DP:
Du kannst auch einfach mal auf eingebrachte Einwände eingehen...
ich schrieb: "Jetzt sagst du, der Gesetzgeber müsste dasselbe Gesetz einfach nur anders begründen und es wäre OK. Klingt simpel, aber welche Begründung von Gewicht könnte die Ungleichbehandlung in DIESEM KONKRETEN FALL begründen?"
Du tust hier gerade so, als wäre es das einfachste von der Welt, sich mal eben eine andere Begründung aus dem Ärmel zu schütteln und das Gesetz geht genau so durch.
Tatsächlich vermute ich, ist es in der Praxis unmöglich (oder ziemlich nah dran), diese Regelung stichhaltig zu begründen.
►"Die Begründung mal für sich genommen, dass die Fiskalpolitik der Bundesregierung nicht dem Gleichheitsgrundsatz entspricht, ist entweder völlig absurd oder lässt die Frage übrig, warum das BVG nicht umgehend einschreitet und sämtliche Steuern, Abgaben und Subventionen auf den Prüfstand der Gleichheit stellt. Dann wäre am Ende des Tages vom Staat gezahltes Kindergeld (Ungleichbehandlung gegenüber Menschen ohne Kinder) genauso asymmetrisch wie nicht gewährte Pendlerpauschale bis km 20."◄
Das klingt danach, als wenn du grundsätzliche Gegebenheiten hier nicht verstanden hast.
1. Das BVG wird niemals von sich aus tätig. Es muss angerufen werden bzw. es muss eine Klage vorliegen. Also: Wo kein Kläger, da kein Verfassungsrichter!
2. Es geht hier um den Gleichheitsgrundsatz. Die jetzige Entscheidung des BVG sagt nicht, dass die 20km-Regelung grundsätzlich gegen die Verfassung verstößt. Stimmt, das KANN sie auch garnicht. Denn der Gleichheitsgrundsatz ist kein absolutes Diktat, das dem Staat vorschreibt, alle gleich zu behandeln. Vielmehr ist es eine Richtlinie, die dem Staat den Handlungsspielraum einschränkt - jede Ungleichbehandlung muss einen gewichtigen Grund haben.
So werden z.b. die höheren KV-Beiträge für besserverdienende mit höherer Leistungsfähigkeit begründet (kann mehr zahlen -> zahlt mehr),
das Kindergeld kann man mit den Kosten begründen, die ein Kind nunmal mit sich bringt (kein Kind, keine Kosten -> keine Unterstützung nötig).
Mehr Geld für die Staatskasse als Grund für die 20km-Regelung ist dagegen KEIN ausreichender Grund. Man könnte schließlich dagegen fragen: Wenn der Staat Geld braucht, warum nimmt er es dann nicht von allen Pendlern gleichermaßen, etwa über eine Kürzung der km-Pauschale, sondern in erster Linie von den Kurzzeitpendlern?
Wenn es tatsächlich so einfach sein sollte, hierfür eine Begründung zu geben, DP, dann bin ich sehr gespannt darauf, welche dir einfällt.
MartiS2 schrieb am 11.12.2008 10:08
Extrapoliert man das Argument, dass eine Regierung freie Entscheidungbefugnis über ihre Finanzen und Steuererhebzung haben müsse, dann frage ich Dich, was hindert sie dann 95% Deines Einkommens wegzusteuern?
Es sollte sie nichts daran hindern ausser der Furcht vor dem Wähler.
Lexx schrieb am 11.12.2008 10:19
DP:
Du kannst auch einfach mal auf eingebrachte Einwände eingehen...
ich schrieb:
... einen sehr barocken Text, der mir immer etwas Mühe bereitet bei der Durcharbeitung. Ich bin nicht werhamster der sich damit begnügt, irgendwelche Brocken rauszusuchen und darauf herumzureiten.
Also; Deine Frage ist nicht die meine, denn ich finde schon die FRage nach der Argumentation und somit nach der Verwendung der Gelder ist Tagespolitik und kein Verfassungsgegenstand. Aber da es Dich so interessiert wie ich persönlich argumentieren würde; ich würde sagen, dass mit dem eingesparten Geld zum Beispiel der öffentliche Nahverkehr finanziert werden kann.
MartiS2 schrieb am 11.12.2008 10:08
Extrapoliert man das Argument, dass eine Regierung freie Entscheidungbefugnis über ihre Finanzen und Steuererhebzung haben müsse, dann frage ich Dich, was hindert sie dann 95% Deines Einkommens wegzusteuern?
Es sollte sie nichts daran hindern ausser der Furcht vor dem Wähler.
Lafo wird sich nicht fürchten, wenn 90% der Wähler davon nicht betroffen sind.
