollkommen unverständlich, daß die Union so auf den Mann eindrischt. Wenn ich die wäre, dann würde ich diesen Pfälzer Sozenhäuptling so behutsam behandeln wie eine zarte Figur aus Meißener Porzellan: "Gott erhalte uns diesen Kanzlerkandidaten bis zur Wahl im übernächsten Herbst!" - Was besseres könnte den Schwatten doch gar nicht passieren.

DP Offline



Beiträge: 5.248

13.04.2008 11:18
Streit um die Bahnprivatisierung Antworten
Da versteht man, warum sich Beck un d Ypsilanti so nahe stehen; beide haben ein sicheres Gespür dafür, sich ohne Grund aus soliden Positionen in heikle zu manövrieren.

Der SPD bleiben jetzt 3 Optionen; 1. Steinbrücks Vorschlag und damit Einigung mit der Union und damit die Möglichkeit, das Ding zum rollen zu bringen. Dann verliert aber Beck sein Gesicht und die Linke wird kaum mitziehen; 2. Becks Kompromiss-Vorschlag, alle wahren das Gesicht und das Projekt scheitert oder 3. man kann sich auf gar nichts einigen und erklärt die Bahnprivatisierung für gestorben.
Klingt alles nicht verlockend.
kater_5 Offline

Besucher

Beiträge: 1.018

13.04.2008 11:50
Streit um die Bahnprivatisierung Antworten
Ein Verkauf des Nah- und Fernverkehrs gemeinsam wird wohl kaum einen nennenswerten Preis bringen, es sei denn, es werden entsprechende Zugeständnisse gemacht.

Da stellt sich schon die Frage, ob es dann nicht besser ist, für den Fernverkehr einen anständigen Preis zu bekommen und den Nahverkehr, den man bisher sowieso schon finanziert, zu behalten.

Davon abgesehen halte ich die Steinbrück Lösung auch für die Beste, den Verkehr ohne die Infrastruktur zu privatisieren.

Gruss
Kater
DP Offline



Beiträge: 5.248

13.04.2008 14:19
Streit um die Bahnprivatisierung Antworten
Ist denn der erzielte Preis das Ziel der Privatisierung? Ich hatte bisher gedacht es wäre die Erzielung besserer Effizienz sowie sinkende Preise und geringere Subventionen.
F-W Offline




Beiträge: 1.679

13.04.2008 17:58
Streit um die Bahnprivatisierung Antworten

Zitat:

DP schrieb am 13.04.2008 14:19
Ist denn der erzielte Preis das Ziel der Privatisierung? Ich hatte bisher gedacht es wäre die Erzielung besserer Effizienz sowie sinkende Preise und geringere Subventionen.


Ich denke es geht um frisches Kapital für die Finanzierung dringend notwendiger Investitionen. So viel ich mitgekriegt habe, fliesst der Verkaufserlös der Aktien nicht dem Bund, sondern direkt der Bahn zu. D.h. nicht bestehende Aktien des Bundes werden verkauft, sondern neue Aktien aus einer Kapitalerhöhung. Ein hoher Verkaufserlös bringt viel Kapital für die Bahn.

FW

Lexx Offline



Beiträge: 3.730

13.04.2008 21:28
Streit um die Bahnprivatisierung Antworten
DP:
Wenn ich mir so die US-Fluggesellschaften ansehe oder die Bahnqualität in GB, dann ist eine Bahnprivatisierung vielleicht generell keine gute Idee.....es kann tatsächlich deutlich schlimmer werden als jetzt.

Allerdings kenne ich die verschiedenen Modelle bisher nicht. Kann mir mal jemand in ein, zwei Sätzen die verschiedenen Modelle erklären?
DP Offline



Beiträge: 5.248

13.04.2008 22:19
Streit um die Bahnprivatisierung Antworten
US Fluggesellschaften; vergiss einfach mal die billige Hetze Marke Hirni-Moby; soweit ich das mitbekommen habe geht es hier um die Revision eines Flugzeugtyps (die MD-80), die von der amerikanischen Flugaufsicht mal an- aber dann mangelhaft umgesetzt wurde. Dass Lufthansa oder Swiss nicht dran sind liegt allein an der Tatsache, dass die den Typ nicht fliegen.

Englands Bahnprivatisierung; Nun, die Engländer haben hier Neuland betreten und das Lehrgeld gezahlt, dass den Deutschen hoffentlich erspart bleibt. Die Situation war auch eine ganz andere; schlimme Rezession und dramatische Staatsschulden trieben die Regierung Major (nicht Thatcher, wie immer wieder kolportiert wird) dazu, die Bahn (Fern-Nahverkehr und Infrastruktur) im Schnellverfahren zu privatisieren. Die Infrastruktur, also Bahnhöfe, die Schiene, Signalanlagen etc, ging an die Firma Railtrack (heute RT Group). Der Staat pumpte Milliarden an Investitionen, trotzdem ging die Firma pleite. Dieses Jahr wird die RT Group liquidiert, die Infrastruktur wird seit Jahren nicht gewartet - ein Desaster. Deshalb ist unter allen Parteien Konsens, dass die Infrastruktur beim Bund verbleibt, damit die ordentliche Wartung gewährleistet bleibt.