> Dann wäre am Ende des Tages vom Staat gezahltes Kindergeld (Ungleichbehandlung gegenüber Menschen ohne Kinder) genauso asymmetrisch wie nicht gewährte Pendlerpauschale bis km 20
Wenn schon vergleichen, dann richtig: Der Staat braucht Geld und streicht daher das Kindergeld fuer alle Kinder, die braune Augen haben und zwischen Mai und August geboren wurden. Der Rest bekommt weiterhin Kohle.
Lexx schrieb am 11.12.2008 10:19
> Mehr Geld für die Staatskasse als Grund für die 20km-Regelung ist dagegen KEIN ausreichender Grund. Man könnte schließlich dagegen fragen: Wenn der Staat Geld braucht, warum nimmt er es dann nicht von allen Pendlern gleichermaßen, etwa über eine Kürzung der km-Pauschale, sondern in erster Linie von den Kurzzeitpendlern?
Daran fände ich nichts unanständiges. Wird Lafos Linkspartei mit absoluter Mehrheit gewählt können solche Folgen als Volkes Wille betrachtet werden.
Selbst das ist demokratischer als der selbstherrliche Eingriff einer elitären Judikative ins politische Tagesgeschäft.
"Lafo wird sich nicht fürchten, wenn 90% der Wähler davon nicht betroffen sind. "
Ich denke, das fasst das Problem recht gut zusammen.
Letztlich lässt sich die ganze Gleichheits und Gerechtigkeitsdebatte auf den einfachen Nenner bringen, dass Minderheiten durch das GG vor Benachteiligungen geschützt werden und das BVG diesen Schutz auch gegen die Mehrheit durchsetzen muss. Dieses sollte zwar die Politik von sich aus machen, wo das nicht der Fall ist, kann man sich an das BVG mit der Bitte um Klärung wenden.
Dabei gibt es naturgemäss einen gewissen Auslegungsspielraum, den das BVG auch dargelegt hat. In diesem Fall hat das BVG entschieden, dass die Pendler (Minderheit) nicht die Haushaltskonsolidierung des Staates (bzw. der anderen Steuerzahler / Mehrheit) der anderen zu bezahlen brauchen, indem man sie bestimmte berufsbedingte Kosten nicht absetzen lässt, wo man anderen ihre Kosten durchaus als absetzbar zugesteht.
DP: "denn ich finde schon die FRage nach der Argumentation und somit nach der Verwendung der Gelder ist Tagespolitik und kein Verfassungsgegenstand."
Es steht aber im Gleichheitsgrundsatz ausdrücklich so drin, dass die Argumentation entscheidend ist. Das kannst du nicht ändern, auch wenn du's anders findest. Und das BVG hält sich daran, es deswegen zu kritisieren halte ich daher für falsch. Wenn, dann ist der Gesetzgeber der "schuldige" an diesem Zustand.
"ich würde sagen, dass mit dem eingesparten Geld zum Beispiel der öffentliche Nahverkehr finanziert werden kann."
Gegenargumente:
1. Die Steuern bekommt der Staat. Der ÖPNV wird aber von der Stadt bzw. dem Land finanziert. Geld vom Staat fließt da nur indirekt über Regionalisierungmittel.
2. Warum sollen nur die Nahpendler den ÖPNV unterstützen? Auch Fernpendler können mit dem Zug fahren.
Aber mir ging es auch weniger darum, ob du deine eigene Argumentation für das gekippte Gesetz findest, sondern mir ging es darum klarzumachen, dass eine ausreichende Begründung in diesem Fall eben nicht so einfach ist, wie du es hier darstellst.
Ich stelle mal eine Analogie auf und übertrage dein Zitat: "Die Bundesregierung muss dasselbe Gesetz nur mit ein bisschen Gesülze verzieren dann wird es durchgewunken"
==> "Der Angeklagte muss dieselbe Tat nur mit ein bisschen Gesülze [und einem anderen Motiv] verzieren dann bekommt er einen Freispruch".
Ist das so abwegig? Den unterschied zwischen Mord und Notwehr und damit lebenslang und garkein Gefängnis macht z.b. nur Motiv und die Umstände. Die Tat mit all ihren Auswirkungen bleibt exakt dieselbe. Und auch abseits dieses Extrembeispiels spielt neben der Tat eben auch die Motivation des Täters eine Rolle beim Strafmaß.
Zuletzt gebe ich noch zu bedenken, dass die Begründung für ein Gesetz ja nicht bloß heiße Luft ist, sondern im Zweifel Rechtsfolgen hat. Nehmen wir zum Beispiel die Sektsteuer. Ursprünglich eingeführt um die Kriegsmarine zu finanzieren gibt es sie noch heute und allen ist klar, dass sie eigentlich keinen Sinn mehr macht. Eingeführt als Luxussteuer um günstigere Getränke zu fördern könnte die Akzeptanz dagegen komplett anders aussehen.
Auf die gleiche Weise könnte in zukünftigen Verfahren gegen oder um die Pendlerpauschale die Begründung der Regierung eine womöglich entscheidende Rolle spielen - auch abseits des Gleichheitsgrundsatzes.