Auch die Privatisierung des Fahrbetriebes hat so seine Tücken. Da es keinen einheitlichen Betreiber gibt sondern ein Gemenge aus zig Gesellschaften sind die Fahrpläne oft nicht miteinander abgestimmt. Da kann es sein, dass man am Banhof ein Ticket für eine 45 Minuten Strecke kauft und dann 3 Stunden unterwegs ist, nur weil der Betreiber eine Route mit seinen Wagen wählt. Wer den kürzesten Weg möchte oder einen durchgängigen Service oder ganz schlimmen Extraservice wie Fahrradtransport sollte sich im Internet lange vor der Reise schlau machen.
Lexx Offline



Beiträge: 3.730

13.04.2008 23:09
Streit um die Bahnprivatisierung Antworten
Bei den Fluggesellschaften hab ich mich eher an dewos Bewertung orientiert....
Danke für die Ausführungen zu GB!

Deshalb ist unter allen Parteien Konsens, dass die Infrastruktur beim Bund verbleibt, damit die ordentliche Wartung gewährleistet bleibt. "

Wenn das das Schienennetz mit einschließt und mit dem Besitz auch die Verfügungsgewalt einhergeht, dann stimmt mich das schon sehr positiv.

Ich hab mir inzwischen die Nachrichten dazu durchgelesen, Erklärungen braucht es also nicht mehr.
SteffenHuber Offline

Besucher

Beiträge: 459

14.04.2008 02:44
Streit um die Bahnprivatisierung Antworten

Zitat:

Lexx schrieb am 13.04.2008 21:28
DP:
Wenn ich mir so die US-Fluggesellschaften ansehe oder die Bahnqualität in GB, dann ist eine Bahnprivatisierung vielleicht generell keine gute Idee.....es kann tatsächlich deutlich schlimmer werden als jetzt.




Meine sporadischen Erfahrungen mit der Bahn in GB sagen mir folgendes im Vergleich zur DB:


  • bessere Pünktlichkeit
  • mehr Freundlichkeit beim Personal
  • bessere Preise, insbesondere "off peak"


Und die staatlichen Investitionen ins Netz waren viel geringer als hierzulande.

Steffen
MartiS2 Offline



Beiträge: 7.144

14.04.2008 03:24
Streit um die Bahnprivatisierung Antworten
Den Verbleib der Infrastruktur beim Bund mit der besseren Wartung zu begründen ist unplausibel. Wer die Straßen der Kommunen angeschaut hat, als die Steuereinnahmen fehlten, der hat eine Vorstellung von der Zuverlässiggkeit staatlicher Wartung.

Die Illusion kommt wohl daher, dass in früheren Zeiten, das Wartungspersonal nicht entlassbare öffentliche Angestellte waren, die ihre Arbeit eben weitergemacht haben, auch wenn dies nur über zusätzliche Schulden finanzierbar war. Wo öffentliche Betreiber die Wartung an Private vergeben, da werden heute bei knappen Kassen eben auch die Aufträge heruntergefahren.

Die Qualität der Infrastruktur lässt sich locker in Kennzahlen fassen, die zum Vertragsbestandteil einer Privatisierung gemacht werden können. Deren Überwachung, und zentrale Auswerung von Mängelberichten kann dann entweder bei einer staatlichen Stelle verbleiben, oder eine TÜV / DEKRA / und Co. abgegeben werden. Was bei risikobehafteten Großanlagen und KKWs funktioniert, muss auch bei der Infrastruktur funktionieren. Eine intelligente Aufteilung von Betreiber- und Überwachungsfunktionen ist das A und O von effizienten Strukturen.

Gruß, Martin
DP Offline



Beiträge: 5.248

14.04.2008 14:05
Streit um die Bahnprivatisierung Antworten
[QUOTE][b][i]SteffenHuber schrieb am 14.04.2008 02:44[/b][/i]

Meine sporadischen Erfahrungen mit der Bahn in GB sagen mir folgendes im Vergleich zur DB:
[list]
[*]bessere Pünktlichkeit
[*]mehr Freundlichkeit beim Personal
[*]bessere Preise, insbesondere "off peak"
[/list]

Und die staatlichen Investitionen ins Netz waren viel geringer als hierzulande.

Steffen
[/QUOTE]

Letzteres stimmt, aber da der Betreiber seit 2003 nichts mehr investiert hat braucht es sofort 100-150mrd Euro, um das Schlimmste zu verhindern. Geringere Zahlungen werden so zum Bumerang.

[*]bessere Pünktlichkeit
--> Damit meinst du aber sicher nicht den Nahverkehr in London?? Da gibt es mehr Schienenersatzverkehr zu Unzeit als in der DDR.
[*]mehr Freundlichkeit beim Personal
--> Unbedingt.
[*]bessere Preise, insbesondere "off peak"
--> off peak, mag sein. Ich hatte damals für ein Monatsticket 135 Pfund bezahlt für eine etwa 1 stündige Fahrt zum Arbeitsplatz. Das war ziemlich exakt das dreifache als in Berlin.
DP Offline



Beiträge: 5.248

14.04.2008 14:11
Streit um die Bahnprivatisierung Antworten
Kurzes Update der SPD: Beck hat sich mit seinem Vorschlag nicht durchgesetzt. Die neue Formel lautet: Infrastruktur bleibt beim Bund, Nah- und Fernverkehr bleibt zu 75% beim Bund. Also eine Privatisierung light, aber immerhin ist die Trennung von NV und FV vom Tisch. Jetzt müssen sich Union und SPD nur noch darüber einigen, wie hoch der Privatisierungsanteil liegen soll.
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