Wenn die BuReg z.b. wie du mit dem ÖPNV argumentiert, dann ensteht daraus auch ein entsprechender Anspruch, den ÖPNV entsprechend zu fördern. Sänken die Regionalisierungsmittel dagegen unter die Einnahmen der Kürzung, würde ruck zuck die nächste BVG-Verhandlung anstehen - dann gegen die Mittelkürzung.
Lexx schrieb am 11.12.2008 13:45
Gegenargumente:
1. Die Steuern bekommt der Staat. Der ÖPNV wird aber von der Stadt bzw. dem Land finanziert.
Und Kommunen und Länder bekommen ihr Haushaltsgeld noch mal bitte woher? Vom Universum?
Zitat:
2. Warum sollen nur die Nahpendler den ÖPNV unterstützen? Auch Fernpendler können mit dem Zug fahren.
Unterstützen tun alle den ÖPNV, nämlich mit ihren Steuergeldern. Allein mit der wegfallenden Nahpendlerpauschale lässt sich das eh nicht finanzieren, das ist höchstens ein Zubrot. Fernpendler haben eine besonders hohe Belastung und verdienen, so könnte man argumentieren, eine besondere Entschädigung. Und warum dann die Grenze bei 20km und nicht bei 15 oder 36? Weil es immer irgendwo Bemessungsgrenzen gibt, das gesamte Steuerrecht ist voll davon.
kater_5 schrieb am 11.12.2008 13:42
Letztlich lässt sich die ganze Gleichheits und Gerechtigkeitsdebatte auf den einfachen Nenner bringen, dass Minderheiten durch das GG vor Benachteiligungen geschützt werden und das BVG diesen Schutz auch gegen die Mehrheit durchsetzen muss.
Dann müsste als nächstes der Progressionstarif wegen Ungleichbehandlung gekippt werden. Denn je höher die Progressionsstufe, desto kleiner die Minderheit, die davon betroffen ist. Von der Reichensteuer seligen SPD-Angedenkens gar nicht erst zu reden.
Letzlich generalisieren Gesetze immer. Und die individuellen Auswirkungen sind nie gleich, weil jeder andere Lebensumstände hat. Und so ungleich behandelt die PP auch nicht gerade, denn die Massgabe, dass die ersten 20km nicht abgesetzt werden können, betrifft alle gleichermassen.
Und so gross ist das Weihnachtsgeschenk dann auch wieder nicht. Denn die ersten 15km der nun wieder zugelassenen Absetzung gehen in der Werbungskostenpauschale unter. Wer dann nicht noch andere Werbungskosten absetzen kann, darf sich gerade mal über 5 km x 30 Ct. freuen. Das dürfte für die meisten der Fall sein.
"Letztlich lässt sich die ganze Gleichheits und Gerechtigkeitsdebatte auf den einfachen Nenner bringen, dass Minderheiten durch das GG vor UNBEGRÜNDETEN Benachteiligungen geschützt werden und das BVG diesen Schutz auch gegen die Mehrheit durchsetzen muss."
Es gibt natürlich Fälle, wo es sinnvolle und nachvollziehbare Gründe dafür gibt, Minderheiten zu benachteiligen.
Gerade die Situation mit der Progression hat das BVG in der Begründung tzur Pendlerpauschale erklärt, glaube ich.
F-W schrieb am 12.12.2008 00:32
Und so gross ist das Weihnachtsgeschenk dann auch wieder nicht. Denn die ersten 15km der nun wieder zugelassenen Absetzung gehen in der Werbungskostenpauschale unter. Wer dann nicht noch andere Werbungskosten absetzen kann, darf sich gerade mal über 5 km x 30 Ct. freuen.
Aber F-W, wann bist Du denn unter die Milchmädchen gegangen. Diese Deine pessimistische Rechnung betrifft ja nur die, die bis 20km pendeln. Alle, die deutlich drüber liegen, bekommen ja die vollen 20km x 30ct x wieviele-Arbeitstage-auch-immer geschenkt.
Zitat:
Das dürfte für die meisten der Fall sein.
Und hier zeichnest Du auch noch ein sehr trauriges Bild bezüglich der Fortbildungsaktivitäten der Arbeitnehmer. Wobei ich fürchte, dass Du richtig liegst.
Aber im Land der Steuerpfennigfuchser (oder sind das jetzt Centfuchser?) wird doch wohl jeder 16 EUR Kontoführungsgebühren absetzen, und natürlich auch die 110 EUR Fachliteratur, die ohne Nachweis anerkannt werden?
Dann sind wir bei den 230 Tagen Fahrten zur Arbeit (wird ebenfalls ohne Nachweis bei einer 5-Tage-Woche max. anerkannt) ja schon ab 12km in der Gewinnzone, für Gewerkschaftsmitglieder auch schon früher